Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

VERBRAUCHER/040: Soziale Innovationen statt Marktförderung für Ökoprodukte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010
Wohlstand durch Wachstum? Wohlstand ohne Wachstum? Wohlstand statt Wachstum?

Nachhaltiger Konsum jenseits des Wachstums
Soziale Innovationen statt Marktförderung für Ökoprodukte

Von Sylvia Lorek


Unsere Gesellschaft erkennt - zumindest thematisiert - zunehmend, dass unsere Weltwirtschaft nicht unbegrenzt wachsen kann. Zugegebenermaßen kein neues Thema, aber es wird immer brisanter. Klimawandel ist (noch?) in aller Munde. Dazu kommen weniger imposant aufgearbeitete Probleme: Verlust von Biodiversität, Bedrohung der Wälder und Süßwasservorräte und der Meere. Parallel ist festzustellen, dass die potentiellen Fördermengen von Rohöl, aber auch z.B. Phosphor, Kupfer und diversen seltenen Metallen und Erden mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten oder bereits zurückgehen.

Was all dem als Ursache zugrunde liegt ist unsere zutiefst unnachhaltige Art uns Ressourcen anzueignen, sie in zum Teil menschenverachtenden Produktionsprozessen zu Dingen umzuformen und diese dann ohne Gedanken über ihren Ursprung zur ge- oder verbrauchen "weil ich es mir wert bin". Es gibt also sehr gute Gründe, warum die Forderung nach 'nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern immer wieder erhoben wird wie z.B. 1987 im Brundtlandreport, 1992 in der Agenda 21 und 2002 im 'Johannesburg Plan of Implementation'.


Stellenwert in Politikprozessen

Aktuell finden die politischen Bemühungen, solche Konsum- und Produktionsmuster zu erreichen, im internationalen Kontext im 'Marrakech Prozess' statt, national im 'Dialogprozess Nachhaltiger Konsum'.

Ein wesentliches Ergebnis des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung (WSSD) in Johannesburg 2002 war der Beschluss zur Entwicklung eines Zehn-Jahres-Rahmenprogramms für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster. Das Programm sollte einen Rahmen für vielfältige Aktivitäten weltweit bilden, die das Ziel verfolgen, Produktion und Konsum stärker an den Grundsätzen nachhaltiger Entwicklung zu orientieren. Eine Konkretisierung dieser Ziele erfolgte im Juni 2003 auf einer von den Vereinten Nationen organisierten internationalen Konferenz in Marrakesch, die dem darauf folgenden Prozess seinen Namen gab.

Die Bundesregierung initiierte im Februar 2004 den nationalen Dialogprozess zur Förderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster. Bereits die Eröffnungsveranstaltung dieses Dialogprozesses löste mit ihrer unambitionierten Ausrichtung so viel Enttäuschung aus, dass sich engagierte NGOler aus zahlreichen Verbänden zu einer losen AG zusammengefunden haben (die sich im Forum beheimatet sieht) um wenigstens etwas strategisch nach vorne zu denken. Alle weiteren Veranstaltungen des BMU/UBA erfüllten jedoch was sie versprachen: Sie sind 'FachDialoge'. 'Fach' bedeutet dabei vor allem, dass man miteinander über ausgewählte Nischenthemen eines nachhaltigen Konsums redet. In ihnen zeigt sich ein Verständnis von nachhaltigem Konsum, dass seinen Ausgangspunkt in der integrierten Produktpolitik hat. Nicht: 'was brauchen wir eigentlich für ein nachhaltiges Leben' ist die treibenden Frage, sondern: 'wie integriere ich die Schwachstelle Konsument in eine nachhaltigere Produktpolitik eines umsatzrelevanten Wirtschaftsgebiets'. Mit 'Dialog' wiederum ist gemeint, dass das BMU sich in dem Prozess in der Rolle eines Moderators sieht, um Selbstverpflichtungsprozesse anzuregen. Aktive Vorgaben oder gar Forderungen sind Mangelware.


Soweit so schlecht!

Der Blick auf den internationalen Marrakech Prozess ist nicht vielversprechender. Ursprünglich hatte man geglaubt, das im Johannesburg 'Plan of Implementation' geforderte '10-Jahres-Rahmenprogramm' würde bis 2012 seine Früchte tragen. Inzwischen ist längst ernüchtert festzustellen, dass dieses Programm zehn Jahre gebraucht haben wird, bis es 2012 von der CSD verabschiedet wird. Und zwar auf niedrigstem Niveau. Auch hier gab es, parallel zur Entwicklung in Deutschland, zunächst großes Engagement von NGOs sowie aus der Wissenschaft um notwendige Impulse in Handlungen zu bringen. Auch hier ebbte das Interesse ab, weil die zuständigen Organisationen sich als beratungsresistent erwiesen bzw. die zuständigen Abteilungen bei UNEP und UN DESA sich mit substanziellen Ansätzen nicht durchsetzen konnten.

Während die Politik also in Sachen nachhaltiger Konsum Beschäftigungstherapie betreibt, wird die Notwendigkeit eines Richtungswechsels für unsere Konsumgesellschaften immer größer. Zu Zeiten von Brundtland hätte es noch gereicht das Wirtschaften ein wenig abzubiegen. In den 1980er Jahren kam die Weltwirtschaft noch mit den Ressourcen aus, die die Erde pro Jahr bereit stellte. Doch seit dem haben wir nicht gebremst sondern stattdessen weiterhin an Fahrt (sprich Wachstum) zugenommen. Im Jahr 2009 lag der vom 'Global Footprint Network' berechnete und veröffentliche 'World Overshoot Day' bereits im September.

Konzertierte Aktionen statt Beliebigkeit fürs gute Gewissen Nach wie vor wird zu wenig darauf geachtet, die Initiativen für nachhaltigen Konsum auf solche Bereiche zu fokussieren, die tatsächlich eine beachtliche Reduzierung des Ressourcen- und Energieverbrauchs oder der Klimagase erreichen können. Zahlreiche Studien kommen hier immer wieder zu folgenden Ergebnissen:

Ernährung: Reduzierung des Verbrauchs tierischer Nahrungsmittel (Fleisch und Milchprodukte; Bevorzugung organischer und regionaler Produkte,
Bauen und Wohnen: in der Nutzungsphase Heiz- und Kühlenergie, in der Bauphase Ressourcenverbrauch abhängig von Größe, Stil und Standort des Hauses,
Mobilität: Nutzung des Autos und seiner Alternativen, Flugverkehr. Eine Konzentration auf diese Bereiche bei staatlichen wie zivilgesellschaftlichen Programmen könnte der Beliebigkeit der 1000 Tipps zum Nachhaltigen Konsum Einhalt gebieten, die für jeden ein ökologisches Peanuts dabei hat, das in der Gesamtumweltbilanz völlig irrelevant ist.

Ein weiteres Problem der aktuellen Politik für nachhaltigen Konsum besteht darin, dass sie als Instrument zur Absatzförderung ökologischer oder ethischer Produkte betrachtet wird. Zielgruppe eines solchen Nachhaltigkeitsmarketings sind bevorzugt die LOHAS, Menschen die einen 'Lifestyle of Health and Sustainability' pflegen. Man kann natürlich behaupten, dass ohne LOHAS unsere Konsumgesellschaft noch weniger nachhaltig wäre. Andrerseits entpuppen sich die Kaufentscheidungen der LOHAS häufig als "Greenwashing"-Aktivitäten, die von den wahren Problemen ablenken: der Ausbeutung der Zulieferer, umweltschädlichen Produktionsbedingungen oder ungerechten Handelsbeziehungen.


Die freiwillige Verzichtsdebatte war gestern

Angesichts der Größe der Herausforderungen für unsere Lebensweise durch die bekannten Bedrohungen muss eine Politik für nachhaltigen Konsum weit darüber hinausgehen, die nachhaltigeren Produkte verkaufen zu wollen. Vor allem NGOs (neben der Wissenschaft) sind hier gefragt, Werte zur Debatte zu stellen und so Systemveränderungen einzufordern aber auch vorzubereiten. Nur sie haben das moralische Standing und genießen das notwendige Vertrauen in der Bevölkerung. Davor schrecken viele Aktive, die die moralisch geprägte 'Verzichtsdebatte' in den 80er Jahren haben scheitern sehen, allerdings zurück. Verständlich einerseits, eine riesige Herausforderung aber andrerseits. Denn allein die Tatsache dass NGOs noch keine Patentrezepte gefunden haben, wie man den Spendern, den Mitgliedern aber auch der breiten Öffentlichkeit klar machen kann das gewaltige Veränderungen anstehen, lässt das Problem nicht verschwinden. Bei Peak-Oil wie beim Klimawandel stellt sich längst nicht mehr die Frage: Werden sie kommen? Aufgabe ist vielmehr vorbereitet zu sein um die Folgen abzufedern. Damit verschiebt sich die Debatte die zu führen ist von: 'Sollten wir nicht besser verzichten?' zu 'Wie lässt sich Lebensqualität unabhängig von Markt und Wachstum verwirklichen?'. Einfach und schmerzlos wird das wohl kaum gehen. Angebracht ist eher eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche. Die Peitsche sind die klaren Tatsachen: Wieviel Konsum lassen die begrenzten Ressourcen auf Dauer zu? Was heisst das für die Gesellschaft und für den Einzelnen? Was passiert, wenn wir jetzt nicht handeln? Klare Nachhaltigkeitsziele - wie das 2 Grad Ziel für die Erderwärmung - müssen daher auch in anderen Bereichen endlich benannt werden. Das Zuckerbrot ist die Botschaft, dass nicht alles in einer Katastrophe und im Zusammenbruch enden muss. Zahlreiche soziale Innovationen sprießen in diversen gesellschaftlichen Bereichen von Regionalwährungen über die 'Transition Town'-Bewegung bis zu 'Guerillia Gardening'. Diese Ansätze sind nicht zufällig vor allem auf regionaler oder lokaler Ebene angesiedelt. Sich darauf verlassen zu können, das Grundbedürfnisse - aber auch soziale Bedürfnisse - nicht von einem ölabhängigen globalisierten Markt abhängen, wird zunehmend wichtiger werden. Nicht nur technologische, auch solche sozialen Innovationen gilt es für einen nachhaltigen Konsum systematisch zu initiieren und zu fördern. Und zwar schnell.

Die Autorin ist Vorsitzende es Sustainable Europe Research Instituts (SERI) e.V. in Deutschland und koordiniert die AG Lebensstile im Forum Umwelt und Entwicklung.


*


Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010, S. 19-20
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65 53173 Bonn
Telefon: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2010