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FORSCHUNG/290: Biokalorimetrie - Was Wärme erzählen kann (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2009

Biokalorimetrie - Was Wärme erzählen kann


"Bioprozesse - also Prozesse des Lebens - sind immer irreversibel. Sie sind nicht im Gleichgewicht, sonst wären wir alle tot." Bei diesem Satz sprüht Dr. Thomas Maskow vor Begeisterung, denn die wissenschaftliche Spielwiese des Chemikers ist die Thermodynamik in der Biologie - genauer in der Mikrobiologie. Die Lebenswissenschaften haben die Möglichkeiten der Thermodynamik lange Zeit übersehen. Erst 1977 erhielt der russisch-belgische Physikochemiker und Philosoph Ilya Prigogine den Chemienobelpreis für seine Arbeiten zur irreversiblen Thermodynamik, mit denen er die Grundlage für ein Verständnis der Energetik von Lebensprozessen schuf. Die Entstehung des Lebens - Ordnung aus dem Chaos - wäre ohne Irreversibilität undenkbar. Organismen können Ungleichgewichte wie Konzentrations- und Temperaturunterschiede aufrecht erhalten, Strukturen schaffen und damit Ordnung aufbauen zu dem Preis, dass sie ständig Energie umsetzen müssen. Man kennt es aus dem täglichen Erleben: Wer Sport treibt, Kalorien verbrennt oder körperlich schwer arbeitet, kann leicht ins Schwitzen geraten. Nicht wenigen von uns stehen selbst beim Essen und Verdauen regelmäßig die Schweißperlen auf der Stirn. Ähnliches verursachen Pubertät und Wechseljahre. Stoffwechselprozesse sorgen meistens dafür, dass Wärme freigesetzt wird. Was ist deshalb naheliegender, als die Wärme als einen Indikator für Lebensprozesse - sei es beim Menschen, bei Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen - zu betrachten?

Da die Wärme so eng mit dem Stoffwechsel verbunden ist, zeigt sie dessen Veränderungen im Augenblick ihres Entstehens an. Die Wärmeleistung enthält also wichtige Informationen über die Geschwindigkeit und Stoffflüsse biologischer Umsetzungen. Das sind ideale Voraussetzungen, schwierige Bioprozesse, wie beispielsweise die mikrobiologische Umwandlung toxischer Schadstoffe in Wertstoffe, zu steuern. Leider sind die heutigen konventionellen Wärmemessgeräte - auch Kalorimeter bzw. Biokalorimeter genannt - noch zu unflexibel, sehr störanfällig und vor allem zu teuer, um in technischen Prozessen eingesetzt zu werden. "Noch", betont Thomas Maskow. Denn die Biotechnologiebranche wächst. Immer häufiger und schneller finden biotechnologische Verfahren Eingang in die Pharmaindustrie, Landwirtschaft und chemische Industrie. Lassen sich traditionelle Syntheseschritte bei der Herstellung von Medikamenten und chemischen Produkten durch biotechnologische Verfahren ersetzen, können Produktionskosten und Umweltbelastungen sinken. Doch der Weg dahin ist oft noch sehr weit und teuer. Die Kosten für die Entwicklung und Optimierung von Bioprozessen schlagen sich im Produktpreis nieder und entscheiden darüber, ob ein Verfahren überlebensfähig ist oder nicht. Deshalb ist das Interesse groß, bessere Werkzeuge zu finden, mit denen sich Bioprozesse präziser überwachen, steuern oder analysieren lassen.


Klein aber fein - Chipkalorimeter

Thomas Maskow und seine Mitarbeiter arbeiten daran, neuartige kalorimetrische Messverfahren für die Bioprozessanalyse und -steuerung zu entwickeln. Ein Weg dahin sind Wärmebilanzen um einen kompletten Bioreaktor - also eine Art Megakalorimeter. Der andere Weg, in den die UFZ-Wissenschaftler große Hoffnung setzen, sind miniaturisierte Kalorimeter, so genannte Chipkalorimeter. "Sie erscheinen uns besonders geeignet, weil man sie leicht in bestehende Technologien integrieren kann, weil sie mit kleinen Probemengen auskommen, weil sie preiswert herstellbar sind und vor allem, weil sie Veränderungen der Wärmeproduktion sofort anzeigen", erläutert Thomas Maskow. Da eine solche Aufgabe weit über das Verständnis von Bioprozessen hinausgeht, arbeiten die UFZ-Wissenschaftler mit Spezialisten für die Miniaturtechnologie der TU Bergakademie Freiberg und Experten für die Bioprozesstechnik der RWTH Aachen zusammen. Um nicht an den Bedürfnissen der Industrie vorbeizuentwickeln, sind außerdem sieben mittelständische Unternehmen aus den Sparten Biotechnologie, wissenschaftlicher Gerätebau und Elektronik beteiligt. Gefördert wird die Sensorentwicklung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWi) über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschung (AIF) im Rahmen der Initiative "Zukunftstechnologien für kleine und mittlere Unternehmen" (ZUTECH).


Zellen und Prozesse besser verstehen

Die Aufgabe der UFZ-Forscher besteht vor allem darin, die Messergebnisse biothermodynamisch zu modellieren, neuartige Strategien zur Bioprozesssteuerung zu entwickeln und neue Anwendungsgebiete für diese Messtechnik zu erschließen. "Da ist noch sehr viel Grundlagenforschung zu leisten, denn um zu steuern oder zu analysieren, müssen wir Zellen quantitativ verstehen. Bis heute können wir nicht quantitativ vorhersagen, wie sich eine Zelle verhält, wenn sie Stress erfährt." erklärt Thomas Maskow die eigentliche Herausforderung. "Eine Zelle kann durch Temperaturänderung, toxische Substanzen oder Nährstoffmangel irreversibel beschädigt werden. Dann gibt es keinen Weg zurück! Deshalb möchte ich wissen, was mein E.coli-Bakterium macht, wenn es in irgendeiner Ecke meines Reaktors nicht genügend Sauerstoff bekommt. Stellt es auf einen anderen Stoffwechsel (Metaboliswus) um? Wie macht es das? Wie schnell macht es das? Wie sieht der Metabolismus aus?" Normalerweise wurden Mikroorganismen im Laufe der Evolution getrimmt, Energiequellen wie Glukose zu nutzen, um sich zu vermehren. Sollen sie daraus Wertstoffe herstellen, muss ihr Wachstum ausgelenkt werden, indem z. B. das Nahrungsangebot verändert wird. Stößt ein Organismus also an bestimmte Grenzen, kann er, statt sich zu vermehren und dabei CO2 und Wasser zu erzeugen, Wertstoffe wie Zitronensäure, Polymere oder biologische Schutzstoffe produzieren. Jeder dieser Stoffwechselwege ist durch eine ganz bestimmte Wärmeproduktion charakterisiert, die kalorimetrisch erfasst werden kann. Tut ein Bakterium nicht das, was es soll, kann nachreguliert und gesteuert werden.


Vom Exoten zum echten Handwerkszeug?

Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet sehen die Wissenschaftler in einer Art zukünftigem Echtzeittoximeter. So könnten Mikroorganismen fixiert an einem Chipkalorimeter, wenn sie in die Flusslinie von Abwasser oder Trinkwasser gebracht werden, über veränderte Wärmeerzeugung sofort Gefährdungen durch toxische Substanzen anzeigen. Gekoppelt mit Regelventilen kann Trinkwasser rechtzeitig abgeschaltet, Abwasser nachbehandelt und chemisch analysiert werden. "Hier steckt noch viel Zukunftsmusik drin, aber welche Organismen fixiert man im Kalorimeter? Welche reagieren auf für den Menschen und die Umwelt giftige Stoffe? Auf diesem Gebiet ist sicher eine Zusammenarbeit mit Ökotoxikologen hilfreich", meint Thomas Maskow. Mit Chipkalorimetrie lassen sich aber auch hervorragend Abbauprozesse von Schadstoffen studieren. Hydrophobe organische Verbindungen lösen sich nur schwer in Wasser. Dort findet aber der Abbauprozess statt. Und da nur ultrakleine Spuren in der wässrigen Phase umgesetzt werden, stößt die konventionelle chemische Analytik häufig an eine Grenze. Die Kalorimetrie ist sehr gut geeignet, kleinste Wärmemengen zu messen, aus denen man auf den Abbauprozess zurückrechnen kann. Im Rahmen eines Projektes der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickeln die UFZ-Wissenschaftler ein Biokalorimeter in Chipgröße, um die Aktivität von Biofilmen zu messen (siehe auch Beitrag Seite 6*). Gerade bei unerwünschten Biofilmen auf medizinischen Implantaten und Geräten wären Schnell- oder Echtzeittests sinnvoll. "Diese Sensorentwicklung hat viel Potenzial. Es gibt bereits Anfragen aus der Umweltmedizin und Infektionsforschung", freut sich Thomas Maskow.

Nicht nur dort sieht der Wissenschaftler eine Zukunft für seine Leidenschaft. Mit kalorimetrischen Methoden könnte auch die Nutzung von Lichtenergie zur Photosynthese in Echtzeit verfolgt werden. Damit könnte man Mikroalgen, die CO2 in Biomasse binden, interessante Stoffe beinhalten und sogar Wasserstoff erzeugen, besser analysieren und technisch erschließen. Doris Böhme

UFZ-Ansprechpartner: PD Dr. Thomas Maskow Department Umweltmikrobiologie Telefon: 0341/235-1328 e-mail: thomas.maskow@ufz.de mehr Informationen: www.ufz.de/index.php?en=16780



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DAS ERSTE BIOKALORIMETER

Der Franzose Antoine-Laurent Lavoisier (1743-1794), der auch als Vater der modernen Chemie bezeichnet wird, entwarf 1770 das erste "Biokalorimeter", um die Wärmeproduktion eines Meerschweins zu messen. Er füllte die Außenschale einer Kammer, in der sich das Versuchstier befand, mit Eis. Die mit dem Stoffwechsel des Meerschweins verbundene Wärme brachte das Eis zum Schmelzen. Das Wasser, das aus dem Kalorimeter floss, sammelte und wog er. So fand Lavoisier heraus, dass ein Kilogramm geschmolzenen Eises etwa 80 Kilokalorien Wärmeproduktion durch das Meerschwein entsprach. Er schlussfolgerte, dass die Atmung eine Verbrennung ist - ähnlich wie eine brennende Kerze.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Chipkalorimeter

• Messprinzip eines Chipkalorimeters (254 x 190 mm)
Auf der dünnen Folie eines Chipkalorimeters befindet sich die biologische Probe (eine Suspension von Bakterien oder ein Biofilm (Stoffwechselvorgänge führen zu einer Erwärmung der Temperaturmessstellen von Thermoelementen, die auf dem Chip integriert sind. Diene Temperatur wird mit einer Referenzmessstellen verglichen und erzeugt über den Seebeck-Effekt eine Spannung, die der Wärmeleistung proportional ist. Die Spannung wird gemessen und ausgewertet. Der Chip befindet sich in einer temperierten Kammer mit einer Temperaturkonstanz von < 10 µK.

* Anmerkung der SB-Redaktion:
siehe: www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Fakten
FORSCHUNG/571: Mikroorganismen - Neue Methoden für Umweltforschung und -sanierung (UFZ-Newsletter)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/fakten/ufafo571.html


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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2009
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2009