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LATEINAMERIKA/099: Argentinien - Exklusive Wohnsiedlungen in Flussauen erhöhen Überschwemmungsgefahr (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. November 2014

Argentinien: Exklusive Wohnsiedlungen in Flussauen erhöhen Überschwemmungsgefahr - Meist sind die Armen die Opfer

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Traditionelle Häuser auf Stelzen im Paraná-Delta
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Buenos Aires, 28. November (IPS) - Der Bau von geschlossenen Wohnanlagen für die Reichen in Feuchtgebieten und Flussniederungen in der Umgebung der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires greift in die empfindlichen Ökosysteme ein und verursacht heftige Überschwemmungen. Davon sind vor allem die Armensiedlungen betroffen.

Seit in den 1990 Jahren ein Ansturm auf hochwertige Immobilien eingesetzt hat, entstehen private Wohnsiedlungen innerhalb vitaler Ökosysteme. Wohlhabende schotten sich gegenüber den ärmeren Bewohnern der Vororte von Buenos Aires ab. Die Folgen dieses fragwürdigen Baubooms zeigten sich zuletzt Anfang November, als der 'Sudestada', ein starker Südostwind, für kräftige Niederschläge sorgte.

19 Gemeinden in und nahe Buenos Aires wurden überschwemmt. Das Wetterphänomen, das im Becken des Rio de la Plata auftritt, manifestiert sich in einem plötzlichen Richtungswechsel kalter Südwinde, die nach Südosten abdriften.


Tausende Menschen vor Fluten in Sicherheit gebracht

In der ersten Novemberwoche wurden in der Region Windgeschwindigkeiten von mehr als 70 Stundenkilometern gemessen. Binnen zwei Tagen fiel mehr Regen, als für zwei Monate vorhergesehen worden war. Nachdem Flüsse über ihre Ufer getreten waren, standen weite Landstriche unter Wasser und waren von der Außenwelt abgeschnitten. Mehr als 5.000 Menschen mussten evakuiert werden.

Jorge Capitanich, Kabinettschef der argentinischen Staatspräsidentin Cristina Fernández, führt die Überschwemmungen auf ein Zusammenwirken des Sudestada mit heftigen Regenfällen und der dadurch bedingten riesigen Niederschlagsmenge zurück. Doch Patricia Pintos vom Zentrum für geografische Forschung an der La Plata-Universität hält die zunehmende Urbanisierung und die Entstehung der geschlossenen Wohnanlagen für ausschlaggebend.

Diese werden in der Regel inmitten natürlicher oder künstlicher Gewässer errichtet. Viele dieser Inselstadtteile seien in Flussauen oder in Feuchtgebieten gebaut worden, erklärt Pintos, Ko-Autorin des Buchs 'Die frevelhafte Privatutopie. Auswirkungen der privaten Verstädterung im unteren Becken des Flusses Luján'. Diesen besonderen Systemen komme die wichtige Funktion zu, Hochwasser aufzufangen.

"Die natürlichen Abflüsse der Feuchtgebiete werden nun aber durch Wohnanlagen verstopft, in denen man laut Werbung im Einklang mit der Natur lebt", kritisiert die Stadtplanerin Laila Robledo, Dozentin an der Nationalen General-Sarmiento-Universität.


Wasser kann nicht mehr natürlich abfließen

Die Gemeinden Pilar, Campana, Escobar und Tigre, die sich am unteren Abschnitt des Luján-Beckens über eine Fläche von insgesamt über 7.000 Hektar erstrecken, sind besonders stark durch den Bau der exklusiven Wohnanlagen beeinträchtigt. "65 Wohnungsbauprojekte haben das Terrain an der Flussmündung verändert. Bei Wetterlagen wie Anfang November kann das Wasser nicht mehr abfließen", sagt Pintos.

Bild: © Elinmobiliario.com

Teil der geschlossenen Wohnanlage 'Nordelta' im Großraum von Buenos Aires
Bild: © Elinmobiliario.com

Im Zuge solcher Baumaßnahmen wird nicht nur der Grund erhöht, sondern es werden auch neue Gewässer wie künstliche Seen geschaffen. Da sich die Siedlungen in flutgefährdeten Zonen befinden, werden sie von sechs bis zehn Meter hohen Schutzdämmen umgeben."Diese Dämme schützen die Wohnviertel, tragen aber zugleich dazu bei, dass die Umgebung überschwemmt wird."

Zehn Prozent der rund 350.000 Einwohner von Tigre lebten in geschlossenen Wohnanlagen, die etwa die Hälfte der Fläche der Gemeinde ausmachten, erklärt der Generalsekretär der Gemeinde, Martín Gianella. "So etwas nennen wir ein Modell für sozio-territoriale Segregation. Mauern durchschneiden das Territorium und die Gesellschaft."

Dem Behördenvertreter zufolge erlebt die nördlich von Buenos Aires gelegene Gemeinde seit jeher Überschwemmungen während des Sudestada. "In den vergangenen fünf Jahren beobachten wir aber ein neues Phänomen: Überflutungen durch Regenfälle. Es ist kein Zufall, dass vor allem Siedlungen betroffen sind, die in der Nähe von den abgeschlossenen Wohnanlagen liegen, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind."


Neue Reglementierungen für Baumaßnahmen gefordert

Gianella ist dafür, den Bau privater Wohnsiedlungen neu zu reglementieren. "Auf solche Mega-Baumaßnahmen sollte eine Sondersteuer erhoben werden. Mit diesen Einnahmen könnten notwendige hydrologische Arbeiten finanziert werden."

Wie die Stadtplanerin Robledo betont, sind nicht nur die Gebiete in der Nähe der abgeschlossenen Wohnanlagen bedroht, sondern die gesamte Stadt von diesen Veränderungen betroffen. Denn Buenos Aires sei auf einem Grund erbaut worden, der kreuz und quer von Flüssen durchzogen sei. "Der Bau dieser Wohnanlagen fördert zudem die Privatisierung der Stadt und die Bodenspekulation zum Nachteil der übrigen Bevölkerung", sagt sie. Profitgierige Unternehmen kauften das traditionell preisgünstige Land in flutgefährdeten Zonen auf und machten damit hohe Gewinne.

Robledo und Pintos stimmen darin überein, dass die Risiken zwar bekannt sind, jedoch die Einhaltung von Regelungen, die solche Bauprojekte betreffen, nicht überwacht werde.


Immobilienbranche sieht sich nicht verantwortlich

Große Immobilienunternehmer in der Provinz Buenos Aires wie etwa Gonzalo Monarca, Präsident der gleichnamigen Firmengruppe, streiten jegliche Verantwortung für die Überschwemmungen ab und führen diese allein auf den Klimawandel zurück. "Das ist hier aber das falsche Argument", sagt Robledo. "Der Klimawandel ist auf globaler Ebene zu beobachten. Seine Auswirkungen hängen davon ab, wie Städte gebaut sind und bewohnt werden."

Falls diese Form des Wohnungsbaus nicht verboten oder stärker reguliert werde, sei in den Städten mit noch häufigeren und länger anhaltenden Überschwemmungen zu rechnen, selbst wenn es nicht besonders heftig regne, warnt die Expertin.

Als Übergangslösung schlug Pintos vor, Familien aus den Gefahrengebieten umzusiedeln, wie dies in den USA nach dem Hurrikan 'Katrina' in New Orleans 2005 geschehen ist. Zudem müsse der Bau neuer privater Wohnsiedlungen in Gebieten mit fragilen Ökosystemen verboten werden. Die bereits erteilten Genehmigungen sollten überprüft und Unternehmen die Kosten zur Beseitigung der massiven Umweltprobleme in Rechnung gestellt werden. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/11/gated-communities-on-the-water-aggravate-flooding-in-argentina/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2014