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LATEINAMERIKA/112: Brasilien - Mega-Staudammprojekte im Amazonas vor ungewisser Zukunft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. August 2015

Brasilien: Mega-Staudammprojekte im Amazonas vor ungewisser Zukunft

von Mario Osava



Bild: © Mario Osava/IPS

Straße in Jatobá, wo das Unternehmen 'Norte Energía' Familien ansiedelt, die im Umkreis des Staudamms lebten
Bild: © Mario Osava/IPS

ALTAMIRA, BRASILIEN (IPS) - Paulo de Oliveira fährt in der nordbrasilianischen Stadt Altamira Taxi, weil er in seinem eigentlichen Beruf keine Anstellung findet. Der Lastwagen- und Traktorfahrer sucht bisher vergeblich einen Job auf der Baustelle des hoch umstrittenen Belo-Monte-Staudamms am Xingú-Fluss im Amazonas-Regenwald.

Oliveira hat bereits an verschiedenen Orten im Urwald gelebt. Als ziviler Mitarbeiter der Luftwaffe baute er Flughäfen, Baracken und Straßen in Gemeinden wie Itaituba, Jacareacanga, Oriximiná und Humaitá.

Zurück in Altamira arbeitete er im informellen Bergbau. Einmal wurde in einem Tunnel zehn Meter unter der Erde verschüttet. Die Arbeit als illegaler Goldschürfer verhalf ihm zu einem gewissen Wohlstand. Und auch die Taxifahrerei zahlte sich aus, denn die Arbeiter, die er zu den geheimen Minen fuhr, zahlten gut. Doch das ganze Geld hat er für Frauen ausgegeben, wie er sagt.

Schließlich landete er in der Millionenstadt Manaus, wo er am Bau einer gigantischen Brücke über den Negro-Fluss mitarbeitete. Die nächste Etappe war Porto Velho nahe der Grenze zu Bolivien. Die Arbeit am Jirau-Wasserkraftwerk war ihm nicht geheuer, deshalb hörte er nach einigen Monaten dort wieder auf.

Offenbar hatte Oliveira den richtigen Riecher, denn im März 2011 rebellierten die Arbeiter auf der Baustelle und zündeten 60 Busse sowie einen Großteil der Quartiere von 16.000 Beschäftigten an. Die Arbeiten in Jirau und im benachbarten Santo Antônio kamen zum Stillstand.

Mit 50 Jahren ist Oliveira nun wieder zurück in Altamira, einer Stadt mit rund 140.000 Einwohnern, die 55 Kilometer von Belo Monte entfernt ist. Die Jobsuche gestaltet sich schwierig, weil es in der Baubranche inzwischen weniger zu tun gibt. Deshalb fährt er Taxi. Die Kontroverse, die das Staudammprojekt in Brasilien ausgelöst hat, macht ähnliche Vorhaben immer schwieriger.


Bild: © Mario Osava/IPS

Brückenbau in einem Viertel der Stadt Altamira
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Die abschließende Überprüfung des Belo-Monte-Projekts wird darüber entscheiden, wie weit die Regierung mit ihren Plänen kommt, aus den Flüssen im Amazonasgebiet Energie zu gewinnen. Es sind die einzigen im Lande, die das Potenzial haben, Strom im großen Stil zu produzieren, was in anderen Teilen des Landes inzwischen aufgegeben wurde.


Amazonasprojekte sollen zwei Drittel des nationalen Stroms generieren

Wie aus einer Studie des unabhängigen Sozioökologischen Instituts hervorgeht, werden Wasserkraftwerke in der Amazonasregion, sofern sie gemäß den Plänen der Regierung für den Zeitraum 2005 bis 2030 fertiggestellt werden, zu mehr als 67 Prozent zur Stromerzeugung in dem 203 Millionen Einwohner zählenden Land beitragen.

Ein weiteres Megakraftwerk, der São-Luiz-Damm am Tapajós-Fluss westlich des Xingú, steht offensichtlich vor einem Problem, für das es keine Lösung geben wird. Das Projekt würde zu einer Überflutung von verfassungsrechtlich geschütztem Ureinwohnerland führen.

Der ursprüngliche Plan für Belo Monte, der ebenfalls eine Flutung indigener Territorien vorsah, wurde zwar geändert, stößt aber immer noch auf Kritik, weil er den Flussanrainern erhebliche Nachteile bringt. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem Bauunternehmen 'Norte Energía' sogar Ethnozid vor.

Ureinwohner besetzten bereits mehrmals aus Protest die Baustelle und beschädigten die Installationen. Das Kraftwerk São Luiz, das rund 8.000 MW Strom erzeugen soll, sowie andere geplante Anlagen am Tapajós dürfen sich auf einen noch effektiveren Widerstand gefasst machen, denn das dort lebende Volk der Munduruku zählt etwa 12.000 Mitglieder.

Im Einzugsgebiet des Belo-Monte-Damms leben etwa 6.000 Einwohner, die neun verschiedenen Ethnien angehören. Fast die Hälfte von ihnen ist in die Städte abgewandert, sagt Francisco Brasil de Morães, der für das Gebiet am mittleren Abschnitt des Xingú zuständige Vertreter der brasilianischen Ureinwohnerbehörde FUNAI.

Norte Energía, ein Konsortium aus zehn staatlichen und privaten Firmen sowie Investmentfonds, hat etwa 1,1 Milliarden US-Dollar für Entschädigungen vorgesehen. Dieser ungewöhnlich hohe Betrag entspricht zwölf Prozent der gesamten Investitionen. Das Konsortium hat inzwischen 4.100 Familien umgesiedelt und Tausende finanziell entschädigt. Es hat Teile von Altamira und Victória de Xingú saniert, dort Krankenhäuser gebaut beziehungsweise modernisiert sowie 30 Gesundheitszentren und 270 Klassenräume geschaffen.


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Von 'Norte Energía' gebaute Kläranlage in Altamira
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Dennoch rissen die Beschwerden über das Vorhaben nicht ab. Bevor im Juni eine Einigung erzielt wurde, die neu errichteten Kläranlagen und Wasserleitungen in Altamira mit den neuen Häusern zu verbinden, waren zehn Monate ins Land gegangen. Die Arbeiten werden von der Stadtregierung beaufsichtigt und von dem Unternehmen finanziert. Noch länger wird es dauern, bis der Stadtrat ein städtisches Sanitärunternehmen gründet und die entsprechenden Dienstleistungen bereitgestellt werden.


Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe neuer Häuser

"Meiner Familie wurden drei Häuser versprochen, weil wir zwei verheiratete Söhne haben", sagt der 62-jährige José de Ribamar do Nascimento, der in Jatobá lebt, der ersten neugebauten Siedlung für die Menschen, die Belo Monte weichen mussten. "Doch dann hat man uns den Anspruch auf zwei dieser Häuser aberkannt. Ich bin krank und konnte nicht dagegen protestieren."

In den jeweils 63 Quadratmeter großen Wohneinheiten, die auf einem 300 Quadratmeter großen Grundstück liegen, befinden sich drei Schlafräume, ein Wohnzimmer, eine Küche und ein Bad. Die neuen Siedlungen haben zudem befestigte Straßen. Nascimento, der an Prostatakrebs leidet, kann sich nur mit Mühe fortbewegen. Er lebt von einer kleinen Rente, hofft aber auf eine bessere Zukunft. Von dem Kraftwerk verspricht er sich neue Arbeitsplätze.

Von dem Umzug konnte insbesondere Francisco Assis Cardoso profitieren, der zum einflussreichsten Ladenbesitzer Jatobás geworden ist. Mit seiner Mutter betreibt er einen Supermarkt und eine Apotheke. Ihm und seinen vier Geschwistern wurden zudem fünf Häuser zugeteilt.


Bild: © Mario Osava/IPS

Francisco Assis Cardoso (Mitte), in seinem Supermarkt in Altamira im nördlichen Amazonasgebiet
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Norte Energía steht vor allem deshalb in der Kritik, weil die versprochenen Schulen, Busse und Gesundheitseinrichtungen in den fünf Siedlungen auf sich warten lassen. Viele Anwohner beklagen zudem, dass es bei der Zuteilung der Häuser ungerecht zugegangen sei.

Ein Plan für nachhaltige Entwicklung in der Xingú-Region soll weit über die üblichen Entschädigungen für die Umsiedlungen und die anderen Folgen des Dammbaus hinausgehen. Vorgesehen ist, dass sich Vertreter der Zivilgesellschaft und der Regierung auf Projekte einigen, die von Norte Energía finanziert werden. Die Territoriale Entwicklungsagenda wurde von einem Team ausgearbeitet, das von der staatlichen Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung gebildet worden war. Die Bank finanziert 80 Prozent des Belo-Monte-Bauprojekts.

Das Kraftwerk soll im Schnitt nur 40 Prozent seiner installierten Leistung von 11.233 MW ausnutzen. Um möglichst wenig Ureinwohnerland für den Stausee zu opfern, wurde die dafür ursprünglich vorgesehene Fläche um 39 Prozent auf 478 Quadratkilometer verkleinert. (Ende/IPS/ck/06.08.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/07/belo-monte-dam-marks-a-before-and-after-for-energy-projects-in-brazil/
http://www.ipsnoticias.net/2015/07/belo-monte-dictara-los-rumbos-energeticos-de-brasil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2015

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