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ENERGIE/1336: Zukünftige Stromerzeugung auf Basis der erneuerbaren Energien (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 102/3.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Störfall war gestern!

Von Dirk Seifert, Hamburg


Es ist keine Frage: Die zukünftige Stromerzeugung wird auf Basis der erneuerbaren Energien stattfinden und sie wird in einem flächendeckenden, aber dezentral strukturierten Netzwerk organisiert sein. Die alten Stromkonzerne und ihre Großkraftwerke auf Basis von Kohle und Atom werden aussterben. Aber: In die Enge getrieben könnten sie Kräfte mobilisieren, die dieses Ende noch für lange Jahre aufschieben würden. Jahre, in denen die Klimakatastrophe weitergehen wird und in denen es zu einem schweren Störfall kommen kann! Deshalb müssen wir handeln!

Bereits in 11 Jahren, also im Jahr 2020, könnten die erneuerbaren Energien 48 Prozent an der deutschen Stromversorgung ausmachen. Fast 20 Prozent mehr, als die derzeitige Bundesregierung anstrebt. Voraussetzung dafür ist, dass es beim Atomausstieg bleibt und die derzeitigen Rahmenbedingungen fortgeschrieben werden. Der Anteil der Atomenergie von derzeit rund 23 Prozent wird durch die erneuerbaren Energien also um mehr als Doppelte übertroffen. Nach dem Aus der Atomenergie, könnten auch noch fast alle Braunkohlekraftwerke - ebenfalls mit derzeit 23 Prozent an der Stromversorgung beteiligt - abgeschaltet werden.

Der Umbau der Energieversorgung hin zu den erneuerbaren Energien wird seit Jahren vor allem über eine mittelständisch geprägte Unternehmensstruktur betrieben. Mit Unterstützung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist es gelungen, in den vergangenen knapp zehn Jahren den Anteil der regenerativen Stromerzeugung von knapp sieben auf heute rund 15 Prozent zu steigern.

Die großen vier Stromkonzerne haben die Dynamik und das Potential dieser im Vergleich zu ihren Großkraftwerken unbedeutend erscheinenden Technologie vollkommen falsch eingeschätzt - und damit bis heute einen Marktanteil von 15 Prozent verloren.

Zukunft ist dezentral und erneuerbar!

Immer mehr ändert sich die Vorstellung von einem Stromerzeuger: Über 100 Jahre war mit diesem Begriff das Bild eines großen Unternehmens verbunden, extrem kapitalstark, angesichts seiner Bedeutung für Wohlstand und Wirtschaftstätigkeit quasi im Rang eines Staats im Staate. Die Energieversorgung war jahrzehntelang Daseins-Vorsorge, bei der Staat und Unternehmen miteinander eng verbunden, die elektrischen Grundlagen einer modernen Gesellschaft bildeten. Große Kraftwerksblöcke mit weit über 1.000 MW waren gleichzeitig Symbol für die Kraft und Macht dieser Stromkonzerne.

Diese Vorstellung von Strom-Unternehmen bricht immer mehr auseinander: Auf die Größe kommt es heute nicht mehr an! Im Gegenteil: Kleine und kleinste Gesellschaften von Privatleuten planen, bauen und betreiben inzwischen überall in der Republik einzelne Windanlagen oder auch ganze Windparks sowie Photovoltaik- und Biogas-Anlagen. Viele Bauern, von dem Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte gebeutelt, haben im Bereich der Energieerzeugung neue Verdienstmöglichkeiten gefunden.

Zahnärzte, LehrerInnen und Verwaltungsangestellte haben in erneuerbare Energie investiert und verdienen nun Geld damit. Anders ausgedrückt: Die Energieerzeugung im Zeitalter der Erneuerbaren wird zunehmend demokratisiert. Es ist eine Dynamik in Gang gekommen, die die bisherigen Strukturen in der Stromerzeugung nicht nur verändert - sondern sie revolutioniert. Jahr für Jahr werden die Großkraftwerke und die dahinter stehenden Stromkonzerne zu einem immer größeren Hemmnis und Unsicherheitsfaktor. Künftig braucht es zur Unterstützung einer Energieversorgung auf Basis der Erneuerbaren ein System von dezentralen und höchst flexiblen kleineren Anlagen, die immer dann einspringen, wenn Sonne oder Wind mal nicht wie erforderlich zur Verfügung stehen. Anlagen, die sehr schnell hochgefahren werden können und die je nach Bedarf geregelt werden können. Die bisherige Großkraftwerkstechnologie mit Atom und Kohle kann diese Anforderung nicht erfüllen.

Eine dezentrale Energieerzeugung wird aber auch noch einen weiteren Eckpfeiler der Energiepolitik von gestern hinweg fegen: die Trennung von Strom- und Wärmeerzeugung. Dezentrale Energieerzeugung schafft auch die Voraussetzung dafür, dass künftig Strom und Wärme gleichzeitig erzeugt und genutzt werden kann. Moderne Biogasanlagen führen schon heute vor, wie effizient und umweltschonend das funktioniert.

Mit diesem industriepolitischen Wandel geht auch ein sozial-gesellschaftlicher Wandel einher. Die heute noch enormen Gewinne der monopolartigen Großkonzerne werden ebenfalls demokratisiert! Je höher der Anteil der Erneuerbaren im Netz sein wird, desto mehr Arbeitsplätze sind damit verbunden und desto mehr Menschen werden mit dieser Stromerzeugung Geld verdienen.

"Es ist in vielerlei Hinsicht ein Kampf des Gestern gegen das Morgen. Gestern, das sind Kraftwerkparks allein aus Riesenanlagen; das ist die separate Erzeugung von Strom und Wärme - das eine in Kraftwerken, das andere im heimischen Heizkeller; das ist die Abhängigkeit vieler Stromkunden von wenigen Anbietern. Gestern, das ist die Welt der vier Energiekonzerne." So bringt es die Süddeutsche Zeitung (21.1.2008) auf den Punkt.

Für die großen vier Stromkonzerne EnBW, Vattenfall, RWE, E.ON geht es um mehr als nur den Atomausstieg. Es geht für sie darum, ihre eigene Entmachtung zu verhindern und ihr eigenes Überleben zu sichern. Mit Blick auf Wolfgang Clemens, heute RWE Aufsichtsrat, Lobbyist und ehemaliger SPD-Bundesminister, schreibt die Süddeutsche: "Er kämpft um die Zukunft seines Unternehmens. Um nicht weniger geht es bei der Frage, ob Deutschland an den Ausstiegsplänen festhält. Auf dem Spiel stehen festgefügte Strukturen von Macht und Märkten, stehen komplette Geschäftsmodelle der vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW. Nichts ist für sie mehr sicher: Der Wettbewerb kommt zusehends in Schwung; mindestens RWE und Vattenfall hat er auf dem falschen Fuß erwischt."


Vertrauensverlust als Super-GAU

Vertrauen wird vor diesem Hintergrund für E.ON, Vattenfall, RWE und EnBW zu einer überragenden Größe. Wenn sie die Themen setzen können, wenn ihre Sichtweisen in Massenmedien und den Köpfen vieler Menschen bestimmend oder gar überzeugend wirken, dann haben sie eine Chance, die Energiewende noch auf lange Zeit zu verzögern - und die Möglichkeit mit einer unverantwortlichen Politik von atomaren und Klima-Risiken weiterhin unheimlich viel Geld zu verdienen.

Vor diesem Hintergrund ist die erneute Störfallserie im AKW Krümmel und die atemberaubende Schlampigkeit von Vattenfall vor allem ein gigantischer Vertrauensverlust.

Die Fakten: Nach dem TransformatorBrand im Sommer 2007 wurde das AKW Krümmel zwei Jahre lang repariert. Vattenfall hatte damals die Auswirkungen des Störfalls heruntergespielt und verharmlost. Die Folge: Ein enormer Vertrauensverlust, Vattenfall verliert 250.000 Stromkunden. Es hagelte Rücktritte und Entlassungen in den Führungsetagen und das Versprechen, künftig alles besser zu machen.

Zwei Jahre und einige hundert Millionen Euro später verkündete Vattenfall dann, Krümmel endlich total sicher gemacht zu haben. Am 19. Juni ging der Reaktor wieder ans Netz. Nur 15 Tage brauchten Vattenfall und Krümmel, um klar zu machen, dass weder die Technik, noch die handelnden Personen für den Betrieb von Atomkraftwerken geeignet sind: Nach mehreren Störfällen kommt es ausgerechnet am Zweit- Transformator abermals zu einem Kurzschluss und zur Notabschaltung. Wieder wird die Aufsichtsbehörde zu spät informiert. Tag für Tag werden neue technische Fehler bekannt. In Hamburg fallen Ampeln aus, Krankenhäuser und große Industriebetriebe stehen stundenlang ohne Strom da. Für Vattenfall und die Atomwirtschaft erneut ein schwerer Imageschaden und Vertrauensverlust. Wieder ziehen viele tausend Menschen ihre ganz persönlichen Konsequenzen und kündigen ihre Stromverträge bei Vattenfall, wechseln zu Ökostromanbietern.

Vattenfall demonstriert, was für die gesamte Branche gilt: Die Atomenergie ist am Ende - auch ohne das Atommülldesaster in der ASSE II.

Aber all das ist kein Aufruf, die Hände in den Schoss zu legen und zuzusehen. Die Stromkonzerne taumeln und torkeln, aber sie sind noch nicht gefallen. Und sie haben mächtige Verbündete auf ihrer Seite, die nicht zu unterschätzen sind und die die Kraft haben, den energiepolitischen Wandel noch für Jahre auf Eis zu legen.

Es liegt an uns, an den Umweltorganisationen, an den vielen Bürgerinitiativen und an ihren UnterstützerInnen, dass der jetzt eingetretene schwere Vertrauensverlust gegenüber den großen Stromkonzernen und ihrer unverantwortlichen Risikotechnologie auch in Handlungen umgesetzt wird. Sorgen wir dafür, dass Schluss gemacht wird mit einer Energieversorgung voll Umweltzerstörung, voller Atomrisiken und Klimaschäden.

Mit dem Ökostromwechsel kann jedE Einzelne die Atomenergie abschalten!


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Juli, 2009: Mahnwache vor dem Pannenreaktor Krümmel


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 102/3.2009, S. 10-11
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2009