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ATOM/045: Indien - Sicherheitsmängel an geplantem Kernkraftwerk, Anwohner fürchten zweites Fukushima (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2013

Indien: Sicherheitsmängel an geplantem Kernkraftwerk - Anwohner fürchten zweites Fukushima

von K. S. Harikrishnan


Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

Einwohner von Kudankulam protestieren gegen die Genehmigung des Obersten Gerichtshofs für den Bau des Atomkraftwerks
Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

Kudankulam, Indien, 19. Juni (IPS) - Auf den ersten Blick wirkt der Distrikt Tirunelveli im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu mit seinen üppigen grünen Feldern wie eine Idylle. Wer aber genauer hinschaut, entdeckt Kampfspuren. Anwohner wehren sich unermüdlich gegen ein geplantes Atomkraftwerk, das eigentlich bereits 2012 in Betrieb gehen sollte. Der Bau der Anlage, die nahe der Touristenstadt Kanyakumari im äußersten Süden des Subkontinents entstehen soll, ist derzeit unterbrochen.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht bekannter indischer Wissenschaftler ergänzt nun die lange Liste mit Beschwerden gegen das 'Kudankulam'-Atomkraftprojekt (KKNPP), die Aktivisten und Anwohner seit August 2011 zusammengestellt haben. Nach den Erkenntnissen der Forscher ist beim Bau der Anlage schadhaftes Material verwendet worden.

Die Pläne für das Kraftwerk gehen auf das Jahr 1988 zurück und wurden im Rahmen eines bilateralen Abkommens zwischen Indien und Russland entworfen. Politische Hürden hielten das Projekt aber für mehr als ein Jahrzehnt auf. Erst 2001 wurde ein neuer Versuch unternommen, das 3,1 Milliarden US-Dollar schwere Vorhaben wieder in Gang zu bringen. Nach den Plänen hat das Kraftwerk eine installierte Kapazität von 1.000 Megawatt.

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Demonstration von Fischern und ihren Familien gegen das Kernkraftwerk
Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS


Die Vorbereitungen kamen glatt voran, bis sich im Frühjahr 2011 die Nachrichten über die Kernschmelze im japanischen Nuklearreaktor Fukushima Daiichi verbreiteten. Anwohner, die eine Wiederholung der Tragödie in Indien befürchten, gingen auf die Straße, um gegen laxe Sicherheitsstandards und das Risiko einer nuklearen Verstrahlung im Falle eines Störfalls zu protestieren.


Regierung versichert beste technische Ausstattung

Die Regierung wollte auf die Bedenken aus der Bevölkerung nicht eingehen und versicherte stattdessen, dass das Kraftwerk nach den neuesten technischen Standards errichtet werde. Es enthält demnach ein passives Kühlsystem und andere Mechanismen, die sicherstellen sollen, dass die Anlage Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis standhält.

Nalinish Nagaich, Exekutivdirektor der 'Natural Power Corporation of India Limited' (NPCIL), hat wiederholt beteuert, dass die Ausrüstung des Werks mehrstufigen Qualitätstests unterzogen worden sei. Im Mai wies der Oberste Gerichtshof Indiens die Beschwerden der Protestierenden als "haltlos" zurück. "Die Vorteile durch das KKNPP sind enorm. Atomenergie bleibt ein wichtiger Bestandteil des indischen Energiemixes. Sie kann eine erhebliche Menge an fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Öl einsparen", heißt es in der Urteilsschrift.

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Polizeieinsatz gegen Demonstrantinnen
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Der Report 'Skandale im Nukleargeschäft' von V. T. Padmanabhan, einem Mitglied des Europäischen Komitees für Strahlungsrisiken, enthüllte jedoch Schwachstellen in der Argumentation der Regierung und wies auf die potenziellen Katastrophen hin, die durch die Verwendung schadhafter Bauteile hervorgerufen werden können.

Der Untersuchung zufolge wurde der Reaktor, das 'Herz' eines Atomkraftwerks, nach einem überholten, drei Jahrzehnte alten Modell konstruiert. Außerdem hätten sich mehrere von Russland gelieferte Bauteile als schadhaft erwiesen.

Der Bericht hat eine Vertrauenskrise verschärft, die bereits Anfang des Jahres öffentlich zutage getreten war. Die russische Staatsanwaltschaft verwarnte Sergej Schutow, den Einkaufsleiter des Unternehmens 'ZIO-Podolsk', nach Korruptionsvorwürfen. Die Firma hat wichtige Ausrüstungsteile für KKNPP geliefert.

Ihm wurde vorgeworfen, billigen und minderwertigen Stahl für Bauteile beschafft zu haben, der für russische Atomanlagen in Bulgarien, Iran, China und Indien verwendet worden war, wie aus einem gemeinsamen Schreiben von mehr als 60 Wissenschaftlern an die Regierungschefs der indischen Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu hervorgeht.

Die in Neu-Delhi ansässige Koalition für nukleare Abrüstung und Frieden (CNDP) hat ernste Bedenken über den kürzlich bekanntgewordenen Betrug geäußert. Die Sicherheitsnormen der indischen Regulierungsbehörde für Atomkraft (AERB) seien direkt verletzt worden.


Atombehörde weist auf technische Mängel hin

Im April hatte die AERB nach einer Testserie eingeräumt, dass vier Ventile in dem Kraftwerk defekt waren. Die Behörde forderte die NPCIL auf, die Teile auszutauschen und vor einer Fortsetzung der Arbeiten eine Überprüfung zuzulassen.

'World Nuclear News' berichtete im Mai, dass technische Probleme im Zusammenhang mit Einheit Eins den Austausch mehrerer Ventile im passiven Kühlungssystem notwendig machten, was zu weiteren Verzögerungen führte.

Der frühere AERB-Vorsitzende A. Gopalakrishnan drängt die Regierung dazu, das Projekt unverzüglich zu stoppen, bis die Vorwürfe wegen Korruption und Lieferung schadhafter Bauteile angemessen untersucht worden seien. Prashant Bhushan, ein Jurist am Obersten Gerichtshof, wirft der NPCIL vor, sich nicht an 17 Sicherheitsempfehlungen eines AERB-Sonderausschusses nach der Fukushima-Katastrophe gehalten zu haben.

Umweltexperten haben außerdem auf Widersprüche in der Argumentation der Regierung hingewiesen. Demnach ist die Atomkraft für die indische Wirtschaft lebenswichtig, obwohl die Kernkraftwerke mit einer derzeitigen Kapazität von nur 4.880 MW lediglich 2,7 Prozent des gesamten im Lande erzeugten Stroms liefern. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://cndpindia.org/
http://www.euradcom.org/
http://www.aerb.gov.in/
http://www.ipsnews.net/2013/06/outrage-over-safety-issues-at-indian-nuke-plant/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2013