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VERKEHR/1192: Illusion Klimaneutralität - Hamburger Flughafen verursacht Klimaschaden von 360 Mio. Euro (BAW)


BAW - Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein - Pressemitteilung, 20. September 2019

Illusion Klimaneutralität: Hamburger Flughafen verursacht Klimaschaden von 360 Millionen Euro


Fliegen ist die Fortbewegungsart mit der höchsten Klimalast. Die große Mehrheit der Menschheit ist noch nie geflogen - aber die kleine Minderheit, die regelmäßig fliegt, schadet der Umwelt mit ihrem Handeln extrem. Im Jahr 2018 sind 97 Prozent der Weltbevölkerung nicht geflogen. Die verbleibenden 3 Prozent haben mit ihrem Handeln insgesamt eine Milliarde Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) verursacht. Der klimawirksame Schadstoffausstoß des "Helmut Schmidt-Airports" betrug im Jahr 2018 insgesamt ca. 2,0 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent. Damit steht er in Hamburg in der Rangliste der städtischen Klimakiller auf Platz 2 nach dem Kohlekraftwerk Moorburg. Der vom Flughafen ausgehende Klimaschaden beträgt dabei 360 Millionen Euro! In zehn Fragen und Antworten haben wir uns anlässlich des heutigen Globalen Klimastreiktages unter dem Motto #AlleFürsKlima der Fragestellung nach der Klimalast des Luftverkehrs genähert.

Was muss die Gesellschaft für das Fliegen bezahlen?

Allein der Luftverkehr innerhalb Deutschlands verursacht einen jährlichen externen Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschaden von 1,3 Milliarden Euro - zu zahlen durch die Allgemeinheit, da keinerlei "Einpreisung" (Internalisierung) dieser Kosten über das Flugticket stattfindet. Etwas mehr als die Hälfte (56%) des Schadens des Luftverkehrs ist auf die Klimakosten zurückzuführen. Weitere 21% entfallen auf vor- und nachgelagerten Prozesse wie z.B. Herstellung, Unterhalt und Entsorgung von Energieträgern (Treibstoffe, Strom), Fahrzeugen, Verkehrsinfrastruktur), 16% auf Luftschadstoffe, 5% auf den Lärm, 1% sind Natur- und Landschaftskosten und rund 0,3% gehen auf Unfälle zurück. Es ist allerdings zu beachten, dass der rein inländische Luftverkehr nur 3,6% der gesamten luftverkehrsbedingten Belastungen von deutschen Flughäfen ausmacht. Der Gesamtschaden fällt dementsprechend noch wesentlich höher aus ...

Kann der Passagier einen Beitrag zur Verbesserung leisten?

Der überwiegende Teil der Luftverkehrspassagiere übt ein preisgetriebenes Mobilitätsinteresse zu Lasten Dritter aus. Von den 24 deutschen Verkehrsflughäfen sind laut Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr 2019 fast 58,9 Millionen Passagiere - zumeist im Zusammenhang mit Freizeitflügen - abgehoben. Dies waren 4,1% mehr als im Vorjahreszeitraum; ein neuer Allzeit (Negativ-)Rekord. Die Zahl der Passagiere mit Inlandsflügen stieg um 2,3% auf rund 11,6 Millionen; das Passagieraufkommen ins Ausland nahm sogar um 4,5% auf knapp 47,3 Millionen zu. Die einfache Antwort auf die Frage, welcher (sinnhafte) Beitrag zu erbringen ist, lautet, deutlich weniger zu fliegen!

Wie funktioniert Atmosfair?

Im Jahr 2018 sind 97% der Weltbevölkerung nicht geflogen. Fliegen ist (und bleibt) im globalen Maßstab eine Luxus-Mobilitätsform zu Lasten Dritter. Damit die Flugklientel kein schlechtes Gewissen bekommt, gibt es beispielsweise Atmosfair. Prinzip hierbei ist, dass die Flugpassagiere ihre CO2-Emissionen durch eine Kompensationsleistung (z.B. Verbreitung effizienter Kochherde, Bau von kleinen Biogasanlagen, Projekte zur Nutzung regenerativer Energien, Umweltbildung) "neutralisiert" bekommen. Atmosfair klärt auf, doch die Wirkung ist nur minimal. Da es sich bei der (freiwilligen) Zahlung um eine Spende handelt, kann der Betrag auch noch steuerlich abgesetzt werden. Zugespitzt zahlt die Allgemeinheit daher nicht nur den durch die Umherfliegerei entstandenen Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschaden, sondern zusätzlich die Abmilderung der individuellen Flugscham.

Kann ich direkt bei meiner Fluggesellschaft "ausgleichen"?

Insbesondere die Billigfluggesellschaften (Low Cost Carrier) ignorieren das Thema "Schädlichkeit des Fliegens" weitgehend. Da ihr Geschäftsmodell brutal auf Kostenminimierung ausgerichtet ist, bleiben Gedanken zum Schutz von Mensch und Umwelt nahezu in Gänze ausgeblendet. Die schwedische Fluggesellschaft SAS kompensiert den luftverkehrsbedingten CO2-Fußabdruck der Stammkunden, die ihr Flugticket unter einer Vielfliegernummer gebucht haben, automatisch. Für Flugpassagiere unter 26 Jahren bezahlt SAS die CO2-Kompensation je Flug aus eigener Kasse.

Wie gleiche ich bei Lufthansa aus?

Der deutsche Platzhirsch der Luftfahrtbranche Lufthansa setzt vor allem auf die Sackgassentechnologie der synthetischen Kraftstoffe und blendet hierbei die katastrophale Energiebilanz bei deren Herstellung aus. Wie es sich gehört, kostet das gute Fluggewissen bei Lufthansa deutlich mehr als bei Atmosfair (s.u.). Für einen Hin- und Rückflug zwischen Hamburg und München werden pro Person immerhin 73,50 Euro fällig. Dieser Preis deckt jedoch nur 48% der tatsächlich entstehenden individuellen Gesundheits-, Umwelt- und Klimakosten ab.

Wie viel kompensieren deutsche Passagiere?

Der Anteil der Flüge, die mittels Ablasshandel "kompensiert" werden, liegt im deutlich niedrigen einstelligen Prozentbereich. Sehr viel mehr können es auch nicht werden, da es nicht genügend (qualifizierte) Kompensationsmaßnahmen weltweit gibt. Das derzeitige Kompensationsinstrument dient daher weit überwiegend dem (kurzfristigen) Greenwashing der Luftverkehrsbranche. Angemessen ist es dagegen, die durch den Luftverkehr verursachten externen Gesundheits- , Umwelt- und Klimaschäden direkt im Flugpreis abzubilden. Eine derartige Kostenwahrheit beträgt beispielsweise für einen Hin- und Rückflug von Hamburg nach München pro Passagier 153 Euro. Beim Branchenprimus Atmosfair kostet das "gute Gewissen" auf einer vergleichbar langen Strecke (Salzburg) dagegen pro Passagier nur 10 Euro ...

Was sind "synthetische Kraftstoffe"?

Der weltweite Verbrauch des gesundheitsschädlichen und umweltgefährdenden Flugzeugtreibstoffs Kerosin - verursacht durch den kommerziellen Luftverkehr - betrug im vergangenen Jahr 356 Mrd. Liter. Bei dessen Verbrennung wurden knapp eine Milliarde Tonnen klimarelevantes Kohlenstoffdioxid (CO2) ausgestoßen. Gemäß Kostensatz des Umweltbundesamtes (UBA) von 180 Euro pro Tonne CO2, entstand hierdurch ein weltweiter luftverkehrsbedingter Klimaschaden von 177 Mrd. Euro.

Bei der PtL-Technik handelt es sich um altbekannte Verfahren (Sabatier-Prozess, Fischer-Tropsch-Synthese), die sich jedoch aufgrund des immensen Energieaufwandes - und der damit verbundenen sehr hohen Erstellungskosten - in den vergangenen 100 Jahren nicht durchsetzen konnten. Ursache für diese betriebswirtschaftliche nicht aufhebbare Schieflage ist der energetisch hochgradig ineffiziente Herstellungsprozess. Bei der Umwandlung von Windenergie in luftverkehrsbezogene Vortriebskraft gehen über 90% der Ausgangsenergie verloren. Eine derartige Verschwendung von wertvoller, nicht fossiler Energie stellt einen Umweltfrevel dar.

Was sagen Umweltexperten zu Power-to-liquid?

Aufgrund der Ineffizienz des Herstellungsverfahrens ist PtL-Kerosin strikt abzulehnen. Nicht fossile Energieträger müssen direkt eingesetzt werden. Die meisten Personenkilometer pro Megawattstunde (MWh) sind über den schienengebundenen Verkehr möglich. Selbst der personengebundene batterieelektrische Autoverkehr hat einen wesentlich besseren Wirkungsgrad als das "grüne Fliegen".

Das häufig sinnarme Hin- und Herfliegen wird in Deutschland staatlich hoch subventioniert anstatt die Luftverkehrsbranche für die von ihnen erzeugten Umweltschäden gemäß Verursacherprinzip konsequent zur Rechenschaft zu ziehen. Durch die Ausnahme des Flugbenzins von der Energiesteuer und die "Befreiung" internationaler Flugtickets von der Mehrwertsteuer schenkt der Staat den Fluggesellschaften jedes Jahr fast zwölf Milliarden Euro. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission belegt, dass allein durch die Besteuerung von Kerosin in Europa die Flugemissionen um 11% reduziert werden könnten - ohne negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze oder die Wirtschaft.

Selbst unter der (irrigen) Annahme, dass die Herstellung von PtL-Kerosin nicht in Konkurrenz zur hochwertigeren Nutzungsformen stehen würde - der Anteil der "regenerativen" Energie am gesamten Strommix innerhalb Deutschlands lag im vorvergangenen Jahr bei lediglich 41% - würde die Verbrennung von PtL-Kerosin (bestenfalls) CO2-neutral, nicht jedoch klimaneutral sein.

Rechnerisch ist die weltweite zivile Luftfahrt derzeit zwar "nur" für knapp 3% der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich; die Klimaschädlichkeit des Flugverkehrs beruht aber nicht nur auf den CO2-Emissionen. Flugzeuge stoßen auch Stickoxide aus, die unter dem Einfluss der Sonne zur Bildung von Ozon führen, welches wiederum in einer Flughöhe von 9.000 bis 13.000 Metern seinerseits als starkes Treibhausgas wirkt. Daneben verursachen auch die vom Flugzeug ausgestoßenen Rußpartikel und Wasserdampf die Bildung von Kondensstreifen sowie Zirruswolken, die ebenso eine aufheizende Wirkung haben. Zu beachten ist daher der RFI-Faktor (Radiative Forcing Index) von 2,7, um den erhöhten Treibhauseffekt von Flugzeugemissionen in großen Flughöhen angemessen abzubilden. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt daher den Anteil des zivilen Flugverkehrs am Treibhauseffekt (d.h. dem anthropogen induzierten rapiden Klimawandel) aktuell auf bis zu 8%. Ohne klimaschützende Maßnahmen (z.B. der Einführung einer Kerosinsteuer sowie einer CO2-Abgabe) könnte sich dieser Anteil innerhalb weniger Jahre auf 15% steigern.

Warum werden die synthetischen Kraftstoffe nicht immer genutzt?

Die internationale Umweltorganisation "Transport & Environment" hat errechnet, dass, um 50% der im Jahr 2050 innerhalb Europas für die kommerzielle Luftfahrt benötigten Kerosin-Menge mittels PtL-Verfahren herzustellen, 880 Terrawattstunden (TWh) zusätzliche elektrische Energie notwendig wären. Dies entspricht ca. 24% des aktuellen Strombedarfs insgesamt innerhalb der Europäischen Union von ca. 3.655 TWh. Etwas plakativ ausgedrückt: Damit der Luftverkehr sich zukünftig ein "grünes Klimagewissen" machen kann, indem er zu 100% mit PtL-Kerosin fliegt, müssten bei der Hälfte aller Haushalte sowie dem Gewerbe und der Industrie nicht nur die Lichter ausgehen, sondern die gesamte Stromversorgung gekappt werden.

Noch absurder wird es, wenn man versucht dem Ansatz Glauben zu schenken, dass das PtL-Kerosin mittels Überschuss-Windenergie erzeugt werden könnte: In Deutschland wurden 2017 insgesamt 600 TWh Strom gebraucht/verbraucht. Davon wurden 105,5 TWh in Windkraftanlagen erzeugt (Onshore 87,2 TWh, Offshore 18,3 TWh); dies entspricht 17,6%. Die Ausfallquote, d.h. die abgeregelte Einspeisung sämtlicher Erneuerbaren Energien, betrug 2017 "lediglich" rund 5,6 TWh. Allein die Deutschen Fluggesellschaften benötigten 2017 für ihren Flugbetrieb 10,4 Mrd. Liter Kerosin. Um diesen elektrisch herzustellen, wären ca. 284 TWh Strom erforderlich. Die sogenannte Überschuss-Windenergie könnte daher, unter der sehr eignungshöffigen Annahme, dass dieser Anteil zu 100% für PtL-Kerosin nutzbar wäre, lediglich 2% des Kerosinbedarfs abdecken!

Was hilft wirklich?

Um die CO2-Last im Luftverkehr deutlich zu senken, muss die Anzahl der Flugbewegungen reduziert werden. Diese steigen fast ungebremst und heizen das Gesamtsystem in vielfältiger Weise auf. Das Fliegen als nachgewiesen umweltschädlichste Mobilität ist heutzutage noch immer zu billig gegenüber anderen Verkehrsträgern. Insbesondere die fehlende Besteuerung des Kerosin (Flugbenzin) trägt erheblich hierzu bei. Der Spagat zwischen dem dringend erforderlichen Klimaschutz und dem teils unvermeidbaren Fliegen als Teil der Mobilität wird anerkannt. Eine Kerosinsteuer muss also so ausgestaltet sein, dass insbesondere durch alternative Verkehrsträger vermeidbare Flüge höher besteuert werden, als unvermeidbare Flugverbindungen. Die Folgekosten klimaschädlicher Aktivitäten müssen von den Verursacher übernommen werden. Nur so besteht überhaupt ein Anreiz dieses Verhalten emissions- und klimagerecht zu ändern und letztlich seinen eigenen CO2-Fußabdruck angemessen zu reduzieren.

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Quelle:
Pressemitteilung, 20.09.2019
BAW Bürgerinitiativen für Fluglärmschutz
in Hamburg und Schleswig-Holstein
Bilenbarg 21, 22397 Hamburg
E-Mail: presse@baw-fluglärm.de
Internet: www.baw-fluglaerm.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2019

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