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MELDUNG/423: Räumung von Lützerath stützt sich auf verfassungswidrigen Paragraphen (Alle Dörfer bleiben)


Alle Dörfer bleiben
Pressemitteilung - 29.12.2022

Lützerath: Räumung von Lützerath stützt sich auf verfassungswidrigen Paragraphen

NRW-Umweltminister Krischer: "Da wurde eine Unwahrheit in ein Gesetz geschrieben"


Berlin. Die vom Kreis Heinsberg erlassene Allgemeinverfügung zur Räumung des bedrohten Dorfes Lützerath fußt auf einem möglicherweise verfassungswidrigen Bundesgesetz. Die Allgemeinverfügung, mit der die Räumung des widerständigen Dorfes in Auftrag gegeben wird, führt § 48 des Bundesgesetzes zum Kohleausstieg (KVBG) als Grundlage an. Der Paragraph besagt, dass der Braunkohle-Tagebau Garzweiler II als einziger Tagebau in Deutschland 'energiewirtschaftlich notwendig' sei. Zwei Gutachten von Verfassungsrechtlern kommen jedoch zu dem Schluss, dass der Paragraph verfassungswidrig sei, da der Bund nicht die Gesetzgebungskompetenz in der Sache habe und da § 48 mangels wissenschaftlicher Grundlagen 'evident unsachlich' sei. Zum selben Schluss kam 2021 auch die Grüne Bundestagsfraktion. Der für die Räumung zuständige Polizeipräsident Dirk Weinspach hat mehrfach öffentlich betont, dass sich eine illegale Räumung wie 2018 im Hambacher Wald nicht wiederholen dürfe - doch genau das droht nun wieder.

NRW-Umweltminister Oliver Krischer, der die Räumung von Lützerath mit vorantreibt, schrieb im März 2021 auf seiner Facebook-Seite zu § 48 KVBG: "'Energiewirtschaftlich notwendig' sei der Tagebau in Garzweiler heißt es (...) im Gesetz. Das ist natürlich Quatsch und dient einzig dem Zweck, dass RWE die letzten Dörfer rund um den Tagebau besser abreißen kann, um dort die Braunkohle zu fördern. Da wurde eine Unwahrheit in ein Gesetz geschrieben, in der Hoffnung, dass sie dadurch zur Wahrheit wird."

Die Grüne Bundestagsfraktion ließ 2021 die Rechtmäßigkeit von § 48 vom Verfassungsrechtler Prof. Dr. Georg Hermes bewerten. Deutliches Ergebnis: Der Bund verfüge nicht über die Kompetenz, Tagebauplanung zu betreiben, da dies in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Bundesländer falle. Darüber hinaus dürfe kein einzelner Tagebau bevorzugt werden, ohne dass bundesweit geprüft wurde, ob dafür eine Erforderlichkeit bestehe. Prof. Dr. Thomas Schomerus hatte im gleichen Jahr im Auftrag der Klima-Allianz den Paragraphen bewertet und ihn ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. Bedarfsfeststellungen müssten ausreichend geprüft, begründet und die Belange aller Betroffenen abgewogen werden - das sei im Falle des § 48 nicht geschehen.

"In Lützerath droht ein Klimaverbrechen und eine illegale Räumung. Wie beim Hambacher Wald sollen gewaltsam Menschen geräumt werden, die das Klima schützen - obwohl die Rechtskonstruktion zur Räumung äußerst fragwürdig ist. Polizeipräsident Weinspach kann verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, indem er die Räumung aufgrund der unsicheren Rechtslage verweigert." so Jürgen Siebertz von Alle Dörfer Bleiben.

Recherchen von Greenpeace legen nah, dass der damalige NRW-Minsterpräsident Armin Laschet § 48 auf Wunsch von RWE ins Kohlegesetz verhandelt hat. Anstatt den - auch aus Sicht der damals in der Opposition befindlichen Grünen - verfassungswidrigen Paragraphen zu streichen, wurde er von der Ampel-Koalition ohne wesentliche Änderungen ins vor Kurzem reformierte Kohlegesetz übernommen.

Eine aktuelle Energiemarktanalyse von Aurora Energy Research zeigt zudem, dass die Kohle unter Lützerath aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sicherstellung der Energieversorgung nicht benötigt wird. Der Bedarf betrage bis 2030 maximal 234 Millionen Tonnen Kohle, während laut Gutachten der NRW-Landesregierung bei einem Erhalt von Lützerath noch 260 Millionen Tonnen Kohle förderbar wären.

Die Räumung von Lützerath wird Anfang Januar 2023 erwartet. Im Dorf hat sich ein vielfältiger Widerstand entwickelt, es gibt zahlreiche Seilkonstruktionen, Baumhäuser und besetzte Bauernhöfe. Es befindet sich eine dreistellige Zahl an Menschen vor Ort, die das Klimadorf schützen wollen. Zudem haben über 11.000 Menschen auf x-tausend.de erklärt, sich der Räumung von Lützerath zu widersetzen. Am 8.1.23 wird es einen Dorfspaziergang in Lützerath geben, wie sie auch bei der Räumung des Hambacher Waldes stattfanden. Wenige Tage später will die Polizei beginnen, das Dorf abzuriegeln. Am 14.1.23 laden Umweltverbände und lokale Initiativen zu einer Großdemonstration nach Lützerath ein.

weitere Informationen:
Webpage zur Demo:
https://www.alle-doerfer-bleiben.de/demo/

Quellen:

Zitat Oliver Krischer:
https://www.facebook.com/okrischer/posts/3265431883557263/

Allgemeinverfügung des Kreises Heinsberg:
https://www.kreis-heinsberg.de/cms/front_content.php?parts[]=aktuelles&parts[]=oeffentliche-bekanntmachungen-ab-2017-und-oeffentliche-verfahren&d=%2FBekanntmachung+vom+20.12.2022+der+Allgemeinverf%C3%BCgung+des+Kreises+Heinsberg+zur+R%C3%A4umung+der+Ortslage+L%C3%BCtzerath

Gutachten Prof. Hermes:
https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-021-3906-3

Gutachten Prof. Schomerus:
http://p376185.mittwaldserver.info/fileadmin/user_upload/Dateien/Bilder/Content/Presse/KVBG_Gutachten_Schomerus_KAD.PDF

Recherchen von Greenpeace:
https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/kohleausstieg/informelle-treffen

Energiemarktanalyse Aurora Energy Research:
https://kohlecountdown.de/wp-content/uploads/2022/12/Aurora-Kohleausstiegspfad-und-Emissionen_01122022.pdf

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Quelle:
Alle Dörfer bleiben
Pressemitteilung, 29.12.2022
E-Mail: info@alle-doerfer-bleiben.de
Internet: https://www.alle-doerfer-bleiben.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 30. Dezember 2022

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