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KLIMA/013: Was Cancún kann - Handeln, Verhandeln, Koalitionen - Hintergrundpapier zum UN-Klimagipfel (GW)


WAS CANCÚN KANN: HANDELN - VERHANDELN - KOALITIONEN

HINTERGRUNDPAPIER ZUM UN-KLIMAGIPFEL IN MEXIKO 2010

Germanwatch


Kurzzusammenfassung

Der Klimagipfel in Cancún soll einen Strategiewechsel für den internationalen Klimaschutz einleiten. Bis Kopenhagen herrschte die Vorstellung vor, man könne dort mit einem "großen Wurf" ein internationales Klimaabkommen bis 2020 in einer Konferenz verabschieden. Nach den bescheidenen Ergebnissen des letztjährigen Klimagipfels und dem Ausgang der jüngsten Zwischenwahl in den USA hat sich das Zeitfenster für einen solchen Ansatz jedoch geschlossen. Die große Frage lautet jetzt: Wie sieht eine Alternativstrategie aus, welche die Chancen deutlich erhöht, die notwendigen Klimaziele dennoch zu erreichen? Dieser Frage geht das vorliegende Hintergrundpapier zum Klimagipfel in Mexiko nach.


Hintergrundpapier zum Klimagipfel in Cancún 2010

Inhalt

Zusammenfassung

Einführung: Klimapolitik nach dem gescheiterten großen Wurf

1   Drei Dimensionen der Internationalen Klimapolitik: Handeln, Verhandeln, Koalitionen

1.1 Erste Dimension: Handeln

1.2 Zweite Dimension: Verhandeln

1.3 Dritte Dimension: Koalitionen für mehr Aktion und dynamischere Verhandlungen

2   Was kann der Beitrag von Cancún für zwei große Langfrist-Investitionspakete für die Zeit bis 2020 sein?

2.1 Das klimaverträgliche Wohlstandspaket

2.2 Das Klimaresilienz-, Anpassungs- und Entwicklungspaket

3   Internationale Klima-Verhandlungsstrategie von 2011 bis 2015

3.1 Der Beginn der Aufwärtsspirale: der Bottom-Up-Ansatz

3.2 Dynamisierende Elemente, die die Verschärfung der Ziele ermöglichen

3.3 Die nächste Drehung der Aufwärtsspirale: der Top-Down-Ansatz

4   Woran Cancún scheitern kann

5   Kurzfazit


Zusammenfassung

• Das Zeitfenster für den großen Wurf der internationalen Klimapolitik hat sich nach dem bescheidenen Ergebnis von Kopenhagen und der jüngsten Entwicklung in den USA zumindest zunächst geschlossen. Der UN-Klimagipfel in Cancún vom 29.11. bis 10.12.2010 muss das Fundament für eine nachvollziehbare Strategie legen, einen gefährlichen Klimawandel dennoch abzuwenden.

• Bei den Verhandlungen muss das bisher vorherrschende Mantra "Nichts ist entschieden, bis alles entschieden ist" ersetzt werden durch: "Nichts ist entschieden, bis ausreichend viel entschieden ist."

• Die Verhandlungen im mexikanischen Cancún sind im Kontext des Handelns in den verschiedenen Weltregionen sowie der sich dynamisch entwickelnden Landschaft aus Koalitionen zu bewerten; diese Musik spielt derzeit lauter, als die der UN-Klimaverhandlungen selbst.

• Es gilt in Cancún für die nächsten Jahre eine Aufwärtsspirale in Gang zu setzen. Die erste Aufwärtsdrehung gilt es in Cancún (2010) und Südafrika (2011) erfolgreich zu initiieren. In einem Bottom-up-Prozess gilt es, den bisherigen Verhandlungsstand durch Beschlüsse abzusichern. Zentral ist dabei die Formalisierung der freiwilligen Selbstverpflichtungen von Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern als Minimalziele durch Entscheidungen. Außerdem geht es darum, erste Handlungspakete (etwa Finanzierung, Tropenwaldschutz, Anpassung oder Technologiekooperation) zu beschließen und "sofort" mit der Umsetzung zu beginnen.

• Zugleich sollte in Cancún die Grundlage für eine weitere Aufwärtsspirale gelegt werden. Diese besteht in einem wissenschaftsgetriebenen Top-Down-Ansatz, durch den 2014-15 die Ziele verschärft werden können. Damit dies gelingen kann, muss das Zwei-Grad-Limit als handlungsleitendes Ziel in der "Gemeinsamen Vision" verankert werden. In Cancún oder Südafrika muss es zu einer Einigung auf das 2°-Limit und vergleichbare Berichts- und Anrechnungsregeln kommen. Zugleich muss ein Reviewprozess gestartet werden. Dieser sollte zunächst (2011-2012) analysieren, wie groß die Lücke zwischen den (hoffentlich) in Cancún bottom up akzeptierten Zielen und Aktionspaketen für 2020 und dem 2-Grad- (oder gar 1,5-Grad-) Limit ist; im zweiten Schritt des Review-Prozesses gilt es dann eine Strategie zu entwickeln, wie diese Lücke zu schließen ist. Schließlich sollte er 2014-15 in (einem oder zwei) rechtlich verbindlichen Abkommen münden, die die 2011/12 beschlossenen Minimalziele, Maßnahmenpakete und Finanzziele entsprechend nachbessern.

• Warum aber sollten die Staaten 2015 bereit sein, schärfere Ziele zu akzeptieren? Weil zwischen den beiden Spiraldrehungen Ende 2010-11 und 2014-15 dynamisierende Elemente auf den Weg gebracht werden können. Dazu sollten gehören: In Cancún und Südafrika beschlossene Klimaschutzpakete (etwa für Regenwald, Anpassung, Technologiekooperation) werden direkt umgesetzt; die Langfristfinanzierung und innovative Finanzinstrumente werden 2011/12 beschlossen; die EU und China akzeptieren 2012 in der Debatte um 30% (EU) sowie im neuen Fünfjahresplan (China) verschärfte Ziele bzw. Aktionen. Bei Rio plus 20 in Brasilien (2012) werden Roadmaps für eine grüne Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung beschlossen; der nächste IPCC-Bericht (2014) weist - was sich mit Blick auf den Stand der peer-reviewten klimawissenschaftlichen Literatur schon jetzt abzeichnet - auf die immer größere Dringlichkeit und Kostenvorteile ambitionierten Handelns hin. Nur auf der Grundlage eines solchen dynamisierenden Paketes besteht die politische Chance zur notwendigen Nachbesserung internationaler Klimaziele.

• Ein Scheitern von Cancún ist vor allem möglich durch die ungelösten Fragen

über die Rechtsform (Geht Kyoto weiter? Gibt es ein zweites rechtlich verbindliches Abkommen mit China und den USA? Gibt es ein gemeinsames Abkommen - sei es die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls oder ein neues Abkommen unter der Konvention? ... ),
über die Vergleichbarkeit von Verpflichtungen (Müssen die USA - was die Rechtsform und die Reduktions- und Finanzziele angeht, Vergleichbares wie die anderen Industriestaaten leisten? Müssen die Verpflichtungen Chinas und anderer Schwellenländer den gleichen rechtlichen Status haben, wie die der Industrieländer - auch wenn die Verpflichtungen inhaltlich eine andere Qualität haben können?)
Auch die Enttäuschung über die intransparente und in weiten Teilen nicht "neue und zusätzliche" in Kopenhagen beschlossene Schnellstartfinanzierung kann zu einer Total-Blockade führen.

• Ein völliges Scheitern von Cancún ist also nicht ausgeschlossen. Dieses würde nicht den UNFCCC-Prozess als solches bedrohen, aber dessen Relevanz in Frage stellen und die Problemlösungskompetenz der UN untergraben.


Einführung: Klimapolitik nach dem gescheiterten großen Wurf

Der Klimagipfel in Kopenhagen vor einem Jahr zerstörte zumindest für einige Jahre die Hoffnung auf den klimapolitischen "großen Wurf", also die Vorstellung, die Regierungschefs dieser Welt könnten mit den Entscheidungen eines großen Klimagipfels die internationale Klimastrategie bis 2020 in einem Top-down-Verfahren festzurren. Ein Jahr später steht jetzt der nächste Klimagipfel im mexikanischen Cancún an. Die zentrale Herausforderung ist, die neue Realität anzuerkennen und darauf basierend eine Strategie zu entwickeln, die die notwendigen ambitionierten Klimaziele erreichen kann.

Die meisten Staaten orientierten sich in Kopenhagen - allerdings nur verbal - am Ziel der Klimasicherheit, also einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Dem im Kopenhagen-Akkord vereinbarten Ziel, sich an der viel beschworenen Obergrenze für Klimasicherheit - einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf weniger als zwei Grad - orientieren zu wollen, schlossen sich inzwischen insgesamt 138 Staaten an, die fast 87 Prozent der Emissionen weltweit repräsentieren.[1]

Die großen Emittentenstaaten orientierten sich mit ihren dann tatsächllich eingereichten nationalen freiwilligen Selbstverpflichtungen - um mehr handelt es sich bisher nicht - faktisch aber in fast allen Fällen an einer Interpretation der jeweils nationalen Energiesicherheit, die die Potenziale von Energieffizienz und Erneuerbaren Energien als sehr gering einschätzt. Dies führte in der Konsequenz zu sehr bescheidenen Zielen. Selbst wenn die Staaten ihre Selbstverpflichtungen vollständig umsetzen, würde dies den globalen Temperaturanstieg lediglich auf 3,5 bis 4,5 Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit begrenzen. Insbesondere die USA und China haben klar gemacht: Vorrang hat eine sichere Energieversorgung, um den "American American Way of Life" möglichst lange zu erhalten (Kongress der USA) oder aber um auch dem jetzt noch armen Teil des Landes die versprochenen Entwicklungschancen zu geben (China). Auch das Ziel der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, ist zum einen bei schon heute realisierten 17% wenig ambitioniert, und zum anderen nicht mit dem 2°-Limit vereinbar.

Etliche Gründe haben zu den geringen Zielen von Kopenhagen beigetragen. Im Ergebnis lässt sich aber festhalten, dass die Klimaziele - zumindest einstweilen noch - den kurz- und mittelfristigen geostrategischen Zielen der Energiepolitik untergeordnet sind. Und bisher trauen viele Regierungen der Dynamik von Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien nicht, dass diese die garstige Kluft zwischen den Zielen der Klimasicherheit einerseits und der Energiesicherheit andererseits schnell genug überbrücken können.

Drei Konsequenzen liegen als Antwort auf diese Lektion nahe. Erstens steigert es die Chancen für eine ambitionierte Klimapolitik enorm, wenn sie gleichzeitig zu den politischen Zielen der Energiesicherheit beitragen kann und sich damit auch strategisch verknüpfen lässt.[2] Zweitens sollte man Dynamik im internationalen Klimaschutz nicht alleine durch die UN-Verhandlungen erwarten, sondern auch aus einem sich wechselseitig dynamisierenden Rückkopplungsprozess der drei Dimensionen Handeln, Verhandeln und Koalitionen in der Zusammenschau bewerten. Drittens ist damit die Messlatte für Erfolg oder Nicht-Erfolg von Cancún die Frage, inwieweit der Klimagipfel in Cancún Startpunkt einer Gesamtstrategie ist, die tatsächlich noch einen im großen Maßstab gefährlichen Klimawandel abwenden kann.


1 Drei Dimensionen der Internationalen Klimapolitik: Handeln, Verhandeln, Koalitionen

Klimapolitik, die die Lücke zwischen den Erfordernissen der Energiesicherheit und den Notwendigkeiten der Klimasicherheit schließen will, muss in drei Dimensionen aktiv werden: Erstens durch ambitioniertes Handeln in Politik und Wirtschaft, zweitens durch das Verhandeln eines internationalen Rahmens und drittens durch Koalitionen von Akteuren, die Dynamik erzeugen wollen und können.


1.1 Erste Dimension: Handeln

Die Dynamik des Ausbaus von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz nimmt global weiter an Fahrt auf. Während der Wirtschaftskrise der vergangenen zwei Jahre waren weltweit Energieeffizienz und Erneuerbare Energien echte Wirtschaftsmotoren. Ein Blick auf die Entwicklung der Erneuerbaren Energien zeigt: In den Jahren 2008 und 2009 wurden sowohl in Europa als auch in den USA mehr Stromleistung an Erneuerbaren Energien als an Kohle-, Gas-, und Kernkraftwerken zusammen installiert. Im Jahr 2009 machten die Erneuerbaren Energien 60 Prozent der neu zugebauten Kraftwerkskapazität in der EU [3] aus - und bereits fast 20 Prozent der jährlichen Stromproduktion. Und in China explodierte der Einsatz Erneuerbarer Energien beinahe: Mit 37 Gigawatt wurde dort 2009 fast die Hälfte der neuen weltweiten Kapazität (80 GW) hinzugebaut.[4] Immer mehr spricht dafür, dass zur Bewertung der wirtschaftlichen Chancen der Staaten weltweit eine wichtige Rolle spielen wird, wer bei Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien die Nase vorne haben wird.[5] Verschiedene Studien [6] zeigen: In der EU und Deutschland ist die Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien bis Mitte des Jahrhunderts möglich, und zwar im Gesamtsystem ohne große Zusatzkosten und bei gleicher Netzsicherheit. Es gibt keine überzeugenden Gründe für die Staaten, mit dem Handeln zu warten. Germanwatch versucht mit der - mit immer mehr Partnern durchgeführten - Kampagne "100 Prozent Zukunft" in Deutschland Wege in diese Richtung zu bahnen: Energie effizient, Energie erneuert, Energie vernetzt - 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2050.[7] Hier geht es darum, die Ziele des von der Bundesregierung beschlossenen Energiekonzeptes an einigen Stellen nachzubessern, aber in noch viel größerem Ausmaß darum, die Lücke zwischen selbst gesteckten Zielen und bislang beschlossenen Maßnahmen zu schließen. Eine weitere Dimension des Handelns bezieht sich auf die Bereitstellung von neuer und zusätzlicher "Schnellstartfinanzierung": Diese kann durch Mitfinanzierung ambitionierter Handlungspläne und Politiken für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern einen maßgeblichen Beitrag zu mehr Dynamik auf nationaler Ebene leisten.


1.2 Zweite Dimension: Verhandeln

Eine internationale Rahmensetzung kann nicht nur die bestehende Dynamik auf nationaler und Unternehmensebene unterstützen, sondern auch internationale Vergleichbarkeit und Verbindlichkeit sicher stellen. Sie kann auch dafür sorgen, dass nicht allein das Recht des Stärkeren den Ausgang des Wettrennens in das Solarzeitalter bestimmt. Sie kann dafür sorgen, dass auch die Zögernden und Bremser schrittweise mitkommen. Und sie ist wichtig für die Argumentation gegenüber denjenigen Unternehmen, die durch ambitionierten nationalen Klimaschutz eher um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten (oder sich hinter diesem Argument verstecken), indem sie vergleichbare Marktbedingungen schafft.

Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Vertragsstaaten in Cancún ein erstes Paket auf dem Weg zu einer nächsten Stufe der internationalen Rahmensetzung schnüren. (Siehe unten, Punkt 3).

Der G20-Gipfel in Seoul hat im Konsens bekräftigt, dass man ein balanciertes Ergebnis erreichen will, das die zentralen Fragen des Klimaschutzes, der Transparenz, der Finanzierung, der Technologie, Anpassung und Waldschutz beinhaltet.[8]

Fast alle G20-Staaten haben sich mit dem Kopenhagen-Akkord, dem Abschlussdokument des Klimagipfels vom Dezember 2009, assoziiert. Diese Staaten - also auch die USA trotz des gescheiterten Klimagesetzes - haben in Seoul ihre Unterstützung für den Kopenhagen-Akkord sowie seine Implementierung erneuert.[9] Die Bemühungen, zentrale Kompromisse und Selbstverpflichtungen des Kopenhagen-Akkords weiterzuentwickeln und zu formalisieren, wird in Cancún eine zentrale Rolle spielen.


1.3 Dritte Dimension: Koalitionen für mehr Aktion und dynamischere Verhandlungen

Sowohl zur Beschleunigung des Handelns als auch für neue Dynamik beim Verhandeln bedarf es neuer Koalitionen zwischen Staaten. Kriterien für die Anbahnung von Koalitionen sollten Betroffenheit, Potenzial für Dynamik und Relevanz der Staaten sein. Grundlegend sind also folgende Fragen: Welche sind die vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten? Welche sind Vorreiterstaaten im Klima- oder Regenwaldschutz? Welche sind für die weitere globale Entwicklung besonders relevante Staaten (also die mit den großen Emissionsmengen sowie großer ökonomischer und politischer Bedeutung)?

Nachdem man davon ausgehen muss, dass die US-Regierung im internationalen Klimaschutz zumindest für die nächsten zwei Jahre weitgehend handlungsunfähig sein wird, ruht auf der Gruppe der Industrieländer die Hoffnung insbesondere auf der EU. Kann sie - glaubwürdig aufbauend auf eigenem Handeln - weltweit die Koalitionen knüpfen, die notwendig sind, um Dynamik für mehr Energieeffizienz und Erneuerbare Energien in verschiedenen Teilen der Welt sowie bei den UN-Klimaverhandlungen zu schaffen?


Koalition mit den besonders Betroffenen

Schon lange gehören die kleinen Inselstaaten (AOSIS), die vom Meeresspiegelanstieg existenziell bedroht sind, zu den Akteuren, die am meisten Schwung in die internationalen Klimaverhandlungen bringen. Dies geschieht zum einen durch die Forderung nach der für sie existenziellen Ambition des Klimaschutzes von Industrie- und Schwellenländern als auch durch sehr konkrete Handlungsvorschläge in verschiedensten Bereichen (Anpassung, Finanzierung etc.).[10] Für sie ist die Gletscherschmelze - derzeit vor allem wegen Überschwemmungen aus Gletscherseen - eine große Herausforderung. Bangladesh gehört zu den vom Klimawandel am meisten bedrohten Entwicklungsländern. Zunehmend ist bei diesem Land der Wunsch zu spüren, eine eigenständige Rolle bei Anpassung und Klimaschutz zu spielen - sowohl durch effektive Aktivitäten zu Hause als auch in der Region und international. Auch in Afrika sehen immer mehr Regierungen, dass der Kontinent vermutlich zu den Hauptbetroffenen des Klimawandels zählt.

Die EU sollte eine klare Strategie für die Kooperation mit den besonders betroffenen Staaten haben, einerseits um diese zu unterstützen, anderseits um gemeinsam international Dynamik zu erzeugen.


Koalitionen der Vorreiter

Nach Kopenhagen hat sich eine Gruppe von Entwicklungsländern zusammen mit einigen eher konstruktiven Industrieländern herausgebildet, die ambitioniert und zugleich pragmatisch nach Wegen für internationalen Klimaschutz sucht. Sie treffen sich im so genannten "Cartagena Dialogue for Progressive Action". Kolumbien, Costa Rica und die Malediven haben eine besonders aktive Rolle bei der Initiierung dieser Gruppe gespielt. Diese ist (bisher) keine formale Verhandlungsgruppe, aber sie trifft sich regelmäßig und entwickelt konstruktive Vorschläge, wie die ideologischen Gräben in den Verhandlungen überbrückt werden können. Bei der Pre-COP, dem Vorbereitungsgipfel für Cancún auf Ministerebene Anfang November, hat die Gruppe durch ihre Vorschläge die konstruktivsten Impulse gegeben. Sowohl Deutschland als auch die EU-Kommission gehören dieser Denkschmiede für neue Dynamik an.[11]


Koalitionen mit den Schwergewichten

Die notwendige Dynamik wird letztlich aber nur entstehen, wenn sich auch die Schwergewichte bewegen.

• Eine zentrale Rolle kommt auf Südafrika und Brasilien zu. Zum einen, weil Südafrika den Klimagipfel im nächsten Jahr (Dezember 2011) und Brasilien den Rio-plus-20-Gipfel (Mai 2012) ausrichtet. Zum anderen, weil dies die beiden großen Schwellenländer sind, die am ehesten mehr Dynamik in die Gruppe der BASIC-Staaten - neben ihnen China und Indien - bringen können. Insbesondere Südafrika könnte für Deutschland ein wichtiger Koalitionspartner werden. Zwischen Südafrika und Deutschland gibt es konkrete Konsultation, ob die beiden Staaten beim schnellen Aufbau einer Erneuerbare-Energien-Industrie und Implementierung in Südafrika eng kooperieren können.[12]

• Immer wichtiger wird auch Südkorea, das inzwischen weltweit einer der Vorreiter für eine grüne Wirtschaftsentwicklung und entsprechende Industriestrategien geworden ist.[13] Besonders spannend ist auch die Entwicklung bei den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Das Land möchte ein wirtschaftliches Gegenmodell zu Saudi-Arabien entwickeln, indem es eine alternative Diversifizierungsstrategie vorlegt[14]: weniger Abhängigkeit vom Rohstoffexport, mehr Mittelstand und wegen zunehmendem Wohlstand und Bildung weniger Anfälligkeit für Al-Quaida-Terror. Interessanterweise orientiert sich auch in Russland der Disput zwischen Modernisierern und Bewahrern immer wieder an den Modellen Diversifikation versus Rohstoff-Abhängigkeit.

Die Etablierung von Koalitionen ist ein notwendiger aber nicht hinreichender Schritt auf dem Weg zu deutlich mehr Klimasicherheit.


2 Was kann der Beitrag von Cancún für zwei große Langfrist-Investitionspakete für die Zeit bis 2020 sein?

Im Prinzip geht es in der internationalen Klimadiplomatie nun zunächst um die politische Rahmensetzung einschließlich Finanzierung von zwei großen Investitionspaketen für die Zeit von 2013 bis 2020, mit der nötigen Anschubfinanzierung schon in den Jahren bis 2012. Konkretes Handeln der Staaten, Kommunen und Unternehmen, Koalitionen der Vorreiter und intelligente, gut balancierte Verhandlungspakete können die notwendige Dynamik aufbauen: Erstens für das klimaverträgliche Wohlstandspaket; zweitens für das Klimaresilience- und Entwicklungspaket.


2.1 Das klimaverträgliche Wohlstandspaket

Eine ambitionierte Strategie für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sowie den Schutz der Wälder ist auch ohne jede Klimaschutznotwendigkeit sinnvoll:

• Aus Gründen der Energie- und Rohstoffsicherheit,
• Als Arbeitsplatzmaschine, die zur Wertschöpfung in der Region beiträgt,
• Als Innovationsmotor,
• Mittelfristig zur Vermeidung von Handelsschranken.[15]

Allerdings fügt der Klimawandel noch die Dringlichkeit hinzu, bei dem ohnehin notwendigen Umbau des Energie-, Verkehrs-, Gebäude- und Landwirtschaftssystems keine Zeit zu vertrödeln. Die Internationale Energieagentur hat in ihrem World Energy Outlook 2010 berechnet: "Weil viele Staaten zu wenig Ambition zeigen, sind die Kosten zum Erreichen des 2-Grad-Limits bereits um eine Billion US-Dollar für den Zeitraum 2010 bis 2030 gegenüber dem World Energy Outlook 2009 gestiegen."[16]


2.2 Das Klimaresilienz-, Anpassungs- und Entwicklungspaket

Wenn die Bevölkerung weltweit gefragt wird, wo die großen Herausforderungen liegen, dann werden in aller Regel folgende Probleme hervorgehoben:

Armutsbekämpfung: Armutsbekämpfung, die die besonders verletzlichen Regionen und Menschen in den Blick nimmt.[17]

Ernährungssicherung, Zugang zu sauberem Wasser: Die Durchsetzung des Rechtes auf Nahrung und Wasser - gerade auch in den Regionen, die durch den Klimawandel immer heftigeren Herausforderungen ausgesetzt werden.[18]

Lösen von Gesundheitsproblemen: Gesundheitsvorsorge, die auch die durch den Klimawandel verschärften oder neuen Herausforderungen in den Blick nimmt.

Zugang zu (sauberer) Energie: Bekämpfung der Energiearmut so, dass dadurch nicht eine neue Pfadabhängigkeit in Richtung fossiler (oder anderer Risiko-) Energien entsteht.

Insbesondere in den Bereichen Forst- und Landwirtschaft gibt es viele mögliche Schnittmengen, aber auch mögliche Widersprüche [19] zwischen einer Politik des Klimaschutzes und einer Steigerung der Widerstandsfähigkeit (Resilience) gegenüber den Konsequenzen des Klimawandels.

"Klimaresilient" bedeutet in diesem Zusammenhang eine Entwicklung, die durch eine aktive Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie Überwindung zentraler Entwicklungsprobleme diesen gegenüber widerstandsfähig ist.


3 Internationale Klima-Verhandlungsstrategie von 2011 bis 2015

Für sich alleine genommen wird das Ergebnispaket von Cancún bescheiden sein, selbst wenn die Ziele (siehe unten 3.1-3.3.) erreicht werden. Zentrale Messlatte für den Erfolg von Cancún aber wird sein: Gelingt es, eine erfolgversprechende Strategie anzustoßen, um einen im großen Maßstab gefährlichen Klimawandel noch abzuwenden?

Internationale Klimastrategie - Ein möglicher Fahrplan bis 2015 - Abb.: Germanwatch

Internationale Klimastrategie - Ein möglicher Fahrplan bis 2015 - Abb.: Germanwatch

Nachdem der Große Wurf in Kopenhagen gescheitert ist, kommt es darauf an, dennoch eine Richtung vorzugeben, die die notwendige Dynamik für die beiden großen Investitionspakete anstoßen kann. Der Zeitraum 2011 bis 2015 sollte aus verschiedenen Gründen als ein Block gesehen werden. In dieser Zeit müssen der Bottom-Up- sowie der Top-Down-Ansatz sowie verschiedene dynamisierende Elemente auf verschiedenen Ebenen verankert werden.


3.1 Der Beginn der Aufwärtsspirale: der Bottom-Up-Ansatz

In den Jahren 2011-12 wird es vor allem darum gehen, den unteren Teil des Ansatzes, der die jeweils nationale Dynamik spiegelnde Bottom-up-Ansatz, im Klimaregime zu verankern. Zum einen heißt das, die im Kopenhagen-Akkord enthaltenen freiwilligen Klimaschutz- und Finanz-Selbstverpflichtungen der Staaten als formale Entscheidungen und damit als verbindlich zu verabschieden, allerdings als Minimal- und nicht als Maximalziele. Es ist absehbar, dass diese Verpflichtungen nicht dazu ausreichen werden, einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden. Selbst wenn die selbst gesetzten Ziele der Industrieländer und Aktionspläne der Schwellenländer alle umgesetzt werden, wird der Temperaturanstieg zum Ende dieses Jahrhunderts gegenüber vorindustrieller Zeit nur auf 3,5 bis 4,5 Grad Celsius begrenzt. Die formale Festlegung ist notwendig, um den freiwilligen Selbstverpflichtungen vieler Staaten im Kopenhagen-Akkord eine international vereinbarte Verbindlichkeit als Mindestziel zu geben. Die genaue Formulierung jeder der Entscheidungen kann in verschiedenem Ausmaß Verbindlichkeit festlegen. Es ist zu hoffen, dass diese Entscheidungen in den Folgejahren Bestandteil eines rechtlich verbindlichen Abkommens wird - und damit seine Verbindlichkeit noch größer wird. Ob und wie diese Entscheidungen allerdings Teil von einem (oder zwei) völkerrechtlich verbindlichen Abkommen werden, wird allerdings frühestens 2012 festgelegt werden. Die Kluft in den Einschätzungen ist so groß, dass weder die USA noch China eine Chance sehen, jetzt schon einen Konsens zu erreichen.

Ein Vorteil des Bottom-up-Ansatzes ist es, dass vieles davon, etwa ein Teilabkommen - beispielsweise ein Paket mit Zielen, Sicherheitsklauseln und Definition der Größenordnung für den Schutz des Regenwaldes - sofort umgesetzt werden kann, ohne auf einen jahrelangen Ratifizierungsprozess zu warten. So geht nicht unnötig Zeit verloren und Vertrauen wird aufgebaut.

Wegen der unzureichenden Ziele gilt es aber zugleich, den ganzen Prozess so anzulegen, dass dann im Jahr 2014/15 tatsächlich die nächste Drehung der Aufwärtsspirale erfolgen kann. Diese besteht im Kern aus dem Top-Down-Ansatz der Verschärfung der nach transparenten Kriterien überprüfbaren Emissions- und Finanzziele bis 2020, die von der wissenschaftlichen Dringlichkeit getrieben und rechtlich verbindlich nach transparenten Anrechnungsregeln umgesetzt werden.


3.2 Dynamisierende Elemente, die die Verschärfung der Ziele ermöglichen

Warum sollen die Staaten in vier bis fünf Jahren zu ernsthafteren Klimaschutzmaßnahmen bereit sein als heute? Welche dynamisierenden Elemente können zwischen 2010 und 2015 organisiert werden, die die Wahrscheinlichkeit für eine solche Verschärfung und rechtliche Verbindlichkeit von Zielen erhöhen? Auch hier bietet sich eine Strategie an, die bei den drei Dimensionen Handeln, Verhandeln und Koalitionen ansetzt.

Dynamik durch Schnellstart-Finanzierung: Im Rahmen der Schnellstart-Finanzierung (2010-12) können fortschrittliche Industrieländer gezielt die Aktionspläne der Entwicklungsländer mitfinanzieren, die zu einer ernsthaften Klimaschutz- und Anpassungsstrategie bereit sind. Die jüngste Ankündigung der deutschen Regierung, mittels einer strategischen Energiepartnerschaft die Umsetzung des Solarplans und der [20] Solaragentur Marokkos zu unterstützen, geht in diese Richtung.

Vorreiterkoalitionen können zeigen, dass sie sich entschieden auf den Weg machen zu einem klimaverträglichen Wohlstandsmodell und einem resilienten Entwicklungspfad. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich verschiedene Vorreiterkoalitionen gebildet haben, etwa im Bereich des Regenwaldschutzes (initiiert von Norwegen und Frankreich) oder was den Klimaschutz und das Messen, Berichten und Verifizieren (MRV) der Fortschritte (organisiert von Deutschland mit Südafrika) angeht.

Nationale Zielverschärfung in der EU und China: Nachdem die innenpolitische Blockade in den USA dazu führt, dass sich das Land als Partner für eine ernsthafte internationale Klimaschutzdynamik für die nächsten Jahre ins Abseits stellt, liegt nun das Gesetz des Handelns insbesondere bei den beiden anderen Giganten, China und der EU. Beide, die EU und China, werden im kommenden Jahr (2011) Beschlüsse fassen, die zeigen, ob sie bereit sind, über die freiwilligen Selbstverpflichtungen des Kopenhagen-Akkords hinaus zu gehen. In der EU geht es in erster Linie um den Beschluss, die Emissionen bis 2020 um 30 und nicht nur um 20 Prozent zu reduzieren. Diese Entscheidung soll im Frühjahr 2011 fallen oder zumindest vorbereitet werden. In China geht es um die im März anstehenden Festlegungen für den nächsten Fünfjahresplan. Neben verschärften Zielen für Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien könnte dabei eine - noch umstrittene [21] - Variante des Emissionshandelssystems beschlossen werden. Durch entsprechend ambitionierte Beschlüsse könnten die EU und China ein unüberhörbares Signal senden, dass es im Jahr 2014/15 tatsächlich auch zu einer Nachschärfung der Klimaziele der weltweiten Staatengemeinschaft für 2020 kommen wird. Der bilaterale Dialog EU-China bzw. Deutschland-China wird dadurch immer wichtiger. Vereinbarungen für eine weit intensivere Kooperation in den Bereichen Technologie, Emissionshandel, Stadtentwicklung und Niedrig-Emissionsregionen wären geeignet diese Dynamik weiter zu befördern.

Langfristfinanzierung: Kürzlich wurde von einer vom UN-Generalsekretär eingesetzten hochkarätigen Arbeitsgruppe (AGF) [22] ein Bericht zur Langfristfinanzierung vorgelegt. Seine wesentlichen Ergebnisse zeigen auf, wie die im Kopenhagen-Akkord angesprochenen 100 Milliarden US$ für Klima- und Regenwaldschutz sowie Anpassung in Entwicklungsländern mobilisiert werden könnten. Zentrale Ergebnisse dabei sind: Ohne innovative Finanzierungsinstrumente - wie eine Abgabe auf den bisher international unregulierten internationalen Flug- und Schiffsverkehr - wird es in Zeiten der Budgetkrise kaum gelingen, die notwendigen öffentlichen Gelder aufzubringen. Langfristig können Haushaltsfinanzierungen durchaus eine wichtige Rolle spielen. Ebenso wichtig sind hohe Preise im Emissionshandel, wenn dieser direkt und über Versteigerungserlöse die notwendigen Finanzströme und Anreizwirkungen generieren soll. Und: Für die Klimaschutzstrategien der Schwellenländer können günstige Kredite der Entwicklungsbanken eine wichtige Rolle spielen.[23] Es ist wichtig, dass der Bericht bzw. die konstruktiven Elemente davon formal in den UNFCCC-Verhandlungsprozess eingespeist werden. Der kommende G20-Gipfel in Frankreich (2011) kann eine wichtige Rolle als "Durchlauferhitzer" für eine Vorentscheidung spielen, welche Klimafinanzierungsinstrumente installiert werden. Beim Klimagipfel in Südafrika oder spätestens beim Rio-Plus-20-Gipfel in Brasilien (2012) sollte die formale Entscheidung getroffen werden, wie das Geld erbracht werden soll, inklusive Beschlüssen zur zeitnahen Einführung neuer innovativer Instrumente. Wichtig ist, dass die Entscheidung über eine Flugverkehrs- und Schiffabgabe nicht etwa an die ICAO [24] bzw. IMO [25] weitergereicht werden, wo die Industrieinteressen dieser Sektoren allzu sehr dominieren. Auf diesem Weg hatte man schon in Kioto eine Entscheidung auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Eine ausreichende Langfristfinanzierung ist wesentliche Grundlage für eine ambitionierte Klimaarchitektur.

Green Economy Road Maps: Beim Rio-plus-20-Gipfel im Jahr 2012 sollten dann Road Maps hin zu grüner Wirtschaft und nachhaltiger Entwicklung für verschiedene Regionen festgelegt und international flankiert werden.

IPCC-Dringlichkeit und Kosten: Im Jahr 2014 wird dann der nächste Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC erscheinen. Wenngleich die Länder angesichts des bereits heute schon bekannten hohen Handlungsdrucks nicht mit einer Erhöhung ihrer Ambition bis dahin warten sollten, wird er - soviel scheint sicher - die weiter gestiegene Dringlichkeit klimapolitischen Handelns wissenschaftlich untermauern und bietet damit eine extrem wichtige Gelegenheit, mehr Ambition politisch und öffentlich einzufordern.

• Es ist zu befürchten, dass auch weitere Klimaauswirkungen bzw. Wetterextreme, bei denen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens durch den Klimawandel gesteigert wird, wie in diesem Jahr Hitze und Feuer in Russland sowie die gewaltige Flut in Pakistan, den Handlungsdruck erhöhen.


3.3 Die nächste Drehung der Aufwärtsspirale: der Top-Down-Ansatz

All die genannten dynamisierenden Elemente können dafür sorgen, dass die Regierungen den Mut finden, mit dem notwendige Top-Down-Ansatz die internationale Klima-Strategie wirkungsvoll zu ergänzen:

• Der Klimagipfel sollte jetzt einerseits das 2°-Limit als einen formalen Beschluss bestätigen. Dieses stellt dann die Messlatte für den späteren Reviewprozess dar.

• In Cancún, spätestens aber in Südafrika (2011), müssen die international vergleichbaren Berichts- und Anrechnungsregeln (Accounting Rules) für Klimaschutz- und Finanzziele sowie Regeln für deren Überprüfung festgelegt werden, damit die Klimaziele transparent und vergleichbar sind.

• Der kommende Klimagipfel sollte im Rahmen der "gemeinsamen Vision" auch einen Reviewprozess festlegen, der bis 2015 zum einen überprüft, ob die 2°-Obergrenze ausreicht oder sogar ein stärkeres Limit (1,5° Celsius) notwendig ist. Zum zweiten sollte er zeigen, wie groß die Lücke zwischen den vereinbarten Klimazielen und dem Zwei-Grad-Limit sowie zwischen den Finanzzierungszielen und dem Bedarf der finanziellen Unterstützung für Klima- und Regenwaldschutz sowie Anpassung ist. Drittens sollte er Strategien aufzeigen, wie die Lücke - viele Akteure sprechen von der Giga-Tonnen-Lücke - geschlossen werden kann.[26]

Der Reviewprozess sollte in Schritte aufgeteilt werden und 2011 beginnen, etwa um zunächst die Lücke zwischen dem Zwei-Grad-Limit und den bisher vorgelegten Reduktionszielen zu bestimmen. Im Jahr 2014/15 sollten dann die Strategien zum Schließen der Lücken (Klimaschutz, Finanzierung) vereinbart werden.

Der zentrale Beitrag zur Klimaarchitektur eines Top-Down-Ansatzes ist - neben wissenschaftsbasierten Klimaschutzzielen sowie am Bedarf orientierten Finanzierungszielen - die Festlegung von transparenten und vergleichbaren Anrechnungsregeln (accounting rules).

Phase 1: Bottom-Up-Ansatz - Phase 2: Dynamisierende Elemente - Phase 3: Top-Down-Ansatz - Abb.: Germanwatch

Abbildung: Der Bottom-up-Ansatz formalisiert Beschlüsse auf der Grundlage der bestehenden Bereitschaft zu Zielen und Verhandlungspaketen. Er sichert den internationalen Klimaschutz gegen einen Rutschbahn-Effekt ab. Viele der Beschlüsse kann er - ohne langwierige Ratifizierung - sofort operationalisieren; Der Top-Down-Ansatz schließt wissenschaftsbasiert die Lücken, die der Bottom-Up-Ansatz zum Zwei-Grad-Limit lässt. Er sichert weltweit gültige und damit vergleichbare Standards und Anrechnungsregeln sowie die rechtliche Verbindlichkeit. Die dynamisierenden Elemente erzeugen Handlungsdruck und Dynamik und erhöhen damit die Bereitschaft, die notwendigen Umsetzungsstrategien und verschärften Ziele des Top-Down-Ansatzes tatsächlich zu beschließen.

4 Woran Cancún scheitern kann

Messlatte für den Erfolg des Gipfels ist, ob eine Strategie sichtbar wird, mit der nachvollziehbar die beiden großen Investitionspakete (siehe oben) angestoßen und ein gefährlicher Klimawandel vermieden werden kann. Falls dieses - gegenüber dem in Kopenhagen erwarteten großen Wurf - relativ bescheidene Ziel nicht erreicht werden kann, ist damit zu rechnen, dass der UNFCCC-Prozess deutlich an Relevanz verlieren wird. Viele Regierungen würden in der Konsequenz weniger hochrangige Experten zu die Verhandlungen schicken. Beobachter aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft zögen sich zurück.

Die Ergebnisse der 10. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) vom 18. bis 29. Oktober 2010 in Nagoya/Japan [27] werden allgemein als wichtiger Erfolg eingeschätzt. Dieses Ergebnis zeigt, dass die UN trotz vieler Unkenrufe noch dazu in der Lage ist, schwer zu erreichende Kompromisse zu ermöglichen, auch wenn man nicht verschweigen darf, dass die USA nicht mit am Verhandlungstisch saßen. Auch die vorbereitende Ministerkonferenz (Pre-COP) für den Klimagipfel in Cancún, zu der die mexikanische Außenministerin Espanoza geladen hatte, sandte vorsichtig positive Signale. Alle relevanten Regierungen sind zur Verabschiedung eines ausgewogenen Paketes in Cancún bereit. Es gibt allerdings zum Teil noch erhebliche Unterschiede dabei, was tatsächlich "ausgewogen" bedeutet.

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass der Gipfel von Cancún scheitert. Die folgenden Knackpunkte, an denen der Gipfel scheitern könnte, zeichnen sich ab:

Rechtsform: Cancún wird mit Sicherheit nicht das von Kopenhagen erhoffte rechtlich verbindliche Gesamtabkommen erreichen. An der Frage, wie und bis wann der Prozess eine Klärung der Frage der Rechtsform bzw. der Abkommen (zweite Verpflichtungsperiode Kyoto, Abkommen unter der Konvention für Schwellenländer und Industrieländer inkl. USA) erreichen kann, kann der Prozess scheitern.

Vergleichbarkeit der Verpflichtungen: Eng damit verknüpft sind die Fragen der Vergleichbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Viele Staaten drängen gegenüber den USA auf "vergleichbare" Ziele und Umsetzungsmaßnahmen wie für andere Industrieländer. Die USA drängen auf ein neues Paradigma, nachdem die Schwellenländer in gleicher Weise wie sie in die Pflicht genommen werden sollen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer drängen auf die alte Interpretation des Prinzips "der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung und jeweiligen Fähigkeit": Die Industrieländer müssen angesichts der vielen von ihnen bereits in der Atmosphäre angesammelten Emissionen und der größeren finanziellen Möglichkeiten vorangehen. Wenn sich hier nicht die Staaten, die die wirtschaftlichen Chancen der anstehenden großen Transformation erkennen, mit einem ganz anderen Duktus zu Wort melden, kann der Prozess auch an dieser Frage scheitern.

Schnellstart-Finanzierung: Der Gipfel kann auch an den Zusagen zur Schnellstart-Finanzierung bzw. deren mangelnder Umsetzung scheitern. In Kopenhagen war zugesagt worden, dass die Industrieländer 2010 bis 2012 US$ 30 Mrd. an "neuer und zusätzlicher" Klimafinanzierung bereitstellen, um schon Klimaschutzdynamik vor 2012 und Vertrauen für den weiteren Verhandlungsprozess zu erzeugen. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass die meisten Industrieländer ihre Ziele tatsächlich erreichen werden, allerdings in vielen Fällen durch das Recycling von bereits vor Kopenhagen gemachten Versprechen. Deutschland steht zwar noch besser da als viele andere Industriestaaten, da nur Gelder angerechnet werden, die ab 2009 versprochen wurden oder aus innovativen Finanzinstrumenten stammen. Aber auch das deutsche Vorgehen verdeutlicht die Problematik exemplarisch[28]: Die Kanzlerin hatte in Kopenhagen zugesagt, dass Deutschland zusätzlich 1,26 Milliarden Euro für die sogenannte Schnellstart-Finanzierung zwischen 2010 und 2012 bereitstellen werde. Jährlich wären dies durchschnittlich 420 Millionen Euro. Schon für 2010 hatte die Bundesregierung lediglich 70 Millionen Euro tatsächlich "neue und zusätzliche" Mittel in den Haushalt eingestellt. Ansonsten rechnet sie sich etwa Gelder für den Artenschutz, die die Kanzlerin schon im Jahr 2008 auf dem Biodiversitätsgipfel international versprochen hatte, nun auch als Klimafinanzierung an. Und bei der auch vor Kopenhagen bereits beschlossenen Einzahlung in Weltbankfonds für den Klimaschutz sollen, abweichend vom bisherigen Vorgehen, nicht nur die Haushaltsmittel, sondern auch wieder zurückzahlbare Kredite angerechnet werden. Die Entwicklungsländer drängen angesichts solcher Tricks in Cancún auf einen formalen Beschluss, dass diese Gelder tatsächlich neu und zusätzlich sein sollen. Viele Industrieländer halten das angesichts der Budgetkrise für nicht umsetzbar. Eine konstruktive Lösung könnte drei Punkte umfassen: Erstens deutliche Bereitschaft, vorliegende Klimaschutz- und Anpassungspläne der Entwicklungsländer tatsächlich mitzufinanzieren. Zweitens Transparenz zu schaffen bezüglich der zweifelhaften Umsetzung der Versprechen zur Schnellstart-Finanzierung. Drittens einen wirkungsvollen Transparenz- und Überprüfungsrahmen für die Langfristfinanzierung ab 2012 zu beschließen.


5 Kurzfazit

Trotz der auf den ersten Blick bescheidenen Ziele steht in Cancún viel auf dem Spiel: Verankerung einer neuen Strategie, Bestehen einer großen Bewährungsprobe für die Handlungsfähigkeit der UN, Bewahrung der Glaubwürdigkeit der politischen Führer der Welt. Wenn es gelingt, eine Aufwärtsspirale in Gang zu setzen, wird rückblickend die Bedeutung viel größer sein, als es heute erscheint.


[1] vgl. www.usclimatenetwork.org/policy/copenhagen-accord-commitments

[2] So kann eine an den Zielen der Klimasicherheit orientierte Politik auch einen wichtigen Beitrag zur Entmilitarisierung der Energiepolitik leisten: eingesparte oder in der Region durch erneuerbare Energien bereitgestellte Energie muss nicht militärisch abgesichert werden.

[3] Vgl. Ren21 / Janet L. Sawin and Eric Martinot (2010): Renewables 2010 Global Status Report, www.ren21.net/Portals/97/documents/GSR/REN21_GSR_2010_full_revised%20Sept2010.pdf

[4] ibid.

[5] Vgl. etwa www.theage.com.au/national/stern-warning-for-climate-sceptics-20100901-14nkr.html

[6] Germanwatch (Jan Burck, Felix von Blücher, Theresa Fabian): Welche Energiezukunft ist möglich?, Ein Vergleich von vier Niedrigenergieszenarien von Deutschland, Bonn/Berlin, August 2010; www.germanwatch.org/klima/nes.pdf; SRU(Sachverständigenrat für Umweltfragen, 100% erneuerbare Stromversorgung bis 2050: klimaverträglich, sicher, bezahlbar, Berlin, Mai 2010; www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2010_05_Stellung_15_erneuerbareStromversorgung.pdf?__blob=publicationFile; Ökoinstitut/Prognos im Auftrag von WWF, Modell Deutschland, bis 2050, Vom Ziel her denken, Basel/Berlin; www.europeanclimate.org/index.php?option=com_content&task=view&id=72&Itemid=79 ECF, Roadmap 2050, Brussels, April 2010: www.europeanclimate.org/index.php?option=com_content&task=view&id=72&Itemid=79

[7] www.100prozentzukunft.de

[8] The G20 Seoul Summit Leaders' Declaration, November 11 - 12, 2010, S. 22, Nr. 66

[9] ibid

[10] Welche Bedeutung die ganz neue Gruppe der besonders betroffenen Bergregionen mit Staaten vor allem aus der Andenregion bekommen wird, ist noch offen.

[11] Die Gruppe umfasst 27 Staaten (Antigua und Barbuda, Äthopien, Australien, Barbados, Bangladesch, Belgien, Kolumbien, Costa Rica, Frankreich, Deutschland, Ghana, Indonesien, Malawi, Malediven, Marshall Islands, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Neuseeland, Peru, Samoa, Spanien, Tansania, Thailand, Timor Leste, Großbritannien, Uruguay) und die Europäische Kommission.

[12] Das bislang informell zwischen den Regierungen diskutierte Kooperationsprojekt South African Renewables Initiative (SARI) könnte zwischen den Klimagipfeln von Cancún und Südafrika (2012) soweit vorbereitet werden, dass dort dann ein Memorandum of Understanding zwischen den Regierungen von Südafrika und Deutschland geschlossen werden kann.

[13] news.xinhuanet.com, S Korea sees "green vision" as growth engine, 29-01-2010; http://news.xinhuanet.com/english2010/business/2010-01/29/c_13155950.htm

[14] Vgl. etwa Expo 2010 Shanghei China: United Arab Emirates, The Emirates' sustainability vision: from eco-cities to a knowledge-based society, London, 6. 5. 2010, http://expo2010.uaeinteract.com/BetterCities/AsktheExpert.aspx

[15] "Not participating in this new industrial revolution (the great climate transformation) runs two types of risk: you drop behind technologically and: Ten or 15 years from now, those that produce in dirty ways are likely to face trade barriers." Lord N. Stern, September 2010

[16] World Energy Outlook 2010, Presentation to the Press, 9 Nov. 2010, www.worldenergyoutlook.org/docs/weo2010/weo2010_london_nov9.pdfondon, 9 November 2010; Übersetzung Germanwatch;

[17] Vgl. Germanwatch (Kreft, Harmeling, Bals), Die Milleniumsentwicklungsziele und der Klimawandel, Bilanz und Ausblick, Bonn, 2010; www.germanwatch.org/klima/klimdg10.pdf

[18] vgl. Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe, Germanwatch, (Bals C., Harmeling S., Windfuhr M., Climate Change, Food Security and the Right to Adequate Food, Stuttgart /Bonn, October 2008; www.germanwatch.org/klima/klimdg10.pdf

[19] Van de Sand (2010): Germanwatch-Trendanalyse zur globalen Ernährungssicherung 2010, www.germanwatch.org/handel/trend-ern.htm

[20] vgl. hierzu: www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Marokko/Aktuelles/101115-BM-Marokko,navCtx=171338.html;
www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2010/101115Erneuerbare-EnMarokko.html

[21] Fraglich ist noch, ob es nur um den Energiesektor oder mehr Sektoren und ob es um relative oder absolute Ziele geht.

[22] Report of the Secretary-General's High-level Advisory Group on Climate Change Financing, 5 November 2010, www.un.org/wcm/webdav/site/climatechange/shared/Documents/AGF_reports/AGF_Final_Report.pdf, Siehe auch den Kommentar von Germanwatch dazu

[23] Vgl. auch: Germanwatch Kommentar zum Abschlussbericht der UN-Beratungsgruppe zur Klimafinanzierung, Maßnahmen mit Potenzial, Klimakompakt Spezial Nr. 46 7 5.11.2010, www.germanwatch.org/kliko/ks46.pdf

[24} International Civil Aviation Organization = Internationale Zivilluftfahrtorganisation

[25] International Maritime Organization = Internationale Seeschifffahrts-Organisation

[26] Nach unserer Kenntnis stammt der Ausdruck von Hans Verolme (Climate Advisors Network) )

[27] siehe www.bmu.de/dossier_cop_10_nagoya/doc/46588.php

[28] Vgl. Germanwatch-Pressemitteilung: Haushaltssperre für die Gelder des internationalen Klimaschutzes im neuen "Energie- und Klimafonds", Berlin, 29.10.2010, www.germanwatch.org/presse/2010-10-29.htm



Impressum

Autor: Christoph Bals
unter Mitarbeit von: Jan Burck, Katrin Enting, Kristin Gerber, Sven Harmeling, Anne Koch, Sönke Kreft, Klaus Milke, Caspar Oldag, Stefan Rostock, Tilman Santarius, Rixa Schwarz, Hendrik Vygen

Redaktion: Gerold Kier

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Stand: 22.11.2011
Bestellnr.: 10-2-12

Diese Publikation kann im Internet abgerufen werden unter:
www.germanwatch.org/klima/c16bp.htm


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Quelle:
Was Cancún kann: Handeln - Verhandeln - Koalitionen
Hintergrundpapier zum UN-Klimagipfel in Mexiko 2010
Herausgeber: Germanwatch e.V., 22.11.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2010