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ASIEN/102: Indien - Algenzucht hilft Frauen in Sundarbans bei Anpassung an Klimawandel (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2015

Indien: Algenzucht hilft Frauen in Sundarbans bei Anpassung an Klimawandel

von Oishanee Ghosh


Bild: © Oishanee Ghosh

Algenzucht verschafft Frauen in Westbengalen finanzielle Sicherheit
Bild: © Oishanee Ghosh

WESTBENGALEN, INDIEN (IPS) - Mit einer Fläche von insgesamt rund 10.000 Quadratkilometern sind die in Bangladesch und Indien gelegenen Sundarbans die größten Mangrovenwälder der Welt. Der fortschreitende Klimawandel hat immer mehr Männer im indischen Bundesstaat Westbengalen dazu gezwungen, sich in der regionalen Hauptstadt Kalkutta Arbeit zu suchen und ihre Familien zurückzulassen. Viele Frauen, die auf sich allein gestellt sind, züchten nun Algen, um auf nachhaltige Weise eigene Einkünfte zu erwirtschaften.

Kanchan Mondal machte sich früher bereits im Morgengrauen auf den Weg, um mit Gelegenheitsjobs Geld zu verdienen. Ihre Kinder blieben allein zu Hause. Wie viele Nachbarinnen in ihrem Dorf war auch Mondal auf sich allein gestellt, da ihr Mann sich auf der Suche nach Arbeit in der Stadt niedergelassen hatte. Denn seit immer mehr salziges Meerwasser in die Felder einsickert, ist traditionelle Landwirtschaft kaum mehr möglich.

"Ich bin Mutter und Vater zugleich", erzählt die 35-Jährige, als sie ihrer sechsjährigen Tochter und dem zwölfjährigen Sohn hastig Kartoffelsuppe in die Teller gießt. "Wenn ich nicht arbeiten gehe, verdiene ich nicht genug, um uns alle zu ernähren. Oft essen wir erst spät zu Abend, weil ich nach der Arbeit noch kochen muss."

Mondals Dorf Saatjelia im Südosten der Sundarbans ist wie auch mehrere Nachbarorte mit den Auswirkungen von Küstenerosion, häufig auftretenden Wirbelstürmen und Überschwemmungen konfrontiert. Alle diese Phänomene werden auf den Klimawandel zurückgeführt. Wie aus einer 2013 veröffentlichten Studie der 'Zoological Society' in London hervorgeht, werden jährlich etwa 200 Meter Küstenland weggespült.

Für den Anbau von Reis, bisher die Haupteinkommensquelle der Bevölkerung Westbengalens, hat diese Entwicklung katastrophale Folgen. Auf einigen Feldern steht das Brackwasser inzwischen das ganze Jahr über etwa 60 Zentimeter hoch. Die zunehmende Versalzung der Böden verhindert, dass in den Gebieten künftig Landwirtschaft betrieben werden kann.

Nachdem die Männer weggezogen waren, mussten ihre Frauen teils gefährliche Jobs annehmen, um die Familien durchzubringen. Als Krabbenfischerinnen fuhren sie in Booten in die Meeresarme hinaus, wo sie tagelang den Gezeiten ausgesetzt waren und Angriffe von wilden Tieren befürchten mussten.

Inzwischen haben Mondal und ihre Nachbarinnen eine sichere und nachhaltige Alternative gefunden, um Geld zu verdienen. Unterstützt werden sie durch das Asiatisch-Pazifische Netzwerk für Forschungen zum globalen Wandel und das Südasiatische Umweltforum, die in ganz Indien die Algenzucht in von Salzwasser unterspülten Gebieten fördern. Seit Beginn des Projekts im Jahr 2012 haben bereits etwa einhundert Personen begonnen, kommerziell verwertbare Algensorten wie 'Ulva intestinalis' (Gemeiner Darmtang) oder 'Ulva lactuca' (Meersalat) anzupflanzen.

"Die Fähigkeit der Frauen, in großem Umfang Algen zu züchten und zu ernten, darf nicht unterschätzt werden", sagte Projektleiter Dipayan Dey. "An allen drei Projektorten haben wir Ausbildungsseminare abgehalten. Den Frauen wurde beigebracht, die Algenspezies zu unterscheiden, Anbau zu betreiben und die Pflanzen zu ernten." Die Algenzucht erfordert demnach nur geringe Fachkenntnisse und kann ohne hohe Kosten begonnen werden. Die Pflanzen sind in Indien als Bestandteile von Seifen und Shampoos gefragt.

Laut Dey kann ein Kilo Algen in Indien umgerechnet etwa 50 Cent und international ungefähr einen Euro einbringen, wenn das Produkt richtig vermarktet wird. Ein Kilo Reis wird für etwa 18 Cent angeboten, wobei die Preise je nach Erntemenge variieren. Der Reisanbau ist von der Stärke der Monsun-Regenfälle abhängig.

Grüne Algen sind außerdem ein vielversprechender Rohstoff für die Erzeugung von Biosprit, wie aus einem 2010 erschienenen Bericht der UN-Agrarorganisation FAO hervorgeht. Viele Bauern verwenden die Pflanzen als organischen Dünger auf ihren Feldern.

Klimaanpassungsmaßnahmen wie die Algenzucht haben laut lokalen Behördenvertretern in diesem Teil der Sundarbans zu Verbesserungen im Verkehrs- und Bildungswesen geführt. Auch der Alltag der Frauen und ihrer Familien hat sich zum Vorteil verändert.

Mondals Sohn kann jetzt wieder zur Schule gehen, nachdem er vorher seiner Mutter bei der Arbeit helfen und auf seine kleine Schwester aufpassen musste. Die Sechsjährige besucht inzwischen die Grundschule. Die Mutter konnte dank der neuen Einnahmen außerdem den Lehmofen durch eine richtige Küche ersetzen.

"Noch vor ein paar Jahren wurde ich nachts oft wach und fragte mich, was ich meinen Kindern kochen könnte", erinnert sie sich. "Mein Mann kam alle vier Monate nach Hause und brachte etwas Geld mit, das aber hinten und vorne nicht reichte." Seit Mondal vor zwei Jahren mit der Algenzucht begonnen hat, kann sie sogar Geld für Notzeiten sparen und muss ihre Kinder nicht mehr allein zu Hause lassen.

Regelmäßig trifft sie sich mit anderen Frauen, um etwa über die Einrichtung einer Genossenschaftsbank oder den Ausbau einer ungepflasterten Straße zu beraten. Die Frauen in Satjelia produzieren inzwischen auch Honig und Neem-Öl, das als Pflanzenschutzmittel und Medizinbestandteil verwendet wird.

Viele Männer, darunter auch Kanchal Mondals Ehemann, kehren wieder nach Hause zurück, um sich an der einträglichen Algenzucht zu beteiligen und wieder mit ihren Familien vereint zu sein. "Früher dachte ich immer, Algen seien Unkraut", lacht Bhabasindhu Mondal. "Ich musste erst mit eigenen Augen sehen, dass man sie wie Getreide anbauen kann." (Ende/IPS/ck/01.12.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/11/seaweed-cultivation-ushers-waves-of-change-in-the-sundarbans/

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IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2015

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