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KLIMA/048: Land unter - Klimawandel und Meeresspiegelanstieg (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2010


Land unter
Klimawandel und Meeresspiegelanstieg

Von Petra Meinhardt, Sophia Wirsching & Thomas Hirsch


Die dichtbevölkerten Küsten und niedrigliegenden Inseln sind besonders stark vom Klimawandel betroffen. Der Meeresspiegelanstieg ebenso wie Veränderungen in der Meereschemie und eine Zunahme von Stürmen stellen Küstenschutz, Fischerei und Katastrophenvorsorge vor Herausforderungen, die die Anpassungsfähigkeit vor allem in armen Ländern bei weitem übersteigen. Ohne eine deutliche Aufstockung der Klimafinanzierung sowie die zügige Dekarbonisierung unserer Lebensweise droht ein Exodus bislang ungeahnten Ausmaßes.

Während bis Anfang der 1990er Jahre Pegelmessungen Aufschluss über die Schwankungen des Meeresspiegels lieferten, sind seit etwa zwei Dekaden sehr viel genauere Daten vermittels satellitengestützter Methoden der Fernerkundung verfügbar. Im Mittel weisen die Messungen darauf hin, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels in den letzten Jahrzehnten deutlich zu beschleunigen scheint auf zuletzt mehr als drei Zentimeter pro Dekade. Regional kommt es hierbei freilich zu großen Unterschieden. Während der Wasserstand im Atlantik derzeit nur vergleichsweise moderat um zirka 2 mm jährlich steigt, sind es im westlichen Pazifik (Südostasien) sowie im östlichen Indischen Ozean zehn Millimeter und mehr.

Meeresspiegelschwankungen hat es in der Erdgeschichte vielfach gegeben, sei es durch tektonische oder klimabedingte Veränderungen. Derzeit bewirkt die globale Erwärmung einen Anstieg der Wassertemperaturen. Die damit einhergehende Ausdehnung infolge geringerer Dichte ist gegenwärtig die wichtigste Ursache des Meeresspiegelanstiegs. Hinzu kommt ein erhöhter Wasserzufluss infolge der Gletscherschmelze. Die Volumenzunahme der Ozeane wird noch zusätzlich beschleunigt, indem mit dem stärkeren Süßwasserzufluss sowie erhöhten Niederschlägen der Salzgehalt weiter absinkt, was ebenfalls in einer verminderten Wasserdichte resultiert.

Die Modellrechnungen der Klimaforschung sind alarmierend. Auch wenn modellgestützte Szenarien mit Unsicherheiten belegt sind und niemand die Zukunft sicher vorhersagen kann, droht laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarates bis Ende des Jahrhunderts "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" ein Meeresspiegelanstieg von mindestens 50 cm bis zu einem Meter. Berücksichtigt man darüber hinaus noch die jüngsten empirischen Messungen der Gletscherschmelze großer Inlandeismassen v.a. in Grönland, die im Weltklimabericht von 2007 noch keinen Eingang gefunden hatten, so dürfte der Meeresspiegel noch deutlich schneller steigen. Zur potentiellen Katastrophe wird das aufgrund der dichten Besiedelung der Küstengebiete der Erde. London, Kairo, New York, Jakarta - die Mehrzahl der Megastädte liegt am Meer. Der Küstenschutz steht vor enormen finanziellen wie technischen Herausforderungen. Allein die erforderliche Aufrüstung der Deiche in Hamburg dürfte mindestens 500 Millionen Euro kosten. Die Summen, die es bräuchte, die Niederlande, Singapur oder das dichtbevölkerte Nildelta gegen die Sturmfluten von morgen zu wappnen, belaufen sich auf hunderte von Milliarden.


Sinkende Inseln

Weil viele Staaten diese Mittel nicht aufbringen können, werden ganze Landstriche und Inseln - etwa im Südpazifik - im Meer versinken. Bei den zu Papua Neuguinea gehörenden Carteret Islands hat dieser Prozess längst begonnen - die Atolle könnten bereits 2015 unbewohnbar sein. Dem Inselstaat Tuvalu steht in den nächsten Jahrzehnten ein Anstieg des Meeresspiegels von einem halben Meter bevor.

Das Atoll Funafuti, auf dem die meisten der insgesamt 10.000 Einwohner von Tuvalu leben, liegt nur knapp über dem Meeresspiegel und wird verschwinden. In der isoliert gelegenen Nachbarrepublik Kiribati, der dasselbe Schicksal droht, wehren sich v.a. die älteren und die weniger gebildeten Insulaner nach Australien auszuwandern. Niemand möchte den Rückhalt der Gemeinschaft verlieren und die Ahnen aufgeben. Es ist ein erzwungener Verzicht auf die eigene Geschichte und Kultur.

Mehr als 60 Millionen Menschen leben in Gebieten, die weniger als 1 m über dem Meeresspiegel liegen. Dabei stellt nicht allein der Meeresspiegelanstieg eine Gefährdung für die Küstenbewohner dar. Der Klimawandel führt auch zu häufigeren und heftigeren Stürmen. Hinzu kommt, dass mit dem starken Rückgang der Mangroven die Küsten ihren wichtigsten natürlichen Schutz gegen die zerstörerische Kraft von Sturm und Flut verlieren, was die Risiken für die Bewohner deutlich erhöht. Mangroven sterben ab, lange bevor sie endgültig unter Wasser stehen. Verantwortlich hierfür ist der zunehmende Salzgehalt der periodisch von Meerwasser überfluteten Schwemmböden. Diese Schwemmlandböden gehören in vielen Regionen zu den fruchtbarsten Ackerflächen des Landes und sind für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung unverzichtbar. Das Salz macht diese Böden für die Landwirtschaft untauglich und gefährdet durch Infiltration ins Grundwasser die Trinkwasserversorgung. Im Delta des Ganges, einem der wasserreichsten Gebiete der Erde, müssen dutzende Dörfer per Boot mit Trinkwasser versorgt werden, weil das Wasser versalzen ist.

Die Fischerei sichert die Proteinversorgung von zirka einer Milliarde Menschen weltweit. In LIFDCS (low income food deficient countries) macht Fisch 22% der Versorgung mit tierischem Eiweiß aus. Die Ernährungssicherheit ist in diesen Ländern abhängig vor allem von der Kleinfischerei, die immerhin 38 Millionen Menschen beschäftigt. Auch diese sind von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, der die Meereschemie verändert. Meere wirken als Kohlenwasserstoffsenken, die aus der Atmosphäre bis zu einem bestimmten Sättigungsgrad CO2 aufnehmen können. Ohne diesen Senkeneffekt läge die atmosphärische Konzentration von Kohlenstoffdioxid heute um einiges höher. Er führt aber auch zu einer fortschreitenden Versauerung der Meere mit schwerwiegenden Folgen für Meereslebewesen und die gesamte Nahrungskette. Die Übersäuerung behindert die Biomineralisation von Korallen sowie von Kleinstlebewesen. Bei der sogenannten Korallenbleiche, die inzwischen weltweit zu beobachten ist, handelt es sich um eine Vorstufe zum völligen Absterben der Korrallenriffe. Eine unterseeische Geröllwüste ohne Leben bleibt übrig, denn sind die Riffe abgestorben, brechen ganze Ökosysteme zusammen.


Massenmigration in Bangladesch

Bangladesch ist mit mehr als 1000 Einwohnern pro km² der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Erde. Rund ein Drittel des Landes liegt im Mündungsgebiet von Ganges (Padma) und Brahmaputra (Jamuna). Die Flüsse haben ein weitverzweigtes Delta aufgeschüttet, eine amphibische Landschaft, die maximal fünf Meter über dem Meeresspiegel liegt. Starke Niederschläge in der Monsunzeit und das Hochwasser der Flüsse während der Schneeschmelze im Himalaya verursachen Jahr für Jahr Überflutungen der Siedlungen und der landwirtschaftlich genutzten Gebiete. Wenn zusätzlich tropische Wirbelstürme vom Golf von Bengalen auf die Küste treffen, kommt es zu verheerenden Überschwemmungskatastrophen mit meterhohen Flutwellen. Jährlich werden durchschnittlich 500.000 Menschen durch Stürme, Überschwemmungen und deren Folgen vertrieben. Treffen die Prognosen der Klimaforschung ein, dürften bis 2100 mindestens 35 Millionen zu Klimaflüchtlingen werden und 17% der Landesfläche ans Meer verloren gehen.

Zu Klimamigranten werden diejenigen, die sich nicht an die veränderten Bedingungen anpassen können und mangels Alternativen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Betroffene versuchen zumeist erst innerhalb ihres Dorfes oder der näheren Umgebung einen Neuanfang. Die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte folgt als zweiter Schritt. Das rasante Anwachsen der Metropolen überfordert die dortige Infrastruktur und die sozialen Herausforderungen wachsen. Bislang migrieren nur wenige Bangladeshis ins Ausland, weil ihnen hierzu das Geld fehlt und sich der große Nachbar Indien massiv abschottet.

Obwohl Bangladesch eines der ärmsten Entwicklungsländer weltweit ist, unternimmt die Regierung inzwischen ernsthafte Anstrengungen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Im Rahmen eines Nationalen Aktionsplans werden Katastrophenvorsorgekonzepte entworfen, die teilweise bereits greifen. Zu den Folgemaßnahmen zählen unter anderem Deichbauten, die Anlage von Schutzräumen, die Befestigung von Häusern, Frühwarnsysteme und die Trinkwassernotversorgung.

Notwendig ist es aber auch, dass vor Ort gemeinsam mit den Betroffenen Anpassungsstrategien entwickelt werden, die sie dabei unterstützen, ihren Lebensunterhalt auch unter den Bedingungen des Klimawandels in Würde zu bestreiten, ihre sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechte umzusetzen und ihren Anspruch auf Entwicklung zu wahren. Die zunehmende Zahl von Projekten, die auch dank des wachsenden Engagements von Hilfswerken auf den Weg gebracht werden, ist ein ermutigendes Zeichen. Noch sind sie aber wenig mehr, als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Bangladesch steht beispielhaft für dutzende armer Küsten- und Inselstaaten, in denen der Klimawandel existenzbedrohend ist. Da helfen keine leeren Versprechen sondern nur noch Taten. Auf mindestens 100 Milliarden USD jährlich muss die Klimafinanzierung des Nordens bis spätestens 2020 anwachsen, während gleichzeitig die Treibhausgasemissionen bis zur Jahrhundertmitte durch eine konsequente Dekarbonisierung unserer Lebensweise nahezu vollständig zurückzuführen sind. Der Ausstieg aus dem Kohlenstoffzeitalter und globale Solidarität sind alternativlos, damit künftig nicht rund um den Globus "Land unter" gilt und die Erde ihr Antlitz in einem Ausmaß verändert, das sich unserer Vorstellungskraft entzieht.

Die AutorInnen arbeiten bei Brot für die Welt zu den Themen Klimawandel und Gerechtigkeit, Thomas Hirsch ist darüber hinaus Sprecher im Leitungskreis des Forums Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2010, S. 19-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011