Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

FISCHEREI/045: Öko mit Haken und ohne Fairen Handel - Zertifizierung von Fisch (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2012
Lost in Translation? Von Siegeln, Labels und Zertifikaten

Öko mit Haken - und ohne Fairen Handel
Zertifizierung von Fisch

von Billo Heinzpeter Studer



Die Zertifzierung von Produkten und Produktionsprozessen ist ein Ersatz für die zunehmend verloren gegangene Nähe zwischen Produzent/innen und KonsumentInnen. Paradoxerweise kann dabei die Distanz noch grösser werden, zum Schaden der Umwelt und vor allem der kleinen Fischer.

Zuerst schuf die Industrialisierung Distanz zwischen Stadt und Land. Dann distanzierte die Globalisierung das Produktionsland X vom Vermarktungsland Y. Gleichzeitig treffen einst lokal begrenzte Nahrungsmittelskandale heute ganze Länder.

Dies ist einer der Gründe für die Zertifizierung von Nahrungsmitteln: Pflichtenhefte und Kontrollen sollen sicherstellen, dass Hygienestandards mit definierten Grenzwerten eingehalten werden. Um die Quelle von Mängeln entdecken zu können, gilt die Rückverfolgbarkeit vom Ladenregal bis zum Ursprung des Produkts (Chain of custody, zu deutsch: Wertschöpfungskette) heute als Standard.
Ein zweiter Grund für die Zertifizierung ist der Täuschungsschutz. Zunächst wollten Kunden sicher sein, dass sie die bestellte und verrechnete Menge erhielten. Zunehmend kam die Kontrolle von Produktions- und Qualitätsstandards hinzu. »Wo Bio draufsteht, ist Bio drin« ist nur so zuverlässig wie die Kontrolle dahinter.

Distanz fördert Zertifizierungsindustrie

Am Beispiel der Bio-Siegel lässt sich die Entwicklung gut zeigen: Ursprünglich kontrollierten die Bioverbände die Einhaltung ihrer Richtlinien auf den Höfen selber. Richtliniengeber, Berater und Kontrolleure waren oft identisch: Fachpersonen, die sich à fond und en détail in diesen Aufgaben und auf den Höfen auskannten. Dann kamen staatliche Förderungen und damit ein Problem für die Politik: Wenn nur Betriebe Direktzahlungen kriegen sollen, welche die Richtlinien erfüllen, dann dürfen nicht mehr die Bioverbände kontrollieren, denn die stehen ihren Bauern zu nahe.
Die Distanz zwischen Politik, Produktion und Verbrauch bringt der Zertifizierungsindustrie neue Kundschaft. Ein besonders lukratives Feld für sie sind Güter der Allmende: Holz, Fisch - Rechte an, Zugang zur und Nutzung der Ressource sind komplex.

Typisches Beispiel sind die Zertifizierungsprogramme für nachhaltige Holzgewinnung (FSC) beziehungsweise Fischerei (MSC), die der WWF lancierte und die ohne dessen permanente Propaganda nie groß geworden wären. Sie sind in ihrer wissenschaftsbasierten Anlage ambitiös, doch ihr Ziel ist nicht die Strenge im Elfenbeinturm, sondern Einflussnahme auf die Praxis der Industrie. Der Spagat zwischen hohem Anspruch und Praktikabilität führt zu aufwendigen Verfahren mit langer Entscheidungsdauer und hohen Kosten.

MSC-Zertifizierung: lange Dauer, hohe Kosten

Die Zertifizierung einer Fischerei für den 1999 vom WWF lancierten Marine Stewardship Council (»Meeresschutzrat«, MSC) [1] dauert mindestens ein Jahr und kostet von 100.000 Euro an aufwärts. Dahinter steht ein Ansatz, der im Prinzip alle einbeziehen will, die mit dem Fang der Fischart X im Meeresgebiet Y zu tun haben: alle Fischereiunternehmen, Fischereibehörden, Umwelt- und Tierschutzorganisationen, und so weiter. Der MSC will nicht nur die Praxis von ein paar Fischereiunternehmen verbessern, während alle anderen in derselben Region weiterhin Raubbau betreiben.

Was sich in der Theorie gut anhört, läuft in der Praxis auf einen Kompromiss hinaus, der den geweckten Verbrauchererwartungen nicht gerecht wird. So ist es möglich, dass der MSC Fischereien zertifiziert, welche auf bereits überfischte Bestände Jagd macht und/oder dies mit zerstörerischen Fangmethoden tut (Grundschleppnetz) [2]. Möglich wird dies, weil das MSC-Zertifikat vergeben wird, wenn die Fischerei eine bestimmte Mindestpunktzahl erreicht. Punkte gutmachen kann eine Fischerei, wenn sie ein ausgeklügeltes Managementsystem vorlegt, welches die negativen Folgen ihrer Fangtätigkeit überwacht und - wo nötig - korrigiert. Motto: Schützen beim Nützen.

Ob dies in der Praxis zu einer Erholung überfischter Bestände führt, ist offen. Eine Studie [3] des renommierten Kieler Fischereibiologen Rainer Froese kritisierte unlängst, dass 39 Prozent der MSC-zertifizierten Fischbestände überfischt sind und/oder nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. Im Vergleich dazu schnitt das Label »Friend of the Sea« (FOS) [4] mit nur zwölf Prozent roten Beständen deutlich weniger schlecht ab, obschon eine FOS-Zertifizerung nur etwa drei Monate dauert und etwa ein Hundertstel so viel kostet wie beim MSC. [5]

Handel mit Fisch noch immer unfair

Ökologisch Fragwürdiges kann sich bei einem Label für Nachhaltigkeit vor allem deshalb einschleichen, weil zwischen VerbraucherInnen und Fischereibetrieben kaum mehr Kontakt besteht. Dies hat vor allem auch sozial üble Folgen. In kaum einer Nahrungsmittelbranche ist Fairer Handel so fern wie beim Fisch. Der Verein fair-fish hat seit 2005 zusammen mit senegalesischen Kleinfischern einen Standard für Fairen Handel, Nachhaltigkeit und Tierschutz entwickelt und in der Praxis erprobt [6]. Der europäische Markt ist aber bis heute nicht reif [7] für einen Fairen Handel mit Fisch aus dem Süden (woher der Fisch mehr und mehr kommt, nachdem der Norden seine Gewässer schon leergefischt hat). Und die Fairtrade-Bewegung macht noch immer einen großen Bogen um die Fische, obschon die als Exportprodukt für den Süden wichtiger sind als alle Nahrungs- und Genussmittel, die wir heute mit einem Fairtrade-Label kaufen können, zusammen. Der im europäischen Markt maßgebliche Verband der Fairtrade Labelling Organizations (FLO) bastelt seit 2008 an einem Fisch-Standard, ist aber über einen Entwurf für Zuchtgarnelen [8] nicht hinausgekommen. Traditionelle Fairtrader tun sich nicht nur mit dem besonders heiklen Produkt Fisch schwer, sondern auch damit, dass viele Kleinfischer im Süden partout nicht ins bequeme Denkschema »Genossenschaft« passen wollen.

Warnung vor hirnrissigen Forderungen

Distanz zur Quelle kann dazu verleiten, die Realität in ein sachfremdes Schema zu pressen. Natürlich sollen KonsumentInnen erfahren, woher ein Fisch kommt: Fanggebiet, aber auch Fangmethode gehören deklariert. Dagegen ist die nun von EU-Bürokraten vorgeschlagene Pflicht zur Angabe des Fangdatums hirnrissig: sie trägt zur Lösung realer Probleme nichts bei und schafft neue. Wer den Frischefimmel beim Fisch bedient, darf sich nicht wundern, wenn vor fünf Tagen gefangener Fisch in der Frischtheke liegen bleibt, oder vor ein paar Monaten gefangener Tiefkühl-Fisch in der Kühltruhe - nachdem bisher klaglos wesentlich älterer Frischfisch gekauft wird und Tiefkühlfisch bei Sorgfalt bis zu 18 Monaten haltbar ist.

Richtig schlimm wird es, wenn sachfremde Vorstellungen über ferne Fischerdörfer im Süden gestülpt werden. Während der Verein fair-fish im Senegal den weltersten Standard für faire Fischerei entwickelte, war eine der größten Sorgen des damaligen Projektpartners Migros, die Mitwirkung von Kindern absolut auszuschließen. Nach senegalesischem Gesetz besteht Schulpflicht für Sechs- bis Sechzehnjährige, zudem gilt jede Arbeit mit Fischen (auch die an Land) als sehr gefährlich, weshalb sie erst ab 18 Jahren erlaubt ist. Derlei Gesetze wurden nach der Unabhängigkeit geschrieben, um das Gewissen der Geldgeber in Europa zu beruhigen; die reale Politik hat ihnen kaum je nachgelebt.

In den abgelegenen Fischerdörfern gibt es oft nur Primarschulen, und Arbeit außerhalb der Fischerei zu finden ist kaum möglich, geschweige denn eine andere Ausbildung. Die traditionelle Teilnahme von Kindern beim Fang, Verarbeiten und Handeln von Fischen ist eine Mischung aus erwerbsfreier Beschäftigung, Freizeit und sozialer Kontrolle. Die Alternative dazu wäre das Herumlungern unbeschäftigter Jugendlicher im Dorf. Der von fairfish in die Richtlinien [9] gesetzte Kompromiss: Alle Kinder der beteiligten Fischer/frauen besuchen die Schule und sind bei Fängen für fair-fish nicht bei den Pirogen anzutreffen. Doch was machen die Jungen nach ihrem Schulabschluss? Einem lokalen Erwerb nachgehen, der mit Fairtrade-Prämien aus dem Fischhandel entwickelt wird - wenn es denn diesen Fairen Fischhandel endlich gäbe!

Der Autor ist Präsident von fair-fish.net.


Wann ist ein Fischlabel fair?

In der Fischerei:

  • wenn es nur gesunde Bestände befischen lässt;
  • und dies nur mit tier- und umweltschonenden Methoden;
  • wenn es Meeresschutzgebiete schafft;
  • die Fischer/innen und die Arbeiter/innen fair bezahlt;
  • den größten Teil der Wertschöpfung im Fischereigebiet belässt;
  • und über eine zusätzliche Fair-Trade-Prämie lokale Entwicklung außerhalb der Fischerei unterstützt.

In der Aquakultur:

  • wenn es die Verfütterung von Wildfisch auf einen Bruchteil des geernteten Zuchtfischs begrenzt;
  • wenn es eine artgerechte Haltung verlangt;
  • die Züchter/innen und Arbeiter/innen fair bezahlt.
  • den größten Teil der Wertschöpfung im Gebiet belässt;
  • und über eine zusätzliche Fair-Trade-Prämie lokale Entwicklung außerhalb der Aquakultur unterstützt.

Beurteilung der wichtigsten Label:
www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien/index9.html

[1] www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien/index3.html
[2] www.fair-fish.ch/blog/archive/2010/09/06/meereswissenschafter-kritisieren-msc.html
[3] www.fair-fish.ch/wissen/fang/ueberfischt2.html
[4] www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien/index4.html
[5] www.fair-fish.ch/files/pdf/wissen/fair-fish_froese_msc_fos-20120508.pdf
[6] www.fair-fish.ch/was-wer-wo/wo/senegal/
[7] www.fair-fish.ch/wissen/handel/
[8] www.fair-fish.ch/files/pdf/english/comments_fairtrade_shrimps_draft1_f-f.pdf
[9] www.fair-fish.ch/wissen/richtlinien (rechte Spalte: Links zu allen Detailregeln)

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2012, S. 14-15
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012