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ENTWICKLUNG/017: Klimaschutz - Kein Recht auf fossiles Wirtschaftswachstum (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010
Wohlstand durch Wachstum? Wohlstand ohne Wachstum? Wohlstand statt Wachstum?

Schwerpunkt

Das Recht auf Entwicklung ist kein Recht auf (fossiles) Wirtschaftswachstum

Von Anika Schroeder


Um einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden, müssen auch Schwellenländer erhebliche Anstrengungen zum Klimaschutz unternehmen. Die zentrale Frage ist nach wie vor, ob den Schwellenländern damit das Recht auf Wachstum und Entwicklung abgesprochen wird. Die internationale Zivilgesellschaft tut sich daher auch schwer, eine klare und gemeinsame Botschaft zur Verantwortung der Schwellenländer zu formulieren.

Wer über die Verantwortung der Schwellenländer für den Klimawandel spricht, muss sich bewusst sein, dass die Bürger der Industrienationen, die nur ein sechstel der Bevölkerung stellen, nach wie vor für 40% der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Ihr Anteil an den Gesamtemissionen nimmt zwar ab, nicht aber ihre absolute Menge an Emissionen. Politiker verweisen hingegen zunehmend auf die Blockadehaltung, welche die Schwellenländer einnehmen würden. Dabei liegen die Emissionen der Schwellenländer im Durchschnitt bei rund 4 Tonnen CO2 pro Kopf, in den Industrienationen hingegen bei durchschnittlich 10 und in den USA sogar bei 20. Es ist also vermessen, die Schwellenländer als große Klimasünder zu betiteln.


Ohne Schwellenländer kein Klimaschutz

Trotzdem: die Angst, dass das Wachstum der Schwellenländer die Erde zu sehr erhitzen könnte, ist absolut berechtigt. Der Ausstoß von Treibhausgasen muss bis zur Mitte des Jahrhunderts global um bis zu 85% reduziert werden, um eine nicht mehr tragbare Erwärmung von über zwei Grad Celsius abzuwenden. Die Ära der von fossilen Energieträgern angetriebenen Weltwirtschaft muss daher noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zu Ende gehen. Leider geht dies nicht ohne massive Beiträge der Schwellenländer. Denn die Industrienationen haben die Atmosphäre schon so sehr mit Treibhausgasen überladen, als das noch Platz für die Emissionen der schnell wachsenden Ökonomien bestehen würde. Auch sie müssen ihre Treibhausgasemissionen in Zukunft massiv begrenzen. Die Schwellenländer fürchten allerdings, dass dies ihr Recht auf Entwicklung zu sehr beschneiden würde.

Der Zusammenhang von Wachstum, Wohlstand und der Verbrennung von energetischen Rohstoffen hat sich in das Gedächtnis eingebrannt. Tatsächlich lässt sich dieser Zusammenhang empirisch nachweisen. Diejenigen Länder, die im Zuge ihrer Industrialisierung Massenarmut überwinden konnten, haben die höchsten pro Kopf Emissionen. Diejenigen, die bisher kaum CO2 ausgestoßen haben, haben einen geringen durchschnittlichen Kapitelbestand pro Person und sind allein deshalb verwundbarer gegen die Folgen des Klimawandels. Der klimatische Nutzen weniger Emissionen tritt für die Schwellenländer erst in Jahrzehnten ein, wohingegen der Klimaschutz schon heute Schwierigkeiten verursacht. Dies erklärt, warum Regierungen sich schwer tun, völkerrechtlich verbindliche Reduktionsziele anzunehmen.

Aber die Schwellenländer sind durchaus bereit, Klimaschutz umzusetzen. Sie haben sich in den letzten Jahren z.T. sehr progressiv in die Verhandlungen eingebracht und auch in den eigenen Ländern umfassende Förderprogramme für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien gestartet. In vorderster Reihe steht China. Ein globales Ziel zur Treibhausgasreduktion wollen sie aber erst akzeptieren, wenn die Industrienationen ihren Reduktionsanteil benennen und sich zur Einhaltung völkerrechtlich verpflichten und zudem ausreichende finanzielle und technische Unterstützung für die klimafreundliche Entwicklung in Aussicht stellen. Daher war die anfängliche Resistenz, das zwei Grad Ziel in Kopenhagen zu akzeptieren, keine Blockadehaltung im dem Sinne, dass die Länder nicht zu Klimaschutz bereit wären, sondern eine Reaktion auf das Unvermögen der großen Emittenten wie die USA, eigene faire Reduktionsziele und Unterstützung im Klimaschutz Klimaschutz zuzusagen.


Auch Schwellenländer haben Verantwortung für Klimaschutz

Ein Recht auf Entwicklung ist kein Recht auf fossiles Wachstum, sondern ein Recht auf einen Entwicklungspfad, der allen Menschen auf Dauer ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Arme Bevölkerungsschichten müssen überdurchschnittlich profitieren. Das Wachstum in den Schwellenländern basiert jedoch überwiegend auf einer beispiellosen Ausbeutung von Ressourcen, die auf dem Rücken der Armen ausgetragen wird. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer, Armut entwickelt sich vielerorts durch Vertreibung, Wasser- und Luftverschmutzung zu Elend. Aus menschenrechtlicher Perspektive darf gegenwärtiges Leid durch Ausbeutung natürlicher Ressourcen nicht mit dem Versprechen auf langfristige Verbesserung gerechtfertigt werden. Umgekehrt darf man jetzige Probleme (Armut und deren Bekämpfung) nicht zu Lasten noch größerer Probleme in der Zukunft (dem Klimawandel) lösen. Armutsbekämpfung sowie Klima- und Umweltschutz müssen daher Hand in Hand gehen. So wie ein jeder in der Pflicht steht, die Menschenrechte anderer nicht zu gefährden, so stehen auch die Schwellenländer in der Pflicht, einen nachhaltigen Entwicklungspfad einzuschreiten. Somit sind auch Länder wie China und Südafrika unabhängig von ihrer historischen Un"schuld" zum Klimaschutz verpflichtet.


International solidarisiert sich Zivilgesellschaft mit ihren Regierungen

In Dialogen mit der Zivilgesellschaft, die MISEREOR im Rahmen des Projekt Klimawandel und Gerechtigkeit 2009 durchgeführt hat, wurde deutlich, dass NGOs und Kirchen in Indien, China und Brasilien, auf internationalem Parkett geschlossen hinter ihren Regierungen stehen. Sie propagieren das Recht auf Entwicklung, ohne den Entwicklungsbegriff deutlich zu hinterfragen. Sie verbitten sich auch Kommentare von Personen aus Industrieländern, ökologische Nachhaltigkeit von ihren Regierungen einzufordern, solange die Industriestaaten Hauptverursacher des Klimawandels sind. Im eigenen Land fordern zivilgesellschaftliche Gruppen in Schwellenländern ihre Regierung jedoch auf, ambitioniert zu handeln. Hier sehen sie die Verantwortung ihrer Regierung, die heutigen und zukünftigen Betroffenen des Klimawandels zu schützen. Gerade die Begrenzung und spätere Reduktion von CO2 sehen sie als große Chance an, andere negative Auswirkungen des Wachstums auf die Armen zu reduzieren, wie etwa die Vertreibungen durch den Abbau fossiler Energierohstoffe.


Ein Blick ins WM Land Afrika

In Südafrika wird deutlich, wie wichtig dieser Druck von unten ist; Schon heute sind die Pro-Kopf Emissionen so hoch wie in Deutschland. Trotzdem leben über 50% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, 2 Millionen haben keinen Zugang zu Elektrizität, weitere zwei Millionen wurden wegen Zahlungsunfähigkeit wieder vom Netz getrennt. Trotzdem ist Südafrika progressiv in den internationalen Verhandlungen und bietet an, seine Emissionen um 42% bis 2025 gegenüber heutigem Stand zu reduzieren. 2008 wurde auch eine eigene Klimaschutzstrategie verabschiedet.

Im April wurde ein Darlehen der Weltbank gewährt, für das neue Kohlekraftwerk Medupi des Energiemonopolist ESCOM, welches die Klimaschutzziele in Frage stellt. Es werden zwar 40% der CO2 Emissionen gegenüber herkömmlichen Kraftwerken eingespart. Trotzdem wird es die Emissionen Südafrikas um 7% steigern. Die im Kreditpaket enthaltenden 700 Millionen US $ für Erneuerbare Energien werden den hohen CO2 Ausstoß nicht kompensieren können. Die Zivilgesellschaft hat - trotz der enormen Energiearmut - gegen diesen Kredit und für andere Wege der Stromerzeugung gekämpft. Denn Gutachten beweisen, dass klimafreundliche Entwicklung möglich ist durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien verbunden mit der Förderung von Energieeffizienz. Zudem würden dadurch weitaus mehr Arbeitsplätze entstehen, als durch die angestrebte zentralisierte Stromversorgung. Ausschlaggebend für die Abwehr zivilgesellschaftlicher Gruppen war auch die mit dem Kraftwerksbau einher gehende Erschließung weiterer Kohlebergwerke, die enorm viel Wasserverschmutzung mit sich bringen; gerade dort, wo der Klimawandel den Wasserstress erhöhen dürfte. Wenngleich die südafrikanische Zivilgesellschaft diesmal keinen Erfolg mit ihren Protesten hatte, müssen die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit diese Initiativen unterstützen, damit die Kampagnen in Zukunft ausreichende Schlagkraft entwickeln können. Auch Schwellenländer sind trotz der noch zu überwindenden Massenarmut verpflichtet, sich im Klimaschutz zu engagieren - unabhängig vom bisher ungerechten und unzureichenden Klimaschutz der Industrienationen. Möglicherweise bedarf es einiger Neu-Ausrichtungen in der Lobby-Strategie nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen; Wohlüberlegte Kritik an einzelnen Verhandlungspositionen der Schwellenländer sollten kein Tabu mehr sein, sondern als aufrichtiges Engagement für die vom Klimawandel am meisten betroffenen Menschen angesehen und umgesetzt werden. Parallel dazu sollten sich aber NRO in den Industrienationen weiter dafür einsetzen, Verständnis für die Positionen der Schwellenländer herzustellen, damit sich unsere Regierung nicht hinter der angeblichen Tatenlosigkeit der angeblich echten Klimasünder verstecken kann. Damit sich Schwellenländer völkerrechtlich zum Klimaschutz verpflichten, müssen die Industrienationen jedoch ihrer Verantwortung nachkommen.

Die Autorin ist Dipl. Umweltwissenschaftlerin und seit 2007 als Referentin für Klimawandel und Entwicklung bei MISEREOR tätig. Im letzten Jahr organisierte und besuchte sie mehrtägige Dialogforen mit MISEREOR Partnern, u.a. in China, Indien und Brasilien.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2010, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2010