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KATASTROPHEN/024: Japan - Die Alten wollen bleiben, verwüstete Nordregionen kämpfen gegen Abwanderung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Januar 2012

Japan: Die Alten wollen bleiben - Verwüstete Nordregionen kämpfen gegen Abwanderung

von Suvendrini Kakuchi


Minami-Sanriku, Japan, 26. Januar (IPS) - Yumi Goto will in Minami-Sanriku in der Region Tohoku an der japanischen Nordostküste bleiben, ihrer vor zehn Monaten von Erdbeben und Tsunamis verwüsteten Heimat. Die 60-jährige Fischersfrau und ihr Mann leben derzeit in einer Notunterkunft. "Wir wollen sobald wie möglich in unser früheres Leben zurückkehren", sagt sie. Zur Region Tohoku gehören die von der Katastrophe am schlimmsten betroffenen Verwaltungsbezirke Fukushima, Iwate und Miyagi.

Auch die lokalen Behörden sind entschlossen, mit finanzieller Unterstützung der Regierung in Tokio die Region wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen. Sie setzt dabei auf einen auf Modernisierung zielenden Strukturwandel.

Unterdessen versucht Gotos Familie, sich wie früher mit Austernzucht und Algensammeln durchzubringen. Eine kürzlich von den lokalen Behörden durchgeführte Umfrage hatte ergeben, dass nicht einmal 20 Prozent der Bevölkerung aus Minami-Sanriku mit seinen einstmals geschäftigen Fischereihäfen und seinem fruchtbarem Ackerland fortziehen wollen.

"Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, wie tief die hier lebenden Menschen in ihrer traditionellen Lebensweise verwurzelt sind", erklärt Akio Shimada, Politikwissenschaftler an der Universität von Tohoku.

Jahrhunderte lang hatten Japans nördliche Regionen mit der Fülle ihrer Fischerei- und Agrarprodukte die Hauptstadt Tokio versorgt. Das von Tokio angekündigte, auf drei Jahre angelegte Wiederaufbauprogramm für Tohoku mit seiner alternden Bevölkerung stellt die Planer vor erhebliche Schwierigkeiten.


Exodus der jungen Leute

Anders als die Fischerfamilie Goto sieht die junge Generation für sich geringe Chancen in der Region. Seit der Katastrophe ist die Zahl der Haushalte von 5.400 auch 4.893 gesunken. Mit 200 Personen pro Quadratkilometer ist Tohoku schon jetzt Japans am dünnsten besiedelte Region.

Der Rückgang der Landbevölkerung habe sich schon vor März 2011 abgezeichnet, betont der Bevölkerungsexperte Ryuzaburo Sato vom nationalen Forschungsinstitut für Bevölkerungsentwicklung und soziale Sicherheit (IPSS) in Tokio gegenüber IPS. "Die Jungen suchen sich ihre Jobs lieber in den Großstädten, die ihnen ein modernes, sicheres Leben bieten", sagt er.

Japans allgemeiner und seit vier Jahren registrierter Bevölkerungsschwund fiel 2010 mit einem Minus von 123.000 Einwohnern besonders hoch aus. 2011 lag der Zuwachs an 'neuen Erwachsenen', die ihr 20. Lebensjahr erreichten, mit 1,24 Millionen bei weniger als einem Prozent der Gesamtbevölkerung von 127,36 Millionen Menschen.

Bürgermeister und Wirtschaftsexperten aus Tokohu sind fest entschlossen, die Wiederaufbaumittel der Regierung für Strukturmaßnamen zu nutzen, um der Wirtschaft neue Impulse zu geben.

Einer der Wortführer des neuen Entwicklungsmodells ist Hiroya Masuda. Er war früher Bürgermeister von Miyakoshi, einer ebenfalls zerstörten Fischerstadt mit ehemals 60.000 Einwohnern. Er hält die Modernisierung der Fischerei für vorrangig, um die jungen Leute in der Region zu halten. Die dazu notwendigen Mittel soll die Regierung stellen.


Von Tokio unabhängig werden

"Früher war die Regionalwirtschaft von Tokio abhängig. Die Regierungspolitik zielte darauf ab, dass wir unsere Produkte an die Großkonzerne der Hauptstadt verkauften. Jetzt ist es Zeit, uns auf uns selbst zu besinnen und ein wirtschaftlich nachhaltiges Tohoku aufzubauen", sagt der ehemalige Lokalpolitiker.

Ähnliche Forderungen an die Regierung stellt auch der Bezirk Fukushima. Hier hatte man sich vor 40 Jahren die Zustimmung für die Ansiedlung des inzwischen havarierten und verstrahlten Atomkraftwerks mit wirtschaftlichen Fördemitteln von der Regierung bezahlen lassen.

Fukushimas ehemaliger Gouverneur Eisaburo Sato ist ein entschiedener Gegner der traditionellen japanischen Entwicklungsstrategien. Sie seien eine Geldverschwendung und dienten nicht den lokalen Gemeinden, die man vielmehr dazu zwinge, zum Wohle von Tokios reichen Großunternehmen zu arbeiten, so Sato in einer öffentlichen Kritik.

Beim wirtschaftlichen Wiederaufbau der von der Katastrophe betroffenen Regionen denkt der Wissenschaftler Shimada an innovative Projekte, von denen die lokale Bevölkerung direkt profitiert. So etwa benötigten die traditionelle Fischerei und die Landwirtschaft einen Technologietransfer, betont er.

Zu den vorgeschlagenen Projekten gehören die Einrichtung von Fischfarmen, die Erforschung neuer Energien und eine modernisierte Landwirtschaft, die Qualitätsprodukte auf den Markt bringt.

Die Fischersfrau Goto will zwar in Tokohu bleiben, doch auch sie wünscht sich Veränderungen. "Ich bin zu alt, um wegzugehen. Vielleicht aber machen die neuen Unternehmen aus Minami-Sanriku einen attraktiven Ort, in dem auch meine Töchter leben wollen", meint sie nachdenklich. (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2012