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FISCHEREI/028: Industrieller Fischfang - Kollaps im Meer (Securvital)


Securvital 1/2012 - Januar-März
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Industrieller Fischfang
Kollaps im Meer

Von Norbert Schnorbach


In Nordsee, Atlantik und Mittelmeer sind die großen Fischschwärme verschwunden. Jetzt gehen die riesigen europäischen Fischtrawler vor der Küste Afrikas auf Raubzug. Um den Zusammenbruch des Ökosystems zu verhindern, sind Reformen notwendig.


Früher, berichtet der senegalesische Fischer Abdou Karim Sall, lebte seine Familie vom Meer. "Wenn mich mein Vater zum Fischen schickte, war ich nach fünf Minuten mit einer Handvoll Fische zurück". Heute dagegen sind europäische Fangflotten vor der afrikanischen Küste unterwegs. Mit modernsten Methoden fangen sie riesige Mengen Fisch aus dem Meer. "Immer weniger landet in unseren Netzen. Wir haben oft nicht mehr genug Fisch, um satt zu werden", klagt Abdou Karim Sall.

Greenpeace ist den Vorwürfen nachgegangen. Mit ihrem Schiff "Arctic Sunrise" entdeckten die Umweltschützer vor der Küste Senegals über 90 ausländische Fischtrawler. Zwei Drittel von ihnen kamen aus der EU, vor allem aus Spanien und den Niederlanden. Die bis zu 140 Meter langen Fangschiffe können jeden Tag mehrere hundert Tonnen Fische verarbeiten. In den riesigen Netzen verfangen sich auch Schildkröten, Delfine, Seevögel und viele Fische, die nicht zu den gewünschten Speisefischen gehören. Dieser "Beifang" wird tot über Bord geworfen.

Die schwimmenden Fischfabriken fangen viel mehr, als nachwachsen kann, kritisiert Greenpeace. "Sie haben die europäischen Gewässer so gut wie leer gefischt. Jetzt setzen sie ihren Beutezug vor der westafrikanischen Küste fort und stehlen den Menschen die Nahrung." Es gibt zwar Verträge über internationale Fangrechte, aber das nützt den afrikanischen Fischern nichts. Für sie bleibt wenig übrig. Sie müssen in ihren kleinen Booten immer weiter hinaus aufs Meer hinausfahren, um überhaupt noch etwas zu fangen. Verschärft wird die dramatische Lage der Afrikaner durch illegale Piratenfischer, deren Fracht ebenfalls in den Fischgeschäften Europas landet. Die Hälfte der Fische, die in Europa auf den Tisch kommen, wird aus anderen Weltgegenden importiert.


Plünderung der Meere

Lange Zeit galten die Fischbestände der Meere als unerschöpfliche Reichtümer. Doch die Bestände schrumpfen dramatisch, seit spezialisierte Fangflotten, ausgerüstet mit hochmoderner Technik, die Weltmeere plündern.

Die Zahl der industriellen Trawler aus Europa, Japan, China und den USA ist nicht sehr groß, nur etwa ein Prozent der weltweiten Fischereiboote. Doch sie fangen 50 Prozent der Gesamtmenge. Die Technik macht es möglich: Echolot und Radar orten Fischschwärme selbst in entlegensten Winkeln der Meere, mit Riesennetzen werden die Meere bis zu einer Tiefe von 2.000 Metern leer gefischt. Die Fischbestände können sich kaum noch regenerieren.

Damit ist eine wichtige Nahrungsquelle der Menschheit gefährdet. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass von den weltweit kommerziell genutzten Fischbeständen 52 Prozent bis an ihre Grenze genutzt, 19 Prozent überfischt und 8 Prozent bereits erschöpft sind. In den europäischen Meeren ist die Situation besonders dramatisch: 90 Prozent der europäischen Speisefischbestände vom Aal über den Kabeljau bis zum Rotbarsch gelten als überfischt und existenzbedroht.

Die Zeit drängt, wenn man die Fischbestände vor dem völligen Zusammenbruch bewahren und die Artenvielfalt im Meer retten will. Wissenschaftler haben kürzlich die Umweltschützer mit einer alarmierenden Studie unterstützt. Mehr als 40 Fischarten stünden im Mittelmeer vor dem Aussterben, stellte die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources fest. Zu den gefährdeten Fischen gehören die einst so weit verbreiteten Großen Thunfische, der Braune Zackenbarsch und der Seehecht.

Noch alarmierender ist die Bestandsaufnahme, die ein Kreis von Wissenschaftlern vom International Programme on the State of the Ocean (IPSO) im vergangenen Sommer veröffentlichte. Ausmaß und Geschwindigkeit des Sterbens in den Weltmeeren sei wesentlich größer als bisher angenommen und könne bald zum größten Artensterben seit dem Untergang der Dinosaurier führen. "Wir stehen vor Konsequenzen für die Menschheit, die noch zu unseren Lebzeiten spürbar werden. Noch schlimmer wird es für unsere Kinder und die Generationen danach", sagte Dr. Alex Rogers, wissenschaftlicher Leiter der IPSO-Studie.


Fischereilobby bremst

In Brüssel wird derzeit an einer Reform der europäischen Fischereipolitik und einer Kürzung der Subventionen gearbeitet. Die EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki will noch in diesem Jahr ein umfangreiches Reformpaket durchsetzen. Die bisherige Fischereipolitik ist nach den Worten Damanakis gescheitert. "Weitermachen wie bisher ist keine Option." Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll die Überfischung gestoppt werden. Dann dürfe nur noch so viel gefischt werden, wie nachwächst.

Die künftigen Fangquoten sollen sich streng an wissenschaftlichen Kriterien orientieren. Umweltschützer sehen in den Reformplänen einen guten Ansatz, zweifeln aber an der Umsetzung. Massiver Widerstand innerhalb der EU sei vorherzusehen, vor allem von der Fischerei-Lobby aus dem Lager der traditionellen Fischfang-Nationen Spanien, Frankreich und Großbritannien. Greenpeace fordert, die Subventionen zu reduzieren, die Fangflotten zu verkleinern und größere Meeresschutzgebiete einzurichten.

Den Verbrauchern kommt eine wichtige Rolle zu. Jeder Deutsche konsumiert im Jahr durchschnittlich 16 Kilogramm Fisch. "Da macht es einen großen Unterschied, ob man sich für nachhaltig gefangenen Fisch entscheidet", meint die Umweltstiftung WWF. Um die Frage zu beantworten, welchen Fisch man noch mit gutem Gewissen essen kann, hat die Stiftung einen Einkaufsratgeber für Fisch und Meeresfrüchte zusammengestellt. Auf Rotbarsch, Schwertfisch, tropische Garnelen und Aal sollte man aus ökologischen Gründen verzichten, empfiehlt der Ratgeber. Dorsch und Hering aus der östlichen Ostsee, Sprotten aus Nord- und Ostsee sowie Lachs aus dem Ost-Pazifik seien akzeptabel. Greenpeace meint: "Essen Sie seltener und bewusster Fisch, und wenn, kaufen Sie Fisch aus gesunden Beständen, der mit schonenden Methoden gefangen wurde".

Neun von zehn deutschen Verbrauchern kaufen laut Umfragen lieber Fisch aus nachhaltigen Quellen. Die Öko-Siegel MSC, Naturland und Bioland bieten dazu eine Orientierung an der Fischtheke. "Wer konsequent Fisch aus nachhaltiger Fischerei oder Bio-Zucht kauft", betont WWF-Fischereiexpertin Catherine Zucco, "hilft damit, die Meere und ihren natürlichen Fischreichtum zu schützen".


WEITERE INFORMATIONEN

• Greenpeace und der WWF haben Fisch-Ratgeber für bewusste Verbraucher herausgegeben, in gedruckter Form und als App für Smartphones unter www.wwf.de und www.greenpeace.de.

• Die IUCN veröffentlicht ihre Bestandsaufnahme gefährdeter Arten auf www.iucnredlist.org.

• Der Bericht der IPSO-Wissenschaftler ist im Internet auf www.stateoftheocean.org dokumentiert.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das Leben in den Weltmeeren ist bedroht. Greenpeace warnt vor den Folgen des industriellen Fischfangs.
- Fangfrisch aus Übersee: In Europa wird gegessen, was in Afrika gefischt wird


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Quelle:
Securvital 1/2012 - Januar-März, Seite 16 - 18
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2012