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ENERGIE/1303: Unseriöse Werbung - Wüstenstrom wird nicht zum Jobwunder (IPPNW)


IPPNW - Berlin, den 3. Juli 2009

IPPNW: Wüstenstrom wird nicht zum Jobwunder


Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW kritisiert das Werben für Wüstenstrom aus der Sahara ("Desertec") mit dem Arbeitsplatz-Argument als unseriös. Es sei eine Binsenweisheit, dass eine Investition von 400 Milliarden Euro auch in dem Maße zu Arbeitsplätzen führe, wie die Gelder nicht für Gewinne, Boni und überhöhte Managergehälter abgezweigt würden. "Vor diesem Hintergrund sollte man hellhörig werden, wenn das Wuppertal Institut hohe Gewinne für die beteiligten Großbanken und Energiekonzerne verspricht", meint IPPNW-Energieexperte Henrik Paulitz. "Das Geschäftsmodell der Wüstenstromerzeugung ist identisch mit dem bei fossilen und nuklearen Großkraftwerken: Der durch staatliche Subventionen und Privilegien relativ günstig erzeugte Strom wird zu weit überhöhten Preisen an die Bevölkerung verkauft. Wenige Banken und Energiekonzerne erzielen hohe Gewinne und es werden weniger Arbeitsplätze geschaffen als möglich wären. Das Geschäftsmodell einer dezentralen erneuerbaren Energiewirtschaft ist für die Bevölkerung weitaus interessanter: Hier können Kommunen, zahlreiche Unternehmen und Millionen Bürger wirtschaftlich profitieren und bei geringeren Gewinnspannen ist der Arbeitsplatzeffekt deutlich höher."

Der heutige 15%-Anteil der überwiegend dezentralen erneuerbaren Energien an der Stromversorgung in Deutschland führte unter Berücksichtigung von Exporten bereits zur realen Schaffung von 280.000 Arbeitsplätzen. Ein 9%- bzw. 26%-Stromanteil weltweit soll beim Wüstenstromkonzept laut Prognose des Wuppertal Instituts hingegen bis zum Jahr 2050 nur zu 360.000 bis 580.000 neuen Arbeitsplätzen führen, darunter zu 36.000 bis 240.000 in Deutschland. "Ein Jobwunder ist das jedenfalls nicht", so Paulitz.

Die IPPNW kritisiert zudem, dass es mit dem Wüstenstromkonzept mehrere Jahrzehnte dauern soll, bis 15% mehr Strom für Deutschland und Europa erzeugt werden können. Das Wuppertal Institut geht in seiner Studie davon aus, dass die 400 Milliarden Euro bis zum 2050 investiert werden. "Mit dezentralen erneuerbaren Energien schafft man die nächsten 15% oder auch 30% in wenigen Jahren und die entsprechenden Arbeitsplätze dazu", so Paulitz. "Das Argument, man müsse wegen des Klimaschutzes nun schnell in die Wüstenstromtechnik einsteigen, überzeugt daher überhaupt nicht. Man darf sich sogar die Frage stellen, ob es tatsächlich im großen Stil zu einer Wüstenstromerzeugung in der Sahara kommen wird. Finanzielle, technische und politische Gründe sprechen dafür, dass Desertec genauso endet wie der seit Jahrzehnten versprochene, aber nie realisierte Fusionsreaktor Iter, der Schnelle Brüter in Kalkar oder der Transrapid. Dennoch lassen sich solche verheißungsvollen Großprojekte von Banken und Konzernen gut nutzen, um jahrzehntelang steuerfinanzierte Forschungs- und Entwicklungsmilliarden vom Staat zu kassieren."

Nach Auffassung der IPPNW könnte man rund 400 Milliarden Euro aus Steuergeldern und Stromverkaufsgewinnen der Energiekonzerne weitaus sinnvoller anlegen. "Investiert in dezentrale erneuerbare Energien bringt das nicht nur mehr Arbeitsplätze, sondern sichert die regionale Unabhängigkeit von Stromimporten, und eine flexible Reaktion auf neue technische Entwicklungen der erneuerbaren Energien", betont IPPNW-Experte Dr. Jürgen Hölzinger.


Über die IPPNW:

Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, 03.07.2009
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Sven Hessmann, Pressereferent
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2009