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GLOBAL/065: Streitthema 'grüne Wirtschaft' - Chance oder Vorwand zum Ressourcenklau? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Juni 2012

Umwelt: Streitthema 'grüne Wirtschaft' - Chance oder Vorwand zum Ressourcenklau?

von Thalif Deen



New York, 14. Juni - Bei der Schlacht um die Themen auf der UN-Nachhaltigkeitskonferenz in Rio de Janeiro vom 20. bis 22. Juni wird sich aller Voraussicht nach das Konzept der 'grünen Wirtschaft' behaupten können. Experten zufolge ist es letztlich die Definition des Begriffs, die über Erfolg oder Misserfolg des Rio+20-Gipfels entscheiden wird.

"Sollte die grüne Wirtschaft in einer Art und Weise definiert werden, die einer nachhaltigen Entwicklung förderlich ist, anstatt marktbasierten Experimenten oder Techno-Reparaturen das Wort zu reden, können wir von einer gelungenen Veranstaltung sprechen", so Alex Scrivener von der 'World Development Movement' (WDM) in London.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte die Weltgemeinschaft dazu auf, sich auf eine inklusive grüne Wirtschaft zur Bekämpfung der Armut und zugunsten des Umweltschutzes zu einigen. Eine so verstandene grüne Wirtschaft mache eine internationale Zusammenarbeit, Investitionen, Finanzierungen, den Austausch von Erfahrungen und den Technologietransfer erforderlich.

Ein Schlüsselthema der Nachhaltigkeitskonferenz 20 Jahre nach dem historischen Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 ist die Frage, wie sich die Integration einer 'grünen Wirtschaft' in das größere Konzept der nachhaltigen Entwicklung integrieren lässt.


Mensch und Natur im Mittelpunkt

"Doch was ist eigentlich eine grüne Wirtschaft?", fragte WDM, die globale Anti-Armutskampagnen durchführt. "Eine wahre grüne Wirtschaft sähe wirtschaftliche Gerechtigkeit vor - das Recht der armen Gemeinschaften, selbst zu entscheiden, wie sie ihrer Armut entfliehen wollen, und die Rücknahme falscher Entscheidungen, die dem Profit mehr Bedeutung bemessen als dem Wohl von Mensch und Umwelt."

Ebenso würde eine wahre grüne Wirtschaft "unserem auf Wachstum und nicht-nachhaltigem Konsum basierenden Konsumverhalten ein Ende setzen und den Bedürfnissen aller Menschen auf nachhaltige Weise entgegenkommen".

Auf die Frage, ob Finanzierungsprobleme die Umsetzung einer grünen Wirtschaft verhinderten, antwortete Scrivener, er vermisse vor allem den politischen Willen der Industriestaaten, der Rio+20-Konferenz zum Durchbruch zu verhelfen.

Schon der im Januar veröffentlichte Aktionsplan für Rio+20 zeichne sich durch vage Formulierungen und wenig konkrete Zugeständnisse aus, wie der WDM-Vertreter erläuterte. In den anschließenden Verhandlungen sei das Abschlussdokument weiter verwässert worden.

Ohne konkrete Zusagen und Zugeständnisse - zugunsten einer finanziellen Befähigung armer Länder, Umweltmaßnahmen umzusetzen oder eines Fahrplans zur Abschaffung der Subventionierung fossiler Brennstoffe - werde das Abschlussdokument zu einem Sammelsurium von Banalitäten verkommen.

WDM wirft Industrieländern, Banken und internationalen Industriekonzernen vor, den Begriff der 'grünen Wirtschaft' zur Verschleierung von Plänen zu missbrauchen, um die globalen Güter des Gemeinwohls weiterhin ungeniert privatisieren und neue Märkte für die Dienstleistungen erschließen zu können, die die Natur kostenfrei zur Verfügung stellt. "Diesem trojanischen Pferd werden neue marktbasierte Mechanismen entspringen, die dem Finanzsektor erlauben, das Management der globalen Gemeingüter besser zu kontrollieren", warnte die Gruppe.

Anstatt zu nachhaltiger Entwicklung und ökonomischer Gerechtigkeit beizutragen, führt diese 'Corporate Green Economy' zur Privatisierung von Land und Natur durch multinationale Unternehmen. Damit werde den Gemeinschaften die Kontrolle über ihre Ressourcen entrissen, auf die sie angewiesen seien.


Gebermüdigkeit reißt Loch in Grünen Klimafonds

Scrivener geht nicht davon aus, dass die Industriestaaten den Grünen Klimafonds mit 100 Milliarden US-Dollar bestücken werden, aus dem Maßnahmen armer Länder zur Anpassung an die negativen Folgen des Klimawandels finanziert werden sollen. Der Mangel an öffentlichen Geldern sei bereits zu einer Standardentschuldigung der reichen Nationen geworden, um zu erklären, warum sie ihre Klimafinanzierungsziele nicht erreichten.

"Die Verschuldungskrise in Europa mag sicherlich den Zugriff auf öffentliche Gelder erschweren. Gleichzeitig muss jedoch gesagt werden, dass die Chancen für eine Erschließung neuer Möglichkeiten der öffentlichen Klimafinanzierung vertan wurden", sagte Scrivener. So sei etwa die Idee, eine globale Steuer auf Flug- und Schiffereiverkehr zu verhängen, wie bei den Klimagesprächen in Kopenhagen 2009 empfohlen, einfach in Vergessenheit geraten.

"Und wenn wir über finanzielle Engpässe lamentieren, sollten wir nicht vergessen, dass wir in den Industrieländern eine Klimaschuld gegenüber den Entwicklungsländern zu begleichen haben", sagte Scrivener. Er forderte die Regierungen auf, eine Lehre aus der derzeitigen Weltfinanzkrise zu ziehen. So gelte es ein Wirtschaftssystem abzuschaffen, "dem eine gefährliche Instabilität und Nicht-Nachhaltigkeit innewohnt". (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.wdm.org.uk/
http://www.ipsnews.net/2012/06/defining-green-economy-may-stymie-rio- summit/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2012