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LATEINAMERIKA/093: Umstrittene Biodiversitäts-Offsets in der Region auf dem Vormarsch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2014

Lateinamerika: Umstrittene Biodiversitäts-Offsets in der Region auf dem Vormarsch

von Emilio Godoy


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Regierung von Tamaulipas

Naturgebiet im Biosphärenreservat El Cielo im nordostmexikanischen Bundesstaat Tamaulipas
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung der Regierung von Tamaulipas

Mexiko-Stadt, 23. September (IPS) - In lateinamerikanischen Ländern freunden sich immer mehr Regierungen mit dem Gedanken an, durch Infrastrukturprojekte und extraktive Industrien an einem bestimmten Ort angerichtete Umweltschäden durch Ausgleichsmaßnahmen an einem anderen Ort zu kompensieren. Den Gegnern zufolge führt das als Ausgleichsmechanismus beworbene Instrument vor allem zur weiteren Kommerzialisierung und Zerstörung von Ökosystemen und Habitaten.

"Kein Marktmechanismus kann das zugrundeliegende Problem lösen", ist Margarita Flórez, Geschäftsführerin der kolumbianischen Vereinigung für Umwelt und Gesellschaft (AAS), überzeugt. "Es geht um die wichtige Frage der Haftung. Wie soll mit den bereits verursachten Schäden verfahren werden? Wie können wir sicherstellen, dass wirkliche Entschädigungsmaßnahmen ergriffen werden und nicht nur eine bloße Sanierung erfolgt? Uns gehen immer mehr Ressourcen verloren, und wir sind in keiner Weise in der Lage, den Ressourcenschwund aufzuhalten. Der angebliche Kompensationsmechanismus birgt extrem viele Widersprüche."


Kolumbianisches Kompensationshandbuch

Seit August 2012 verfügt Kolumbien über ein 'Handbuch zur Kompensation von Artenvielfaltverlusten', das allerdings bisher noch nicht zur Anwendung kam. Dieses Handbuch gibt Unternehmen eine Vorstellung davon, wie und wie umfangreich die Entschädigungsmaßnahmen als Gegenleistung zu den von ihnen verursachten Schäden in den unterschiedlichen Gebieten des südamerikanischen Landes ausfallen könnten.

Der Plan sieht vor, dass die Ausgleichsmaßnahmen in Gebieten erfolgen, die "ökologisch gleichwertig" mit den Orten sind, die geschädigt wurden. Denkbar wäre, dass sie in Arealen durchgeführt werden, die auf der Prioritätenliste des Nationalen Instandsetzungsplans oder des Nationalen Systems geschützter Gebiete ganz oben stehen.

Demnach soll die Lebensdauer der Biodiversitäts-Offsets oder Ausgleichsmaßnahmen an die Lebenszeit der Mine oder der anderen Projekte angepasst werden. Die Ausgleichsmaßnahmen können auf die Einrichtung oder Stärkung von Schutzgebieten oder den Abschluss von Schutzabkommen mit privaten Landeigentümern sowie mit indigenen und schwarzen Gemeinschaften abzielen, die über kollektive Landrechte verfügen.

Das Handbuch richtet sich an die Akteure des Bergbausektors, der Öl-, Gas- und Energieindustrie sowie an die Betreiber von Infrastrukturprojekten wie Häfen und Flughäfen. Die Entschädigungsleistungen für die Sekundärvegetation werden mit 0,01 bis 0,02 Quadratkilometer für jeden betroffenen Quadratkilometer angegeben. Im Fall der natürlichen Ökosysteme ist die Rede von 0,02 bis 0,1 Quadratkilometer pro betroffenem Quadratkilometer. In Kolumbien gibt es 55 Schutzgebiete, die zehn Prozent des nationalen Territoriums ausmachen.

Die Biodiversitäts-Offsets gehören zu den sechs sogenannten 'Innovativen Finanzmechanismen für den Erhalt der biologischen Vielfalt', die im Biodiversitätsabkommen (CBD) skizziert werden. Das 1993 in Kraft getretene und von 193 Staaten ratifizierte CBD gilt als Schlüsseldokument für nachhaltige Entwicklung.

Die anderen Mechanismen sind eine ökologische Steuerreform, die Bezahlung der von der Natur bereitgestellten Leistungen, grüne Märkte, Biodiversitätsfonds im Kampf gegen Klimawandel und die besondere Berücksichtigung der Artenvielfalt in der internationalen Entwicklungsfinanzierung.

Bisher verfügt lediglich ein Fünftel der CBD-Unterzeichnerstaaten über Biodiversitäts-Offset-Mechanismen. Rund 45 entsprechende Programme zu Investitionen zwischen 2,4 Milliarden und vier Milliarden Dollar sind angelaufen.

Außer Kolumbien verfügen auch Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko, Peru und Venezuela über die eine oder andere Art eines Biodiversitäts-Offset-Systems. Ecuador treibt derzeit die Frage um, wie ein solcher Mechanismus durchgesetzt werden kann. In Chile wiederum, einem Staat, der 19 Prozent der Landesfläche unter Schutz gestellt hat, erarbeitet ein Umweltbewertungsdienst ein System von Kompensationsvorgaben für den Biodiversitätsverlust.

In Peru, einem Land mit 166 Naturgebieten, die sich über 17 Prozent des nationalen Territoriums erstrecken, wird derzeit über die Umrisse eines Umweltkompensationsplans im Rahmen des sogenannten Systems zur Evaluierung der Umweltauswirkungen diskutiert.

In Mexiko hält Pedro Álvarez, Leiter des Ressorts für biologische Ressourcen und Korridore der staatlichen Nationalen Kommission für das Wissen und die Nutzung der Biodiversität (CONABIO), die Verknüpfung von Artenschutzmechanismen und Wirtschaftsaktivitäten für machbar. "Wenn Gemeinschaften begreifen, dass Biodiversität einen Wert hat, bietet sich ihnen die Chance, in das Management natürlicher Ressourcen gewisse Hoffnungen zu setzen", erklärte er gegenüber IPS. "Doch damit die Rechnung aufgehen kann, muss die Bereitstellung öffentlicher Gelder über einen längeren Zeitraum hinweg garantiert werden."


Mexiko verbucht hohe Biodiversitätsverluste

Aus dem Programm für den Sektor Umwelt und natürliche Ressourcen 2013-2018 geht hervor, dass 29 Prozent des mexikanischen Territoriums ihre natürlichen Ökosysteme eingebüßt haben. Insgesamt gibt es in dem lateinamerikanischen Land 176 natürliche Gebiete, die 13 Prozent der Landesfläche einnehmen und von der Nationalen Kommission für geschützte Naturgebiete verwaltet werden.

Mit Hilfe des Umweltkompensationsprogramms zur Veränderung der Landnutzung in bewaldeten Gebieten finanzierte die Nationale Waldkommission im letzten Jahr 275 Projekte, die sich über eine 321 Quadratkilometer große Fläche erstreckten.

"In Kolumbien nehmen sich die Schutzinitiativen eher bescheiden aus", meint Flórez von der AAS. "Das Handbuch enthält zwar viele Erklärungen, doch sagt es nichts über die Umsetzungsmöglichkeiten aus. Es fehlt an Details über die Anwendungszeiträume und die Bedingungen. Ebenso bleibt unklar, was geschieht, wenn man sich nicht an die Richtlinien hält."

Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des kolumbianischen Umweltministeriums

Landkarte mit den Kompensationsfaktoren bezüglich der Repräsentativität der Ökosysteme und der Biome in den biologisch-geographischen Bezirken Kolumbiens
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung des kolumbianischen Umweltministeriums

'Tremarctos-Colombia' ist ein System, das die vorläufigen Auswirkungen eines Infrastrukturprojekts auf die lokale Artenvielfalt bewerten und Empfehlungen vorlegen soll, wie mögliche Kompensationsmaßnahmen aussehen könnten. In einem zweiten Schritt soll dann das Handbuch für die Festsetzung von Ausgleichsleistungen für den Verlust des Artenreichtums zum Einsatz kommen. Phase drei setzt auf ein Monitoring- und Überwachungsverfahren, das sicherstellen soll, dass es zu keinem Netto-Verlust der Biodiversität kommt.

Länder wie Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Venezuela haben zwischen 1990 und 2009 einen großen Teil ihres Artenreichtums eingebüßt, wie aus dem Inklusiven Wohlstandsindex hervorgeht, einer vom UN-Umweltprogramm UNEP in 20 Ländern durchgeführten Untersuchung.

"Wir brauchen neue Mechanismen", meint dazu Álvarez von CONABIO. "Doch darf es nicht darum gehen, Menschen dafür zu bezahlen, dass sie die Umwelt verschmutzen. Das ist gefährlich. Vielmehr sollte das Prinzip der Vorsorge Aufnahme in die Umweltbestimmungen finden. Und es muss für den Fall von Unfällen eine Art Umweltschutzversicherung geben."

Die internationale Bewegung 'Nein zu Biodiversitäts-Offsets!' hatte im vergangenen November im schottischen Edinburgh in einem Manifest betont, dass die Biodiversitäts-Offsets mit dem Versprechen, geschädigte Habitate irgendwo anders neu erschaffen zu können, dem Verlust des Artenreichtums Vorschub geleistet hätten. Und noch beunruhigender sei, dass sie die Natur zur Ware machten.

Die Offsets seien nützlich für die Schadensverursacher. Diese Firmen könnten vorgeben, in den Umweltschutz zu investieren, und gleichzeitig ein 'Greenwashing' ihrer Produkte und Leistungen betreiben, heißt es in dem Papier. Die Biodiversitäts-Offsets würden Biodiversitätsverluste nicht verhindern, sondern die Gemeinschaften beeinträchtigen und sie aus ihrem traditionellen Lebens- und Wirtschaftsumfeld reißen.

Eines der CBD-Strategieziele zur Mobilisierung von Ressourcen ist es, Offsetting-Mechanismen dort in Erwägung zu ziehen, wo sie relevant und angemessen sind. Allerdings muss garantiert werden, dass sie nicht missbraucht werden, um den Artenreichtum zu schädigen. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/09/compensacion-ambiental-avanza-en-america-latina-entre-polemicas/
http://www.ipsnews.net/2014/09/biodiversity-offsetting-advances-in-latin-america-amidst-controversy/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2014