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ASIEN/004: Pakistan - Menschen in Flutgebieten kämpfen um ihr Überleben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2010

Pakistan: 'Alles ist verloren' - Menschen in Flutgebieten kämpfen um ihr Überleben

Von Ashfaq Yusufzai


Peschawar, 5. August (IPS) - "Wir sind den ganzen Tag durch die Fluten geschwommen, um ältere Menschen und Frauen zu retten. Sie wurden einfach von den Wassermassen mitgerissen", erzählt Shahid Ali. Gemeinsam mit anderen Männern versucht der 27-Jährige aus dem nordwestpakistanischen Distrikt Charsadda zu helfen, wo immer er kann. Bei den heftigsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten sind in dem Land bereits mehr als 1.500 Menschen ums Leben gekommen.

Zu fünft hätten sie schon 18 Leute aus dem Wasser gezogen, unter ihnen acht Frauen und sechs Kinder, berichtet Ali stolz. Die Bewohner der von der Katastrophe betroffenen Dörfer sind weitgehend sich selbst überlassen. Da zahlreiche Straßen nicht mehr passierbar sind, kommen Helfer oft gar nicht zu den Hilfsbedürftigen durch.

Überschwemmungen sind während der Monsun-Zeit in Pakistan zwar keine Seltenheit. Laut Medienberichten in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, wo auch Charsadda liegt, hat es jedoch seit 35 Jahren nicht mehr so stark geregnet wie jetzt. In manchen Gegenden wurden bis zu 300 Millimeter Niederschlag gemessen. Der landesweite Durchschnittswert ist nach Angaben von Meteorologen von 137 auf 160 Millimeter gestiegen.

Ein Ende der Gefahr ist noch nicht in Sicht. Der Monsun-Regen hat die Flusspegel so sehr anschwellen lassen, dass nun auch weiter im Süden Hochwasser droht. Schon bald könnten die Fluten die am dichtesten bevölkerte Provinz Pandschab erreicht haben.

"Uns ist so gut wie nichts mehr geblieben", klagt die 58-jährige Rahima Bibi aus dem Distrikt Nowshera. "Unsere Häuser, unsere Getreide und unser Vieh sind weggespült worden." Auch von drei Enkelkindern der Frau fehlt bislang jede Spur.


Trinkwasser wird knapp

Der Lehrer Javid Khan aus Charsadda ist in einer ähnlich verzweifelten Lage wie Bibi. Seit mehreren Tagen sucht er nach seinem jüngeren Bruder. Der Dauerregen hat inzwischen weite Gebiete überflutet, Brücken mit sich gerissen und Felder vernichtet. Da auch Wasserleitungen zerstört wurden, befürchten die Menschen, bald ihren Durst nicht mehr stillen zu können.

Die Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa hat unterdessen die Staatengemeinschaft um Nothilfe gebeten. Wie Informationsminister Mian Iftikhar Hussain mitteilte, wird die Zahl der Obdachlosen auf mehr als drei Millionen geschätzt. Die materiellen Flutschäden dürften sich auf über zwei Milliarden US-Dollar belaufen.

Hussain kritisierte im Gespräch mit IPS, dass bisher lediglich die USA zehn Millionen Dollar zugesagt hätten. Die übrigen Staaten, auch diejenigen der islamischen Welt, hätten sich dagegen nicht gerührt.

Die Menschen in den Flutgebieten müssen die Hilfe also größtenteils selbst organisieren. Familien, die kein Dach mehr über dem Kopf haben, kamen vorübergehend in Schulen in Peschawar, Mardan, Charsadda und Nowshera unter.

"Wo sind die Nichtregierungsorganisationen, die Regierung und die UN?", empörte sich der Bauer Juma Raz aus Charsadda. "Wir müssen wieder beim Punkt Null beginnen. Alles ist verloren."

Die anhaltenden Niederschläge lassen auch das Seuchenrisiko steigen. Syed Jaffar Hussain von der Weltgesundheitsorganisation WHO berichtete, im Polytechnischen Institut in Nowshera sei ein behelfsmäßiges Krankenhaus eingerichtet worden. Die örtliche Klinik sei völlig in den Fluten verschwunden.


Gesundheitsexperten warnen vor Seuchen

Mediziner rechnen wegen mangelnder Hygiene vor allem mit einer rapiden Zunahme von Durchfallerkrankungen. Rund 4.000 Menschen hätten bereits wegen akuter Diarrhö ärztliche Hilfe gesucht, sagte der Leiter der Gesundheitsbehörde von Nowshera, Sajid Shaheen. Wenn nicht umgehend vorbeugenden Maßnahmen ergriffen würden, drohe eine Epidemie auszubrechen, warnte er.

Nach Angaben des WHO-Mitarbeiters Saeed Akbar Khan wurden inzwischen rund 1,2 Millionen Wasserreinigungstabletten in die betroffenen Distrikte geschickt. Schlangen- und Skorpionbisse seien eine weitere Gefahr, erklärte er. Eine umfassende Gesundheitsversorgung könne aber erst garantiert werden, wenn das Hochwasser zurückgegangen sei.

Distrikte wie Shangla und Swat waren zunächst überhaupt nicht von außen zugänglich. Die Hilfseinsätze wurden laut Behördenvertretern auch dadurch erschwert, dass zu wenige Hubschrauber und Boote bereit standen.

Der Chef der Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa, Haider Khan Hoti, teilte mit, dass Tausende Menschen in abgelegenen Tälern in der Region Malakand von der Außenwelt abgeschnitten seien. Etwa 1.100 Bewohner anderer Gegenden seien dagegen in Sicherheit gebracht worden. Hoti kündigte auch an, dass Lebensmittel an obdachlose Familien verteilt würden. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2010/pakistan_flood_20100803/en/index.html
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52377

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2010