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FRAGEN/019: Den Erhalt der Biodiversität schaffen wir nur mit den Bürgerinnen und Bürgern (Umwelt Perspektiven)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ

Umwelt Perspektiven
Der UFZ-Newsletter - Dezember 2019

Den Erhalt der Biodiversität schaffen wir nur mit den Bürgern

Interview von Steffen Reichert mit Prof. Dr. Johannes Vogel



Ein Raunen geht durch die Wissenschaftswelt: Das Museum für Naturkunde Berlin bekommt von Bund und Land Berlin 660 Millionen Euro - für bauliche Investitionen, aber auch für die Entwicklung zu einem Öko-Thinktank mit weltweiter Ausstrahlung. Maßgeblicher Inspirator dieser Entwicklung ist Prof. Dr. Johannes Vogel. Anlässlich seines Vortrages zur Helmholtz Environmental Lecture am UFZ sprach der Biologe mit der UmweltPerspektiven-Redaktion über seine Visionen. Es geht ihm um die Rettung der Biodiversität, aber auch um die richtigen Wege dahin. Und die führen für den Botaniker über Wissenschaftsdialog und Citizen Science.


Fast zwei Millionen Bayern erzwingen einen Volksentscheid zur Rettung der Bienen. Wir vermissen tote Insekten auf unseren Windschutzscheiben. Fühlen immer mehr Menschen, dass mit der Natur etwas schief läuft?

Ich glaube, dass ganz viele Menschen über ihre Intuition verstehen, dass es so, wie es ist, vielleicht nicht gut ist. Grundsätzlich scheint es so zu sein, dass gerade in der Politik der Informationsgrad der Menschen oftmals überschätzt, aber die Intuition unterschätzt wird. Ich sehe das aber nicht nur als eine riesige Herausforderung für die Politik, sondern natürlich auch für die Wissenschaft an.

Welche Dimension hat das Artensterben auf der Welt inzwischen angenommen?

Es ist katastrophal. Wir haben in den letzten 200 Jahren gewaltige Ressourcen für uns Menschen mobilisiert. Und das auf Kosten der globalen Ökosysteme. Sei es in den Meeren, wo wir es überhaupt nicht sehen, sei es an Land, wo wir eben beobachten können, wie viele Fußballfelder Regenwald jeden Tag abgeholzt werden. Aber eben auch hier in Europa, wo sich die Städte zu den biodiversitätsreichsten Biotopen entwickelt haben. Das alles hat zwei Gründe: Zum einen, dass viele Arten in Städte einwandern. Zum anderen, dass es außerhalb der Städte ein großes Sterben gibt.

Wie entwickelt sich angesichts der dramatisch abnehmenden Biodiversität das Problembewusstsein von Gesellschaften?

Wir als Menschen befinden uns in einem schwer lösbaren Widerspruch. Wir möchten jeden Tag in den Supermarkt gehen und alles kaufen können, wonach uns gerade der Sinn steht. Wir sehen aber durch die Produktfülle und die leichte Zugänglichkeit gar nicht die Wirkungsketten, die damit zusammenhängen. Wenn alle so konsumieren würden wie wir hier in Deutschland, bräuchten wir drei Erden. Die haben wir nicht. Ich bin aber kein Katastrophenverkünder, sondern eher hoffnungsvoll, weil wir smart genug sind, auf dieser Erde für alle Menschen ein Leben in und mit der Natur gestalten zu können. Wir müssen es aber anders machen als bislang.

Denkt man an die politische Entwicklung in Brasilien, gibt es nach wie vor Tendenzen, Natur und Artenvielfalt vorwiegend wirtschaftlichen Interessen zu opfern ...

Mir macht Angst, wenn die beiden apokalyptischen Reiter - die Ungleichheit und die Umweltzerstörung - gemeinsam vor einem Karren stehen. Deren erstes Ziel wäre die Zerstörung der Demokratie. Ich glaube aber, dass kein anderes System überhaupt die Grundlage bietet, kluge Lösungen für die Herausforderungen zu finden. Je mehr nach einfachen Antworten geschrien wird, je weniger haben wir in der Gesellschaft die Widerstandskraft und Fähigkeit, uns diesen Herausforderungen zu stellen. Kurzfristig mögen solche politischen Akteure Erfolg haben, aber langfristig verlieren die Menschen die Demokratie. Und dann haben wir alle verloren.

Was muss Politik leisten, um den Artenrückgang zu stoppen?

Das ist eine große Herausforderung. Ich glaube in Europa, und da besonders in Mitteleuropa, kann man sich verschiedene Szenarien vorstellen. Für mich ist zum Beispiel vorstellbar, dass wir sagen, wir wollen in Europa wieder eine artenreiche Natur. Und dafür gibt es ganz klare Strategien: Eine wäre es, die Intensität der Landwirtschaft herunterzufahren und eine bestimmte Prozentzahl an Fläche der Natur zurückzugeben. Wir wissen um die positiven mittelfristigen Effekte solcher Maßnahmen. Alternativ könnte man sagen: Wir haben hier die fruchtbaren Böden und die Wassersicherheit. Warum ist Europa nicht mit Teilen von Nordamerika der Brotkorb der Welt, warum ernähren nicht wir die Welt? Dafür könnten sich Länder wie Paraguay oder Brasilien, die sehr biodiversitätsreich sind, verpflichten, mit der Zerstörung der um vieles artenreicheren Lebensräume aufzuhören.

Am Ende kommt es aber darauf an, dass es nur globale Lösungen geben kann, was natürlich Nationalismus und Populismus nicht leisten können. Kein Land ist mehr eine Insel. Was sich heute niemand bewusst macht, ist, dass vor 200 Jahren die Möglichkeit bestand, dass einzelne Staaten Probleme der Ernährung oder der Sicherheit der Bevölkerung tatsächlich weitgehend allein lösen konnten. Heute ist es für kein einziges Land - nicht einmal für China, Russland oder die USA - möglich, Klima-, Wasser- oder Ernährungssicherheit kurz- oder mittelfristig zu garantieren. Und das müsste eigentlich dazu führen, dass man zusammenfindet, anstatt irgendwelche "Land x first"-Strategien zu fahren. Das macht mich traurig.

In welchen Bereichen sind die Deutschen am ehesten bereit, ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil den Zwängen der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen?

Die Frage impliziert ja auch den Vergleich mit anderen Ländern. Beim Mülltrennen waren die Deutschen schon immer Vorreiter. Beim Klimaschutz gibt es andere Länder, die durch Problembewusstsein und Regulierung viel weiter sind als wir. Ein Beispiel ist Dänemark. In Deutschland hat man sich lange nicht dem Regulierungsbedarf annähern wollen. Politikerinnen und Politiker wissen, dass Regulierungen Eingriffe in das Konsumverhalten von Bürgern darstellen. Sie haben Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Aber Regulierungen sind wirksam und letztlich auch akzeptabel. Man sieht das in Skandinavien, wo seit Jahrzehnten Innenstädte für den privaten motorisierten Verkehr eingeschränkt sind. Das wird heute selbstverständlich akzeptiert und als Gewinn empfunden. Man muss sich eben manchmal unbeliebt machen und den Leuten etwas zumuten, um dadurch auf mittlere Sicht gute Veränderungen und eine höhere Lebensqualität zu erzielen.

Und da sieht es im Moment nicht gut aus?

Ich denke, man sollte Demokratien nie unterschätzen. Auch nicht die Vereinigten Staaten, die sich mehrmals selbst neu erfunden haben. Am Ende kommt es darauf an, wie wir als Menschen, die in einer demokratischen Wissensgesellschaft leben wollen, uns dieser Herausforderung stellen. Und wie wir uns aktiv an der Stabilisierung der demokratischen Wissensgesellschaft beteiligen. Da sind alle aufgefordert mitzuarbeiten.

Welchen Sinn machen vor diesem Hintergrund zwischenstaatliche Gremien wie der Weltbiodiversitätsrat IPBES?

Ich glaube, dass sie ganz wichtige Rollen spielen können. Sie müssen aber noch besser unterstützt werden durch die Verbindung der staatlichen Vertreter in diesen Gremien mit ihrer jeweiligen nationalen Politik. Am Ende können diese Institutionen nur so stark sein, wie es die staatlichen Vertreter wollen und können. Sonst verkommen sie zu reinen Quasselbuden.

Zurück zu den Bienen. Drohen bei weiterer Negation der Probleme von Bestäubern existenzielle Probleme für Mensch und Natur?

Der größte Teil der Bestäubungsleistung wird durch Wildbienen erbracht. Wildbienen sind auf reich strukturierte diverse Landschaften angewiesen, die jedoch sind bedroht oder werden vernichtet. Wenn es aber nicht diese vielen verschiedenen Pflanzenarten gibt, dann wird es auch keine verschiedenen Bienenarten geben, die davon abhängig sind. Das ist ein großes Problem. Auch wichtig an diesem Thema ist meiner Meinung nach: Die Bienen, genauer gesagt die Honigbienen, sind die mit am längsten mit dem Menschen zusammenlebenden Organismen. Das ist eine lange und tiefe Beziehung. Die Honigbiene ist auch das einzige Tier, so glaube ich, das namentlich im Bürgerlichen Gesetzbuch benannt ist. Dort geht es um die Haltung dieser Insekten. Es gibt ganz viele tiefe emotionale, soziale, juristische und historische Zusammenhänge mit der Biene. Und deswegen eignet sich die Biene sehr gut als ein Fokus für Diskussionen um die Artenvielfalt.

Nicht mehr und nicht weniger als der Pflege des ökologischen Gedächtnisses der Menschheit hat sich das Naturkundemuseum verschrieben. Warum ist Berlin der ideale Ort für diese globale Herausforderung.

Es gibt nach meiner Ansicht keinen besseren Ort als Berlin. Wenn sie nach Washington schauen, sehen sie auf der einen Seite der Prachtstraße die Ministerien und auf der anderen die Museen. Das ist so gebaut werden, damit sich Kultur und Macht sozusagen spiegeln. Es gibt da aber heute kaum Beziehungen zwischen diesen beiden Seiten der Straße. In Deutschland hat man sich lange auf eine Diskurskultur zwischen Macht, Wissenschaft und Kultur eingespielt. Und deswegen ist die Entwicklung eines Ortes, wo Wissenschaft, Politik und Wirtschaft miteinander in einen Diskurs für eine nachhaltige, aber auch smarte Welt treten, in Berlin am besten aufgehoben. Das Naturkundemuseum hat riesige Kulturbrüche durch den Zweiten Weltkrieg und später erlebt, seine Entwicklung war für 90 Jahre gestoppt. Das erlaubt heute eine Entwicklung, das schafft Spielräume, etwas Neues zu schaffen, was in einer fertigen Organisation wie dem Natural History Museum in London vielleicht gar nicht möglich wäre.

Ins Naturkundemuseum soll die unglaublich hohe Summe von 660 Millionen Euro fließen. Was wird mit dem Geld passieren?

Wir schauen jetzt auf die nächsten zehn Jahre. Es wird ein Prozess sein, in dem wir uns neu erfinden wollen. Wir wollen vor allem starke und herausfordernde Partner in Berlin, der Leibniz-Gemeinschaft oder bei Helmholtz finden, die sich an dieser Entwicklung beteiligen wollen. Das sehr viele Geld, das wir dankenswerterweise vom Bundestag und vom Land Berlin bekommen konnten, sehe ich als Verantwortung und als Mittel für Deutschland und Europa, nicht nur für das Museum selbst.

Sie wollen die Grenzen zwischen Sammlung, Forschung und Ausstellung durchbrechen - wie soll das genau aussehen?

Am wichtigsten ist, Menschen mit Menschen zusammenzubringen. Anfang März bin ich in Berlin in den Invalidenpark gegangen, um mir die Schülerdemonstrationen "Fridays for Future" anzusehen. Ich habe dort mit einigen der Schülerinnen und Schüler geredet, bin dann zurück ins Museum und habe gesagt, wir laden sie ein. Zwei Wochen später haben wir die Museumstüren für die Schüler geöffnet ohne Eintritt zu verlangen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Institutionen dazu geholt und einen Diskurs mit den jungen Menschen gestartet. Das Haus war voll. Fast 7.000 Besucher sind gekommen, sonst sind es 2.000 bis 3.000. Und alle haben an diesem Nachmittag gelernt, die Forscher wie die Schüler. Das Museum für Naturkunde Berlin ist eine Institution, wo die Menschen keine Hemmschwelle haben müssen. Das ist ein Pluspunkt, den wir im Wissenschaftssystem noch weiter ausbauen wollen. Junge Menschen und wir als Wissenschaftler haben das gleiche Anliegen: Wir wollen gehört werden.

Wie sehen Sie die stellenweise wachsende Wissenschaftsfeindlichkeit?

Mit großer Sorge. Wir wissen aus Umfragen, dass 85 Prozent der Menschen in der westlichen Welt von der Evolution statt vom Kreationismus überzeugt sind. Von diesen 85 Prozent können aber leider nur zehn Prozent erklären, wie Evolution funktioniert. Fragt sich, was die anderen sich da vorstellen, wenn sie es sich nicht erklären können. Ähnlich sehe ich es bei der Wissenschaft. Ich glaube, dass viele Menschen Vertrauen in die Wissenschaft haben, aber vielleicht gar nicht wissen, was Wissenschaft ist und wie sie funktioniert. Und da bewegen wir uns dann auf sehr wackligem Boden. Es liegt an der Wissenschaft, nach draußen zu gehen, und den Prozess der Wissenschaft als solchen und die Faszination der Wissenschaft noch viel besser und mit viel mehr Energie zu erklären. Denn ich glaube, dass die laut Wissenschaftsbarometer rund 60 Prozent der Wissenschaft zugewandten Bürger auch ganz schnell 20 Prozent sein können. Es liegt an uns als Wissenschaftler, diese Zahl zu stabilisieren oder zu entwickeln. Da haben wir eine Bringschuld. Deswegen - und da wollen wir eng mit dem UFZ zusammenarbeiten - spielt Citizen Science eine entscheidende Rolle. Den Menschen muss Wissenschaft als etwas nicht außerhalb ihres Lebens Existierendes nahegebracht werden. Da ist noch ganz viel Luft nach oben.


Prof. Dr. Johannes Vogel
- Jahrgang 1963, studierte Biologie an der Universität Bielefeld und promovierte 1995 an der University of Cambridge in Genetik. 1995 bis 2012 arbeitete er am Natural History Museum in London, ab 2004 als Chefkurator der botanischen Abteilung. Sein Forschungsgebiet waren vor allem die Farne. 2012 wurde Johannes Vogel zum Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin ernannt. Diese Tätigkeit geht einher mit einer Professur für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Vorsitzender der European Citizen Science Assoziation, deren Sitz im Naturkundemuseum Berlin ist. Johannes Vogel ist mit Sarah Darwin, einer Ur-Ur-Enkelin von Charles Darwin, verheiratet.

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Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der seit 2009 herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Plenum diskutieren.

Bisherige Gastredner: Klaus Töpfer, Hans Joachim Schellnhuber, Achim Steiner, Jochen Flasbarth, Angelika Zahrnt, Frank Schirrmacher †, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ottmar Edenhofer, Stephan Kohler, Thilo Bode, Matthias Horx, Michael Braungart, Hartmut Rosa, Stefan Juraschek, Claudia Kemfert und Ellen Matthies.

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Quelle:
Umwelt Perspektiven / Der UFZ-Newsletter - Dezember 2019, Seite 22-25
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2020

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