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VIELFALT/224: Wirtschaftliche Entwicklung und Erhaltung der Vielfalt müssen keine Gegensätze sein (UFZ)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressemitteilung, 12. Dezember 2011

Ökonomie und Ökologie:
Wirtschaftliche Entwicklung und die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Europa müssen keine Gegensätze sein

von PD Dr. Josef Settele, UFZ/Doris Böhme


Leipzig/Helsinki/Lund. Während die europäischen Staats-und Regierungschefs darum kämpfen, eine zweite Rezession abzuwenden, zeigt eine neue Studie, dass zukünftiges Wirtschaftswachstum und die gleichzeitige Erhaltung der biologischen Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen dann keine Gegensätze sein müssen, wenn die Politik ihre Prioritäten auf eine nachhaltige Entwicklung setzt und den Erhalt der Biodiversität gezielt fördert.

Diese Ergebnisse des EU-Projektes ALARM wurden von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Finnish Environment Institute SYKE und der Universität Lund in Schweden in einer Spezialausgabe des wissenschaftlich renommierten Journals "Global Ecology and Biogeography" am 12. Dezember veröffentlicht. Die Wissenschaftler kombinierten und integrierten sozioökonomische, Landnutzungs- und Klimamodelle, die auf drei unterschiedlichen Zukunftsszenarien für Europa basieren, und untersuchten die vielfältigen Auswirkungen dieser Faktoren auf die biologische Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen in diesem Jahrhundert.

"Szenarien sind keine Prognosen, aber sie können einen umfassenden Überblick über plausible zukünftige Entwicklungen geben und sie können mit Komplexität umgehen. Deshalb sind sie geeignete Mittel, um herauszufinden, mit welchen Folgen wir rechnen müssen, wenn bestimmte Entscheidungen getroffen - oder auch nicht getroffen - werden. Die Szenarien helfen uns, frühzeitig auf einer breiten Palette von möglichen Wegen in die Zukunft und entsprechenden Einflussfaktoren Risiken für die biologische Vielfalt zu erkennen", sagt Joachim Spangenberg vom UFZ, der die Szenariengruppe im ALARM-Projekt geleitet hat.

Die Wissenschaftler gehen von drei Kern-Szenarien aus: BAMBU (Business As Might Be Usual) extrapoliert die aktuellen politischen Trends, während zwei weitere Szenarien alternative politische Orientierungen untersuchen. GRAS (GRowth Applied Strategy) simuliert eine Politik der Deregulierung und Globalisierung, und SEDG (Sustainable European Development Goal) eine Politik der nachhaltigen Entwicklung. ALARM-Szenarien und der IPCC

Die ALARM-Szenarien basieren auf verschiedenen IPCC-Klimaszenarien (nach dem Special Report on Emissions Scenarios = SRES) und sind mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und Landnutzungsszenarien verknüpft. Diese dienen als Referenz für die zukünftige Entwicklung von Vegetation, biologischen Invasionen, chemischen Belastungen sowie für die Projektion von zukünftigen Verbreitungsgebieten einzelner Tier- und Pflanzenarten und deren Interaktionen. "Die SRES-Szenarien werden zwar durch eine Reihe neuer globaler sozio-ökonomischer, technologischer, Landnutzungs-, Emissions- und Klimaszenarien der internationalen Forschergemeinde im Vorfeld des 5. IPCC-Berichtes abgelöst", sagt Tim Carter vom SYKE-Institut, aber das bedeutet nicht, dass die ALARM-Szenarien ihren Wert verlieren würden, so Martin Sykes von der Lund Universität in Schweden: "Die neuen Szenarien können als komplementär angesehen werden, da sie detailliertere und regional spezifischere sozio-ökonomische Charakterisierungen als die SRES-Szenarien beinhalten." Tim Carter, der auch einer der Autoren des derzeit entstehenden 5. IPCC-Berichts ist, sieht eine wichtige Aufgabe des IPCC darin zu beurteilen, wie diese neuen Szenarien in Relation zu den SRES-Szenarien und anderen globalen Szenarien zu werten sind. Aus dieser Analyse kann dann der Stellenwert der ALARM-Szenarien für die zukünftige Klima- und Biodiversitätsforschung abgeleitet werden. Wird die EU-Politik in der Lage sein, den Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen?

Die BAMBU-Szenarien zeigen, dass eine Fortsetzung der aktuell beschlossenen EU-Politiken den Verlust der Biodiversität in vielen Fällen zwar bremsen, aber nicht stoppen oder gar umkehren kann. Eine Politik, die Wirtschaftswachstum zum zentralen Ziel erhebt, das zeigt das Wachstumsszenario (GRAS), würde - mit wenigen Ausnahmen - sogar zu einem beschleunigten Verlust der biologischen Vielfalt auf der ganzen Linie führen. "Das Nachhaltigkeitsszenario SEDG ist eindeutig das wirksamste, um die biologische Vielfalt zu schützen. Allerdings zeigt auch die hier getestete Variante, dass der Verlust nicht in jedem Fall aufzuhalten ist", erklärt Ingolf Kühn vom UFZ.

Joachim Spangenberg fasst die Studienergebnisse zusammen: "Die aktuelle Politik zum Schutz der Biodiversität reicht nicht, um das EU-Ziel zu erreichen, anhaltende Verluste zu stoppen, den Trend umzukehren und verlorene biologische Vielfalt zu restaurieren. Kohärente Nachhaltigkeitsstrategien sind unverzichtbar, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Doch um Verluste endgültig zu stoppen und den Trends umzukehren brauchen wir eine neue Agrar-, Forst-, Fischerei-, Chemie-, Verkehrs-, Siedlungs- und Landnutzungspolitik die dem Ansatz des ALARM-Nachhaltigkeitsszenario folgen, aber mit Maßnahmen, die noch über die im -Szenario getesteten hinaus gehen."

Die Zeit wird zeigen, ob die ALARM-Szenarien bei den Anwendern in Politik und Wirtschaft zu nützlichen Einsichten führen wird. Der ALARM-Koordinator und Mitautor des 5. IPCC-Berichtes Josef Settele vom UFZ und seine Kollegen sind jedenfalls davon überzeugt, dass die Szenarien einen wertvollen Beitrag zur Kohärenz von zukünftigen Politiken zum globalen Wandel leisten können. Die Schwerpunktausgabe zeigt, wie die Kooperation unterschiedlicher Disziplinen und Forschungsexpertisen zu diesem Ziel beitragen kann.


Publikation

Die Publikationen können Sie kostenlos downloaden unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/geb.2012.21.issue-1/issuetoc

Direkter Link zum Einführungskapitel (Editorial) unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1466-8238.2011.00720.x/full

und zum Abstract des Szenario-Übersichtsbeitrages unter:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1466-8238.2010.00620.x/abstract


Weitere Informationen

PD Dr. Josef Settele
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Aufgrund des derzeitigen Aufenthaltes bei einem IPCC-Autorentreffen nur per email:
josef.settele[at]ufz.de

Dr. Joachim Spangenberg
Tel. 0171-3253105
joachim.spangenberg[at]ufz.de

Dr. Ingolf Kühn
Tel.: 0345 558 5311
ingolf.kuehn[at]ufz.de

Dr. Oliver Schweiger
oliver.schweiger[at]ufz.de

Doris Böhme (UFZ-Pressestelle)
Telefon: 0341 235 1269
presse[at]ufz.de

Veröffentlichungen in der Spezialausgabe:

• Scenarios as a tool for large-scale ecological research: experiences and legacy of the ALARM project: Josef Settele, Timothy R. Carter, Ingolf Kühn, Joachim H. Spangenberg and Martin T. Sykes
• Scenarios for investigating risks to biodiversity: Joachim H. Spangenberg, Alberte Bondeau, Timothy R. Carter, Stefan Fronzek, Jill Jaeger, Kirsti Jylhä, Ingolf Kühn, Ines Omann, Alex Paul, Isabelle Reginster, Mark Rounsevell, Oliver Schweiger, Andrea Stocker, Martin T. Sykes and Josef Settele
• Representing two centuries of past and future climate for assessing risks to biodiversity in Europe: Stefan Fronzek, Timothy R. Carter and Kirsti Jylhä
• The socio-economic modelling of the ALARM scenarios with GINFORS: results and analysis for selected European countries: Andrea Stocker, Ines Omann and Jill Jäger
• Projecting the future distribution of European potential natural vegetation zones with a generalized, tree species-based dynamic vegetation model: Thomas Hickler, Katrin Vohland, Jane Feehan, Paul A. Miller, Benjamin Smith, Luis Costa, Thomas Giesecke, Stefan Fronzek, Timothy R. Carter, Wolfgang Cramer, Ingolf Kühn and Martin T. Sykes
• Potential implications of future climate and land-cover changes for the fate and distribution of persistent organic pollutants in Europe: Alexander G. Paul, Volker C. Hammen, Thomas Hickler, Ulrich G. Karlson, Kevin C. Jones and Andrew J. Sweetman
• Projecting trends in plant invasions in Europe under different scenarios of future land-use change: Milan Chytr, Jan Wild, Petr Pysek, Vojtech Jarosík, Nicolas Dendoncker, Isabelle Reginster, Joan Pino, Lindsay C. Maskell, Montserrat Vilà, Jan Pergl, Ingolf Kühn, Joachim H. Spangenberg and Josef Settele
• Increasing range mismatching of interacting species under global change is related to their ecological characteristics, Oliver Schweiger, Risto K. Heikkinen, Alexander Harpke, Thomas Hickler, Stefan Klotz, Otakar Kudrna, Ingolf Kühn, Juha Pöyry and Josef Settele

Das ALARM-Projekt (Assessing LArge-scale environmental Risks for biodiversity with tested Methods; www.alarmproject.net) brachte 250 Wissenschaftler aus 68 Partnerorganisationen und 35 Ländern zusammen, um mögliche zukünftige Risiken für globale und europäische biologische Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen zu erforschen.


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg ungefähr 1.000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen- Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 17 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).


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Quelle:
UFZ-Pressemitteilung 2011/51, 12.12.2011
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tilo Arnhold
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011