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CHEMIE/378: Glyphosat ist überall (Securvital)


Securvital 4/2015 - Oktober-November
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Unkrautvernichtungsmittel
Glyphosat ist überall

von Norbert Schnorbach


Glyphosat ist das meistverkaufte Pflanzengift der Welt. Jetzt steht es im Verdacht, krebserregend zu sein. Rückstände finden sich in Lebensmitteln, auf Getreidefeldern, im Tierfutter, im Trinkwasser und sogar in der Muttermilch. Die EU prüft, ob die Zulassung des Pestizids verlängert wird.


Die Rewe-Gruppe machte den Anfang. In ihren Toom-Baumärkten wird kein Unkrautvernichtungsmittel mehr verkauft, das den Wirkstoff Glyphosat enthält. "Zum Schutz von Umwelt und Natur", so ein Unternehmenssprecher, werde das umstrittene Pestizid aus dem Gartensortiment entfernt. Andere Märkte wie zum Beispiel Bauhaus, Kauber und Pflanzen-Kölle kündigten ebenfalls in den vergangenen Wochen einen Verkaufsstopp an. Auch in der Schweiz haben die Supermarktketten Migros und Coop das Pflanzengift bereits aus den Regalen genommen. Glyphosat ist in Verruf geraten. Ein Vermarktungsverbot in der EU ist möglich.

Das Pestizid ist seit 40 Jahren auf dem Markt und wird weltweit in großen Mengen verwendet. Was Biobauern und Umweltorganisationen wie Greenpeace und BUND schon seit langem vermuten, gerät jetzt in den Fokus von Gesundheitsexperten und Politikern: Die gesundheitlichen Gefahren des Pestizids wurden möglicherweise in der Vergangenheit unterschätzt. Ein Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam im März 2015 bei einer Neubewertung zu dem Schluss, Glyphosat sei "wahrscheinlich krebserregend". Außerdem steht es im Verdacht, Missbildungen bei Neugeborenen zu verursachen.

Weltweites Gefahrenpotential

Wenn sich diese Alarmmeldung bewahrheitet, ist das Gefahrenpotential enorm. Glyphosat ist das meistverkaufte Pflanzenschutzmittel der Welt. Als Wirkstoff in zahlreichen Handelsmarken wird Glyphosat in einer Größenordnung von mehr als 700 Millionen Kilogramm pro Jahr produziert. Der Verbrauch in Deutschland liegt bei etwa sechs Millionen Kilogramm jährlich. Es dient dazu, alles verdorren zu lassen, was grünt und blüht. Kleingärtner bekämpfen damit störendes Unkraut. Öffentliche Grundstücke, Parks, Gleisanlagen und Autobahnrandstreifen werden mit Glyphosat chemisch gejätet. Landwirte sprühen es vor der Aussaat, um die Felder zu "bereinigen", und kurz vor der Ernte, um die Reifung zu kontrollieren. Jedes missliebige Kraut und Unkraut, das bei Wachstum und Ernte stört, wird damit beseitigt. Dafür bleiben Pestizid-Rückstände im Boden, im Wasser und in den Lebensmitteln.

Glyphosat ist ein Beispiel dafür, was die Globalisierung der Landwirtschaft, Hand in Hand mit der Gentechnik, den Verbrauchern zumutet. Obwohl schon 40 Jahre seit dem Beginn der industriellen Herstellung vergangen sind und obwohl das Herbizid mittlerweile bis in den letzten Winkel der Erde verkauft wird, ist das Gefahrenpotential für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt immer noch nicht ausreichend geklärt. Glyphosat-Hersteller wie Syngenta, Bayer, BASF und Monsanto bestehen - bis zum Beweis des Gegenteils - auf der Einschätzung, es sei weniger gesundheitsschädlich für den Menschen als andere Pestizide. Es sei harmloser als andere Pflanzengifte, denn es werde nach dem Einsatz von Mikroorganismen im Boden abgebaut und neutralisiert.

"Die Bundesregierung muss Glyphosat aus dem Verkehr ziehen!"
Bärbel Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag

Es gibt jedoch keinen Zweifel mehr daran, dass Glyphosat-Rückstände mittlerweile in fast allen Lebensbereichen nachweisbar sind: Im Grund- und Trinkwasser, in Lebensmitteln, im Tierfutter und im Urin von Menschen. Beim Test von Weizenmehl, Haferflocken, Brötchen und Linsen fand Ökotest Glyphosat-Rückstände. Kürzlich wies eine Aufsehen erregende Untersuchung das Pestizid auch in der Muttermilch nach, wenn auch in geringen Mengen. Im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen wurde eine kleine Anzahl von 16 Muttermilchproben aus verschiedenen Bundesländern im Labor analysiert. Dabei fanden sich Glyphosat-Rückstände bis zu 0,4 Nanogramm pro Milliliter.

Dennoch gab das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Entwarnung: Die Werte in der Muttermilch seien unbedenklich. Gesundheitlich relevante Höchstmengen, die für Lebensmittel gelten, würden damit nicht überschritten. Gemeinsam mit der nationalen Stillkommission empfahl das BfR, junge Mütter sollten keinesfalls aus Angst vor Glyphosat das Stillen unterlassen.

Umwelt- und Verbraucherschützer fordern dagegen politische Maßnahmen: "Die Bundesregierung muss Glyphosat aus dem Verkehr ziehen, bis die Gesundheitsrisiken dieses Gifts geklärt sind", sagte Bärbel Höhn von den Grünen. Das trifft einen politisch heiklen Punkt. Denn die Zulassung von Glyphosat in der EU gilt ebenso wie in den USA nur noch bis Ende 2015. Bis dahin soll in einem zurzeit laufenden Verfahren entschieden werden, ob das Pestizid weiterhin vermarktet werden darf. Die Entscheidung trifft die EU-Kommission in Abstimmung mit den Regierungen der EU-Staaten. Federführend ist das deutsche BfR-Institut, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht. Es hat die Verlängerung der Zulassung in der EU bis zum Jahr 2025 empfohlen und Glyphosat "bei bestimmungsgemäßer Anwendung" als unbedenklich eingestuft.

"Wahrscheinlich krebserregend"

Kritische Experten beurteilen das anders. Sie sehen sich bestätigt durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Deren Wissenschaftlergremium für die Beurteilung von Krebsrisiken (International Agency for Research on Cancer, IARC) kam zu dem Ergebnis, dass Glyphosat bei Tierversuchen nachweislich häufiger zu Tumoren führt. Beim Menschen seien die Erkenntnisse weniger eindeutig, aber es gebe Hinweise auf eine krebserregende Wirkung von Glyphosat. Das WHO-Gremium stufte das Pestizid in die Kategorie der "wahrscheinlich krebserregenden" Stoffe ein. "Es gab volle Einstimmigkeit im Hinblick auf diese Einstufung", berichtete der deutsche Krebsforscher Kurt Straif, leitender Wissenschaftler der IARC. Möglicherweise spielt das Zusammenwirken von Glyphosat mit anderen Chemikalien oder mit Schwermetallen eine wichtige Rolle.

In nationalen und internationalen Expertenkreisen wird über diese Bewertung und die zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Methoden gestritten. Die politische Entscheidung aber ist überfällig. Die EU hat die Zulassungsprüfung von Glyphosat bereits seit drei Jahren hinausgezögert. Nun regt sich Widerstand auf vielen Ebenen. Umweltorganisationen wie der BUND und Aktionsbündnisse wie Campact haben Online-Petitionen gegen Glyphosat gestartet. Bienenzüchter und Verbände der biologischen Landwirtschaft wie Bioland und Demeter warnen ebenso wie Greenpeace schon seit Jahren vor den ökologischen Schäden durch Pestizide.

Internationale Verbreitung

Außerhalb Europas wird Glyphosat in großen Mengen in Kombination mit der Gentechnik verwendet. In Nord- und Südamerika werden auf riesigen Flächen Soja- und Maissorten angebaut, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie resistent gegen Glyphosat sind. Wenn die Landwirte diese Gentechnik-Sorten nutzen, spritzen sie auch das Pestizid - es lässt ihren Mais und Soja stehen und beseitigt alle anderen Pflanzen. Gentechnik und Glyphosat im Doppelpack zu vermarkten, ist für die Hersteller, allen voran die US-Firma Monsanto, seit den 90er Jahren ein Milliardengeschäft.

Aber die Sorge um die gesundheitlichen Folgen wächst auf internationaler Ebene. In den großen Soja-Anbaugebieten in Südamerika häufen sich die Berichte über Krankheiten und Missbildungen bei Kindern. In Argentinien untersuchte eine staatliche Kommission die hohe Zahl von Krebserkrankungen bei Kindern, der Verdacht fiel auf Glyphosat als Verursacher. In Kolumbien gab der Staatspräsident bekannt, das Land werde in Zukunft auf den Einsatz von Glyphosat bei Entlaubungsaktionen gegen Koka-Plantagen verzichten.

Hersteller wehren sich

In Mittelamerika, Indien und Sri Lanka gibt es nach Recherchen des International Consortium of Investigative Journalists seit Jahren Hinweise darauf, dass der Masseneinsatz von Glyphosat bei Plantagenarbeitern zu zahlreichen tödlichen Nierenerkrankungen führte. Aus den USA und Kanada flossen wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang von Krebserkrankungen und Glyphosat in die Bewertung der IARC-Experten ein.

Die Glyphosat-Hersteller wehren sich. Die Chemikalie habe eine "insgesamt geringe toxische Wirkung des Stoffes auf Tiere und Menschen", argumentiert die "Glyphosate Task Force", ein Zusammenschluss von Pestizid-Herstellern. Sie erhofft sich eine zehnjährige Verlängerung der Zulassung in Europa ab 2016. "Alle bisherigen Überprüfungen der Zulassungsbehörden haben ergeben, dass Glyphosat kein inakzeptables Risiko für Mensch und Umwelt darstellt". Nach ihrer Auffassung ist Glyphosat sogar ein Segen für die Menschheit - als "Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft".

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Ein Gift gegen alles, was grünt und blüht

Glyphosat ist ein Totalherbizid mit der chemischen Bezeichnung N-(Phosphonomethyl)glycin. Es blockiert die Produktion von Aminosäuren und lässt alle Pflanzen in kurzer Zeit absterben, die nicht resistent sind oder entsprechend gentechnisch verändert wurden. Ob und wie Glyphosat auch Zellkulturen und Erbgut verändert, hormonell wirksam ist, Missbildungen verursacht und krebserregend wirkt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt.


Das können Sie tun
  • Biolebensmittel kaufen: Biobauern verwenden weder Glyphosat noch andere Pestizide.
  • Keine Pestizide verwenden: "Im eigenen Garten lieber auf ökologische Alternativen setzen", empfehlen die Verbraucherzentralen.
  • Petitionen unterstützen: Aktuell fordern der BUND (www.bund.net) und das Aktionsbündnis Campact (www.campact.de) ein Verbot von Glyphosat bzw. mehr Risikovorsorge.


Mehr Infos
Greenpeace: Pestizide und unsere Gesundheit - die Sorge wächst (Hamburg, Mai 2015)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Wenn das Getreide vor der Ernte mit Glyphosat behandelt wird, finden sich Rückstände im Brot.
  • Der Verbrauch an Pflanzengiften in der konventionellen Landwirtschaft wächst und wächst.
  • Auch Tierfutter ist Pestizid-belastet, vor allem, wenn es mit importiertem Soja angereichert ist.
  • Mit Laboruntersuchungen lassen sich auch kleinste Pestizid-Rückstände nachweisen.
  • Genmanipulierter Mais ist ähnlich wie Soja und Baumwolle speziell auf den Einsatz von Glyphosat ausgerichtet.

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Quelle:
Securvital 4/2015 - Oktober-November, Seite 6 - 10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
alternativer Versicherungskonzepte
Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2015

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