NATURSCHUTZ heute - Heft 4/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.
Auf Zuruf
Mobilität auf dem Land
Im Hof der NABU-Bundesgeschäftsstelle reihen sich die Fahrräder. Mit dem Auto kommt hier niemand zur Arbeit, es wäre auch gar nicht einfach, in Berlin-Mitte einen freien Parkplatz zu finden. Und wer einen längeren Weg hat, der nimmt Bus oder Bahn, das Nahverkehrs-Monatsticket stellt beim NABU selbstverständlich der Arbeitgeber.
Wer auf dem Land lebt, kann davon nur träumen. Ein Ticket nutzt nichts, wenn der Anschluss fehlt und bestenfalls in der Frühe ein Schulbus verkehrt. Landleben ist vielerorts gleichbedeutend mit der zwangsweisen Anschaffung eines eigenen Autos. Da kann das Umweltbewusstsein noch so ausgeprägt sein.
Immer weitere Wege
Wer kein Auto hat oder zu gebrechlich ist, muss sich auf Verwandte und
Freunde verlassen. Wo diese fehlen, kann die Landidylle zur Qual
werden. Denn wenn die Landflucht einsetzt, wird es mit der
Daseinsvorsorge immer schwieriger - vom Grundgesetzauftrag der
"gleichwertigen Lebensverhältnisse" ganz zu schweigen. Der Dorfladen
ist in der Regel längst verschwunden, der Weg zum Arzt wird immer
weiter, zu den Behörden ebenso.
Mehr und mehr Regionen versuchen nun, mit flexiblen Verkehrsangeboten gegenzuhalten. "Rufbus" lautet das Zauberwort vom Bayerischen Wald bis Ostfriesland, im Vogtland ebenso wie in der Uckermark. Im schlechtesten Fall verschleiert dieser zwar nur den Wegfall bisheriger Linienverbindungen, in der Regel aber schafft der Rufbus den lebensnotwendigen Kontakt zur Außenwelt.
Eine Stunde Vorlauf
Rufbus-Modelle gibt es viele, gemeinsam ist aber allen: Spontan geht
anders. Während Großstädter gewohnt sind, an der Haltestelle ihrer
Wahl alle fünf bis zehn Minuten eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen,
funktioniert der Rufbus nur mit Voranmeldung. Spätestens eine oder
auch zwei Stunden vor Abfahrt muss die "Mobilitätszentrale" angerufen
werden. Der Ruf per App und SMS, wie er zum Beispiel im südbadischen
Rheinfelden möglich ist, ist noch die Ausnahme. Auch die
Verkehrszeiten sind eingeschränkt.
Spontan geht anders: Spätestens eine oder auch zwei Stunden vor Abfahrt muss die "Mobilitätszentrale" angerufen werden.
Vor allem ältere Menschen nutzen den Rufbus, die Betreiber haben sich darauf eingestellt. Einstiegshilfen sowie Plätze für den Rollator oder den Rollstuhl gehören fast schon zum Grundangebot. Teils werden die Fahrgäste direkt zuhause abgeholt, noch öfter dort abgesetzt - gut mit schweren Einkaufstaschen. Das Haltestellennetz ist fein gesponnen. So kommt man etwa im Kreis Passau auf potentielle 1.200 Haltepunkte, zwischen Parchim und Plau am See in Mecklenburg will man im Dezember in der ersten Stufe mit immerhin 450 Haltepunkten starten.
Zubringer und Lückenfüller
Teils decken die Rufbusse die Zeiten außerhalb des regulären Fahrplan
ab - so in Angermünde, wo Fahrten nur akzeptiert werden, wenn "eine
Stunde vorher und nachher kein Linienverkehr angeboten" wird. Die
Rufbusse dienen aber auch als Zubringer zu Haltestellen des regulären
Linienverkehrs einschließlich der Bahn. Kostendeckend können solche
Angebote nicht sein. Gemeinde, Kreis oder Land finanzieren kräftig
mit. Die Fahrgäste zahlen meist den regulären Nahverkehrstarif, je
nach Service mit einem Euro Aufschlag. In Passau gibt es ein
Rufbus-Jahresticket für das gesamte Kreisgebiet für nur 45 Euro.
Dass es zu Konflikten zwischen den Verkehrsträgern kommt, ist eher selten. So legte die Bayerische Eisenbahngesellschaft - ein Staatsunternehmen - Einspruch ein gegen Rufbusstrecken, da diese parallel zu Bahnverbindungen laufen. Die Bezirksregierung von Niederbayern hat daraufhin tatsächlich "Bedienverbote" ausgesprochen. Vor Ort ist die Aufregung groß, das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Carsharing im kleinen Kreis
Typisch ist eher ein anderer Fall: Im brandenburgischen Bad
Freienwalde musste jüngst eine ältere Frau hilflos anderthalb Stunden
vor der Moorbad-Klink warten, weil der Rufbusfahrer eine falsche
Abholzeit notiert hatte. Eine Alternative gab es nicht, denn der Ort,
immerhin Kurstadt mit 12.000 Einwohnern, hat kein einziges
Taxiunternehmen mehr.
Wo es keine Taxis gibt, gibt es auch keine Carsharing-Angebote. München, Hamburg oder Berlin sind mit Carsharingautos zugepflastert. Doch kleine Standorte lohnen sich für die Unternehmen nicht, schon gar nicht auf dem Land. In diese Lücke stoßen nun pfiffige Nachbarschaftsvereine. Im nordfriesischen Kixbüll etwa, unter tausend Einwohner, steht und fährt jetzt ein "Dörpscar". Bei 3,50 Euro Gebühr je Stunde, so berichtet der NDR, muss der Wagen mindestens drei Stunden täglich rollen, damit sich die Anschaffung lohnt. Dazu reichen zehn regelmäßige Nutzer. Sieben sind schon gefunden.
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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/16, Seite 14 - 15
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2016
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