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BILDUNG/045: Filmischer Abgesang auf Atomkraft - Dokumentarfilm "Unter Kontrolle" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 161 - April/May 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Filmischer Abgesang auf Atomkraft
"Unter Kontrolle", Dokumentarfilm von Volker Sattel (2011)

Von Angelika Nguyen


Tschernobyl hat uns das Genick gebrochen", sagt der Wachmann des still gelegten Brüters Kalkar mit tragischem Gesicht. Fast möchte man mit ihm weinen. Die atomare Verheißung der 1950iger Jahre, die saubere Utopie der Zukunft - jetzt ist sie futsch.

Der Film erzählt eine kleine Historie der deutschen Kernenergie auf besondere Art, nämlich ohne jede Polemik. Regisseur Volker Sattel, zugleich auch Kameramann, erkundet Atomkraft räumlich, architektonisch, technisch und lässt diese Eindrücke auf uns wirken. Angesichts des ganz realen Super-GAUs im japanischen Atomkraftwerk Fukushima nach dem Tsunami und der eilig verfügten Aussetzung des Ausstiegs aus dem Ausstieg durch die Schwarz-Gelbe Regierung wirkt dieser Film hochaktuell. Nüchtern allerdings nimmt er aus dem Thema jede Leidenschaft heraus und macht Bestandsaufnahme. Was war, was ist und was wird sein?

Sachlichkeit bedeutet für Volker Sattel jedoch nicht, dass er zu Atomkraft keine Haltung hätte. Die teilt der Regisseur durchaus mit, beispielsweise über das intensive Gefühl der Beklemmung, das die Kamera in 600 Meter Tiefe im unterirdischen Endlager Morsleben einfängt.

Der Film nähert sich dem Thema von innen. Er dringt in die Gebäude der Atomkraftwerke, zeigt in Echtzeit Betriebsabläufe, das Herunterlassen der Brennstäbe, die Duschen und Dekontaminierungsschleusen, eine Hakenleiste für gebrauchte Mäntel, Betriebsversammlungen und die Atomkuppel, besucht die gespenstische Investitions ruine und den seltsamen Rummelplatz von Kalkar.

Still und aufmerksam fährt die Kamera die riesigen Ausmaße der Atomkraftwerke ab. Durch diese filmische Unvoreingenommenheit bekommen wir eine Ahnung davon, wie alles begann: gigantisch, selbstbewusst, optimistisch.

Aber wer kann heute noch im Ernst behaupten, Atomkraft sei sicher, sauber, zukunftsträchtig? Höchstens die Atomindustrie selbst. Und indem sie im Film für sich wirbt, setzt sie sich ganz allein dem Spott und besseren Wissen des Publikums aus. Diese Selbstdarstellung nutzte Sattel konzeptionell und kam dabei ohne jeden verbalen Kommentar aus. Das ist subtil und erzeugt mehr als einen Lacher.

So erschließt sich am Schluss auch der Filmtitel in dreifacher Bedeutung: Unter Kontrolle fanden die Dreharbeiten statt, unter Kontrolle wähnen noch immer Beschäftigte und Fürsprecher der Atomindustrie die Radioaktivität und "unter Kontrolle" schließlich als ironischer Kommentar, denn gerade die erwiesene Unkontrollierbarkeit der Atomenergie macht sie zur größten Zeitbombe der Geschichte.

Auf der Berlinale 2011, wo der Film lief, sagte der Autor und Aktivist Henning Mankell: "Atomare Überreste werden das Letzte sein, was von der Menschheit bleibt. Ich finde, das erzählt viel über uns."

Die geometrische Form der Atomkuppel, Symbol für Atomkraftwerke, stellt eine unvermeidliche Verbindung zur Aussage eines Mitarbeiters im Film her, eine Art AKW-Credo: "Was hier drinnen ist, bleibt auch drinnen."

Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Weniger denn je.


Voraussichtlicher Kinostart von "Unter Kontrolle" ist der 1.9.2011


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:

Atomei - Forschungsreaktor Garching

Aufzüge zum Reaktorbereich

Fotos: www.mydrive.ch


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"Ich wollte mir mein eigenes Bild machen"

Interview mit Volker Sattel über seinen Film "Unter Kontrolle"

Wie kam es bei der heutigen Zukunftslosigkeit der Atomenergie zu der Idee, einen Film über Atomkraftwerke zu machen?

Da kamen mehrere Sachen zusammen. 2007 war mit dem Beschluss im Bundestag, die Laufzeiten für Atomkraftwerke (AKW) nicht zu verlängern, allgemein akzeptiert, dass Atomenergie keine Zukunft hat. Dann war 2008 der 50. Jahrestag der deutschen Atomenergie. Das gab Anlass für eine Art Bilanz: Was ist aus der einstigen Utopie geworden? Was sind ihre Hinterlassenschaften? Eigentlicher Ausgangspunkt aber war ein architektonisches Erlebnis, das ich bei einem Besuch der Internationalen Atombehörde in Wien hatte. Es ist ein riesiger 70iger-Jahre-Bau in konzentrischer Form mit über 2.000 Mitarbeitern. Das Personal beeindruckte mich ebenfalls. Die Leute in ihren schicken schwarzen Anzügen sahen aus wie vom Geheimdienst.

Diese Faszination von Architektur ist ihrem Film anzusehen.

Mir ging es um die Wahrnehmung der Orte. So zeigte ich bei der Selbstdarstellung der Mitarbeiter statt der klassischen redenden Köpfe das Verhältnis der Menschen zum Raum, zeigte ihre Argumentationen innerhalb des Systems. Ich verzichte auf alles Mögliche, das ein Dokumentarfilm üblicherweise hat. Bei mir gibt es keine direkten Protagonisten und auch keine Polemik. Es geht mir um ein Panorama, eine Bestandsaufnahme, nicht um eine einzelne Figur.

Ich werfe einen Blick auf laufende und ein paar stillgelegte AKW. Mich interessiert, wo Forschung stattfindet, wo der Müll hinkommt, wo Leute geschult werden. Wo findet die Urananreicherung statt, wo sind die Lagerstätten? Das ist ein großes Netz. Mich interessiert auch: was verlangt das den Menschen ab?

Woher kommt dieses Interesse?

Das hat bei mir auch biographische Ursachen. Ich bin in unmittelbarer Nähe eines Atomkraftwerkes groß geworden. Tschernobyl war Teil meiner Sozialisation.

Mich interessiert an Atomkraft die Technologie. Das bestimmt meinen Blick. Damit verbunden ist auch ein gewisses Verständnis für diese Industrie jenseits von emotional- ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Atomindustrie und Atomkraftgegnern. Ich wollte mir mein eigenes Bild machen, wollte da selbst reingehen.

Welche Schwierigkeiten gab es?

Die größte Aufgabe war es, das Vertrauen der Unternehmen zu gewinnen. Sie sind da gebrannte Kinder und misstrauen den Medien. Das war eine echte Hürde, denn in ein AKW kommt man nicht so einfach rein. Hinzu kommt die ständige Kontrolle gegenüber dem, was man dreht. Greenpeace hat jedenfalls keine Erlaubnis zu drehen.

Sie hatten aber offenbar das Vertrauen der Atomindustrie?

Es gab eine Menge Auflagen. Jede Frage, jede Aufnahme musste abgesprochen werden, immer war ein Pressemensch dabei. Das ist natürlich ein fundamentaler Widerspruch zu mir als Filmemacher und Dokumentarfilmer. Aber als sie merkten, ich lasse sie vor der Kamera ihren Standpunkt vortragen, war eine Basis da. Von da an betrachteten sie es vielleicht als ihre Öffentlichkeitsarbeit. Wir konnten überall drehen, wo wir wollten, auch in Hochsicherheitsbereichen.

Es ist ein gewisses Verständnis für die Perspektive der Arbeitnehmer zu merken.

Das sind ja alles Ingenieure, Fachleute. Für sie habe ich Sympathie, auch wenn sie etwas betreiben, was mir nicht passt. Ich wollte nicht, dass die Figuren als Gegner der Zuschauer betrachtet werden.

Hatten Sie während des Drehs Angst um ihre Gesundheit?

Durch die vielen Sicherheitsschleusen ist einem die Gefahr der Kontaminierung immer bewusst. Richtig konkret wurde es, als das Messgerät an meinem Körper sechs Mikrosievert anzeigte. Gekommen war ich mit null Mikrosievert.

Das Gespräch führte Angelika Nguyen

Das Gespräch wurde aus redaktionellen Gründen gekürzt.


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 161 - April/Mai 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2011