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KATASTROPHEN/063: Folgen von Fukushima - Japanisches Gericht verweigert Evakuierung (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 634-635 / 27. Jahrgang, 6. Juni 2013

Folgen von Fukushima
Japanisches Gericht erkennt eine Gesundheitsgefährdung zwar an, verweigert aber die Evakuierung

von Thomas Dersee



Die japanische Stadt Koriyama in der Präfektur Fukushima ist circa 60 Kilometer von den havarierten Atomkraftwerken Fukushima Daiichi entfernt. Einige Monate nach der nuklearen Katastrophe haben 14 Schulkinder aus Koriyama bzw. deren Eltern den Entschluß gefaßt, eine Klage gegen die Stadt Koriyama anzustrengen. Das Ziel der Klage ist einfach und klar: Die Kinder wollen in einer gesunden, radioaktiv "unbelasteten" Umwelt leben, in der die Strahlenbelastung weniger als 1 Millisievert pro Jahr (mSv/a) beträgt. Darauf wies jetzt "The Fukushima Collective Evacuation Trial Team for the Right to Education in a Safe Place" hin. [1]

Im Juni 2011 haben daraufhin diese Kinder mit der Unterstützung ihrer Eltern gegen die Stadt Koriyama Klage erhoben, um ihr verfassungsmäßiges Recht auf "Ausbildung in einer sicheren Umwelt" durchzusetzen. Die Kläger machten geltend, daß die Stadt Koriyama nach dem Gesetz verpflichtet sei, Schüler der Grund- und Mittelschulen aus der Gefahrenzone zu entfernen.

Das Bezirksgericht Koriyama wies diese Klage in einem Urteil vom 16. Dezember 2011 ab. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß für die Kinder keine Gefahr bestehe, solange die Strahlenexposition 100 mSv/a nicht übersteige.

Dieses Urteil war für die 14 klagenden Kinder und ihre Vertreter vollkommen inakzeptabel. Deshalb legten sie Ende 2011 beim Oberlandesgericht in Sendai Widerspruch ein.

Am 24. April 2013 entschied nun das Gericht erneut gegen die Kläger, die Klage wurde wiederum abgewiesen. Es begründete sein Urteil zusammengefaßt wie folgt:

1. Die aktuellen Werte der Hintergrundstrahlung, die in der Stadt Koriyama gemessen werden, belegten, daß die Kinder dauerhaft einer niedrigen Strahlendosis ausgesetzt seien, was Anlaß zu großer Sorge gebe, daß dies Gesundheitsschäden nach sich ziehen werde. Hinzu komme, daß das gesundheitliche Risiko infolge der Strahlenbelastung in Zukunft noch steigen werde. Aufgrund der begrenzten Wirksamkeit der in die Wege geleiteten Dekontaminierungsmaßnahmen, könne dieses Problem nur gelöst werden, indem die Kinder die Stadt Koriyama verlassen.

2. Obwohl Besorgnisse hinsichtlich der mittel- und langfristigen gesundheitlichen Folgen bestehen, akzeptiert jedoch das Gericht nicht, daß diese Umstände unmittelbar zu irreversiblen gesundheitlichen Problemen führen werden.

3. Im außerschulischen Alltagsleben seien die Kinder bereits andauernd Dosen von mehr als 1 mSv/a ausgesetzt. Solange die Kinder in der Stadt Koriyama lebten, sei es nicht möglich, ihre jährliche Strahlenbelastung unter 1 mSv/a zu senken, selbst wenn die Stadt ihre schulischen Bildungsaktivitäten einstellte.

4. Es gebe keine Anhaltspunkte, daß die Weiterführung der Bildungsaktivitäten durch die Stadt ein erhebliches zusätzliches Risiko für die Gesundheit und Sicherheit der Schüler berge. Daher hält es das Gericht nicht für unangemessen, daß der Unterricht in den Schulen der Stadt Koriyama fortgeführt wird.

Die Kläger seien nicht berechtigt zu verlangen, daß die Schulen Koriyamas ihre Bildungsaktivitäten an einen Ort außerhalb Koriyamas verlegen. Die Stadt Koriyama sei ihrerseits nicht verpflichtet, solchen Forderungen zu entsprechen. Kinder, die sich entschließen, von Koriyama fortzuziehen, müßten das an ihrem neuen Wohnort vorhandene Schulangebot wahrnehmen.

5. Das Gericht erkenne keine Gründe, die es den Kindern erschweren würden, Koriyama freiwillig zu verlassen und sehe darüber hinaus keine Notwendigkeit, der Forderung der Kläger nach einer Massenumsiedlung stattzugeben.

Nachdem das Urteil vom 24. April 2013 ergangen war, erklärte der Anwalt des "Fukushima Collective Evacution Trial Team", Herr Toshio Yanagihara: "Mit einem Wort, das Urteil ist einfach nicht nachvollziehbar. Im ersten Teil der Urteilsbegründung räumte das Gericht ein, daß große Besorgnis hinsichtlich der Gesundheitsrisiken für die Kinder der Stadt Koriyama bestehe. Das Gericht erklärte weiterhin, daß das gesundheitliche Risiko infolge der Strahlenbelastung in Zukunft noch steigen wird.

Der Tenor des zweiten Teils der Urteilsbegründung steht diesen Ausführungen dann allerdings diametral entgegen, insofern, als das Gericht den Klägern ihr Wegzugsrecht abspricht und die Stadt Koriyama nicht in der Pflicht sieht, die Kinder umzusiedeln."

Der US-amerikanische Linguistik-Professor und bekannte Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung Noam Chomsky, der bereits am 12. Januar 2012 den Klägern seine Unterstützung zugesagt hatte, kommentierte das Urteil so: "Es ist zutiefst beunruhigend zu erfahren, daß die Gerichte sich bemühen, die Evakuierung von Kindern aus dem Fukushima-Umfeld zu blockieren, obwohl sie die gesundheitlichen Risiken anerkennen. Nichts sagt uns mehr über das moralische Niveau einer Gesellschaft, als die Art der Behandlung der am meisten Gefährdeten, in diesem Falle ihres wertvollsten Besitzes, ihrer Kinder. Ich hoffe und vertraue darauf, daß diese finstere Entscheidung rückgängig gemacht wird." [2]

Ein Erfolg der Klage hätte eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung für die rechtliche Stellung der vielen anderen von der Katastrophe betroffenen Gemeinden.

Anmerkungen

1. http://fukusima-sokai.blogsp ot.jp

2. "It is deeply disturbing to learn that the courts have blocked efforts to evacuate children from the Fukushima site, though acknowledging the health risks. Nothing tells us more about the moral level of a society than how it treats the most vulnerable, in this case its most precious possession, its children. I hope and trust that this grim decision will be reversed."


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_634-635_S08.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2013, Seite 8
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012