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KLIMA/087: Gefährliche Gletscherschmelze - 200 Millionen Menschen betroffen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2011

Klima: Gefährliche Gletscherschmelze - 200 Millionen Menschen betroffen

von Fabiola Ortiz


Porto de Galinhas, Brasilien, 29. September (IPS) - Mindestens 200 Millionen Menschen auf der Welt könnten bald im wahrsten Sinn des Wortes auf dem Trockenen sitzen. Sie beziehen ihr Trinkwasser von Gletschern, die allmählich schmelzen.

Die globale Durchschnittstemperatur hat sich in den vergangenen hundert Jahren um 0,6 Grad Celsius erhöht. Die Temperatur in Gletschernähe ist dagegen in nur zwei Jahrzehnten um 1,5 Grad gestiegen. Am schwersten betroffen sind Ortschaften im Himalaja-Gebirge in Asien und in den südamerikanischen Anden.

"Wenn die Temperatur unter null bleibt, bleibt Eis gefroren. Schon ein winziger Anstieg genügt, um das Eis in Wasser zu verwandeln", warnte Marco Rondón vom staatlichen Internationalen Entwicklungsforschungszentrum (IDRC) in Kanada.

Von dem Abschmelzen der Eisoberflächen seien insbesondere Menschen betroffen, die in der Nähe der Gletscher lebten, sagte Rondón auf dem 14. Weltwasserkongress, der vom 25. bis 29. September im nordbrasilianischen Porto de Galinhas stattfand und vom brasilianischen Bundesstaat Pernambuco und der Internationalen Wasserressourcenvereinigung IWRA organisiert worden war.

Allein in der Andenregion sind fast zehn Millionen Menschen direkt vom Gletscherwasser abhängig. Viele Städte beziehen zudem ihre Nahrungsmittel aus Regionen, die durch Gletscher bewässert werden. Ein Beispiel ist die Stadt Lima in Peru, die von etwa 500 Gletschern umgeben ist.


30 Prozent der Gletscher werden verschwinden

Rondón ging auf der Tagung davon aus, dass etwa 30 Prozent der Eisdecke der Anden in den nächsten Jahrzehnten verschwinden werden. "Die Verfügbarkeit von Wasser verändert sich", erklärte er. "Für kurze Zeit wird es mehr Wasser geben als bisher. So freuen sich in Bolivien die Menschen zurzeit darüber, dass sie aufgrund höherer Temperaturen mehr anbauen können. Diese Entwicklung ist allerdings nicht nachhaltig." Dem Experten zufolge wird das Wasser in diesen Gebieten voraussichtlich in etwa 30 Jahren bedrohlich knapp werden.

Die bolivianische Organisation 'Agua Sustentable' arbeitet mit ländlichen Gemeinden zusammen, um den Menschen vor Ort Zugang zu Wasserquellen zu erschließen. Außerdem sollen Pilotprojekte entwickelt werden, um die Folgen der Schmelze des Illimani-Gletschers etwa 70 Kilometer von der Hauptstadt La Paz entfernt abzumildern.

Der Gletscher, der auf einer Höhe von 6.350 Metern liegt und sich über eine Fläche von 50 Quadratkilometer erstreckt, ist in rund vier Jahrzehnten um mehr als ein Fünftel geschrumpft. Wie die Forscherin Paula Pacheco berichtete, benötigen zahlreiche Dörfer nahe La Paz das Gletscherwasser. Sie dringt darauf, die Ursachen für die Schmelze genauer zu untersuchen.

Gemeinsam mit der Höheren Universität von San Andrés in La Paz versucht Agua Sustentable gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung praktische Lösungsstrategien zu erarbeiten. Um Wasser in der Landwirtschaft effizienter einzusetzen, entwickelt die Nichtregierungsorganisation Regenwasserreservoirs, die bis zu 20.000 Liter fassen.

Rondón kritisierte, dass sich die Familien im Umkreis des Illimani angewöhnt hätten, drei Mal so viel Wasser wie früher zu verbrauchen. Er führte dies unter anderem auf den Ausbau der Agrarproduktion zurück.

Wasserengpässe drohen auch in der Hindukusch-Himalaja-Region, deren Gletscher sich über 60.000 Quadratkilometer erstrecken und zehn große Ströme in Asien speisen. Rund 1,3 Milliarden Menschen beziehen ihr Wasser aus diesen Flüssen. Nach den Vorhersagen der Klimaforscher wird sich die Vegetation durch den Wassermangel erheblich verändern. Zahlreiche Arten drohen auszusterben.


Ausmaß des Problems wird erst nach und nach ersichtlich

Dem Geschäftsführer des Nepal-Büros des Instituts für Sozialen und Ökologischen Übergang, Ajaya Dixit, ist die Gletscherschmelze noch nicht ausreichend erforscht. Wissenschaftler begännen erst jetzt, das gesamte Ausmaß des Problems zu verstehen. "Die Gletscher im Himalaja werden in naher Zukunft zwar noch nicht abschmelzen, aber schrumpfen. Um wie viel, wissen wir nicht", sagte er. Sicher sei, dass es Veränderungen geben werde. Wie die Situation in bereits zehn Jahren sein werde, lasse sich aber nur schwerlich vorhersagen.

Nepal, wo etwa 30 Millionen Menschen leben, besitzt viele Gletscher in 5.000 bis 6.000 Metern Höhe. Die Flüsse des Landes speisen sich aus Schnee und Gletschern. Schätzungsweise 35 Prozent der Nepalesen sind abhängig von diesem Wasser. Flussabwärts wird es für die Landwirtschaft und die Erzeugung von Strom genutzt.

"Schlimmstenfalls wird für Nepal alles sehr schlecht ausgehen", warnte Dixit. "Wir produzieren zwar nur wenige Treibhausgase. Unsere Gletscher bekommen aber die Auswirkungen des CO2-Ausstoßes von Industrie- und Entwicklungsländern zu spüren." Alle Staaten müssten ihre Treibhausgas-Emissionen reduzieren und sich auf die Folgen des Klimawandels einstellen, sagte er. Nepal sei abhängig von den Maßnahmen, die in anderen Ländern ergriffen würden. Für eigene Schutzvorkehrungen fehlten dem kleinen Staat die Mittel. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://worldwatercongress.com/
http://www.iwra.org/
http://www.idrc.ca/EN/Pages/default.aspx
http://isetnepal.org.np/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105268

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2011