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PROJEKT/055: Im Reich des roten Pandas (WWF magazin)


WWF magazin, Ausgabe 3/2014
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Im Reich des roten Pandas

von Thomas Köberich, WWF



Seit rund 40 Jahren ist der WWF im Himalaja aktiv, um die Zukunft der Ökoregion zu sichern. Thomas Köberich vom WWF Deutschland hat im März seine indischen Kollegen in ihrem Projektalltag begleitet und dabei interessante Einblicke gewonnen.


Kaum hat man die Grenze zum einst geheimnisumwitterten Sikkim passiert, muss der Fahrer zurückschalten. Es geht steil bergauf. Ein Unwetter verfinstert die Sicht. Unbekümmert lenkt der Mann sein Fahrzeug ohne Licht über immer schmaler werdende Straßen. "Regen zu dieser Jahreszeit ist gut", versichert er. Hagel mischt sich dazu und trommelt auf das Blech. Aus den Bergen schießt das Wasser über die Fahrbahn und schwemmt jede Menge Schlamm mit sich. Wir sind auf dem Weg nach Jorethang ins SIRD, dem "Staatlichen Institut für ländliche Entwicklung", für dessen Arbeit das Thema Wasser eine erhebliche Rolle spielt.

Denn trotz der Sturzbäche: Wasser ist kostbar in Sikkim, dem indischen Bundesstaat im südlichen Himalaja zwischen Nepal, China und Bhutan. Der WWF Indien mit seinem Regionalbüro in Sikkim lädt aus Anlass des Weltwassertages am 22. März in das SIRD ein - in der Vergangenheit überwiegend Schüler, in diesem Jahr die Lehrer. Trotz des schulfreien Samstags finden Dutzende von ihnen aus allen Teilen des Landes hierher. Draußen empfängt die Besucher eine Ausstellung mit Comics, die mit leichtem Strich über Möglichkeiten des Wassersparens informieren. Daraus hat der WWF eine Broschüre für die Schulen gemacht, die er später vorstellen wird. Drinnen sind alle Stühle schnell besetzt. Das Thema ist für die Menschen hier überlebenswichtig. Vier Fünftel der Bevölkerung Sikkims leben von der Landwirtschaft. Sie sind darauf angewiesen, dass die Felder fruchtbar bleiben. Das bleiben sie aber nur, wenn es ausreichend regnet.

Genau das tut es wegen des Klimawandels nicht mehr. In den Wintermonaten lässt der Regen immer häufiger auf sich warten. Die Wasserreserven schwinden seit Jahren, zugleich wächst die Bevölkerung. Die einst üppigen Wälder wurden teils zum Heizen und Kochen verfeuert. Nun fehlen die Bäume - auch als Wasserspeicher. Heute läuft der Regen rasch über baumlose Flächen bergab in die Flüsse, anstatt langsam im Boden zu versickern und die Quellen mit Frischwasser zu speisen. Viele der Brunnen sind deshalb ausgetrocknet.


Neue Quellen schaffen

Das Problem ist bekannt und auch in der Politik angekommen, die ein sogenanntes "Klimawandel-Anpassungsprogramm" entwickelt hat. Zusammen mit dem WWF Indien wurde daraus eine Idee geboren, wie man Quellen auch in Zeiten zunehmender Trockenheit sprudeln lassen kann. Wie viele gute Ideen ist auch diese denkbar simpel. Wir sind mit der Leiterin des WWF-Büros in Sikkim, Priya Shrestha, und Perm Norbu Sherpa auf einem der Vorberge im Süden unterwegs. Sherpa ist einer der Projekt-Koordinatoren: "Wir betreiben hier keine Quantenphysik. Das ist eine einfache Maßnahme, die funktioniert und Jobs schafft. Der WWF hilft uns dabei", sagt er und zeigt in die Ferne. Auf den Hügeln rundum wurden Hunderte Gruben gegraben - jede im Schnitt zwei Meter lang und einen Meter tief. Deren Wände und Böden wurden verdichtet. Perm Norbu Sherpa steht am Rande einer der Gruben und erklärt: "Wenn es regnet, fangen die Gruben das Oberflächenwasser auf. In dem verdichteten Erdreich versickert es nur langsam. Dabei wirkt die Erde als Filter und reinigt das Wasser. Am Fuß des Berges sprudelt es dann wieder heraus." Um die Löcher herum wurden Büsche angepflanzt, damit der Boden nicht vom Regenwasser weggespült wird. Tatsächlich fließt einige Hundert Meter unterhalb frisches Wasser aus einer Böschung. Dort wird es von Anwohnern für den Haushalt oder das Vieh abgezapft. Für die armen Bauern bedeutet Wasser mehr Ernte und damit mehr Einkommen.


EIN GROSSES KLEINOD
Sikkim liegt im Nordosten des indischen Subkontinents. Der zweitkleinste indische Bundesstaat ist weniger als halb so groß wie Thüringen. Auf dieser kleinen Fläche umfasst Sikkim von 280 Metern über Meereshöhe bis zu dem 8586 Meter hohen Gipfel des Kangchendzönga drei Klimazonen: subtropisch, temperiert und alpin. Auch in puncto Artenvielfalt zählt das kleine Land, das fast ein Drittel seines Territoriums als Naturschutzgebiete ausgewiesen hat, zu den ganz Großen: Unter anderem leben in Sikkim 552 Vogelarten, 650 Schmetterlinge, 424 Heilpflanzen und 550 Orchideen. TOK


Der Kangchendzönga, den sich Nepal und Indien teilen, ist mit 8586 Metern der dritthöchste Berg der Erde - und heilig. Daher ist dessen Besteigung von der indischen Seite verboten. Zwar darf man ein gutes Stück hinauf, aber nicht ganz nach oben. So bleibt der Gipfel vor den Heimsuchungen des alpinen Tourismus geschützt, unter denen so manch anderer Achttausender des Himalajas leiden muss.

Vieles ist hier anders als in der Gebirgswelt Europas. Während die Baumgrenze der Alpen bei rund 2000 Metern über null liegt, ist sie im Himalaja mehr als doppelt so hoch. Bis dort oben türmen sich in Sikkim die verschiedenen Vegetationszonen von den Subtropen bis zu den Grenzen des ewigen Eises auf kleiner Fläche übereinander - mit üppigster Vegetation. Im Frühling verwandeln die Rhododendren die Berge oberhalb von 2000 Metern in ein feuerrotes Blütenmeer.

Dort lebt auch der Rote Panda, das Wappentier von Sikkim. Dr. Partha Sarathi Ghose ist zusammen mit seinem Kollegen Basant Kumar Sharma im WWF-Programmbüro Sikkim seit Langem unterwegs, um die Art zu schützen. Seit sechs Jahren unterstützt der WWF Deutschland gemeinsam mit dem Verband Deutscher Zoodirektoren (VDZ) die Kollegen mit Geld und Fachwissen bei ihrer Arbeit. "Bevor sich der WWF 2008 des Roten Pandas angenommen hat, waren die Tiere de facto schutzlos. Wir sind Deutschland dafür sehr dankbar, dass sich das geändert hat", versichert WWF-Büroleiterin Priya Shrestha. Jeder kleine Fortschritt ist wichtig, denn nach wie vor steht der Rote Panda auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Wir sind im Barsey-Rhododendron-Schutzgebiet im Westen Sikkims auf rund 3000 Metern Höhe. Drei Rote Pandas wurden kürzlich an zwei verschiedenen Standorten von automatischen Kameras fotografiert, die der WWF hier oben installiert hat. Rund 380 Tiere sollen momentan im Schutzgebiet leben. Denn hier sind die Lebensbedingungen für Rote Pandas ideal: mächtige Eichen, Tannen, Rhododendronbäume, Farne und als dichter Unterwuchs der Bambus, der ihnen besonders schmeckt.

Der Nebel über dem Wald schluckt alle Farben. Die Flechten und Moose, die sich über die Äste legen, sind mit Wasser vollgesogen. Plötzlich brechen Zweige. Etwas Schweres bewegt sich hoch über unseren Köpfen. Schwerer als ein Vogel, das ist gewiss. Was ist das? Wir recken die Köpfe in Richtung der Baumkronen.

"Wahrscheinlich ein Affe", spekuliert Basant Kumar Sharma vom WWF und rät zum Weitergehen. Immer wieder schlägt sich der Panda-Experte in das Bambusgestrüpp und klettert auf Bäume. Dort sucht er nach Kratzspuren oder Losungen. Er fotografiert und notiert. Viele Wochen im Jahr kontrollieren die beiden WWF-Experten die Lebensräume der Pandas. Nichts soll deren kleinen Bestand hier gefährden.


Panda-Lebensraum erhalten

Doch noch immer scheint Wilderei in Teilen ihres Verbreitungsgebietes ein Problem zu sein. Außerdem laufen Rote Pandas Gefahr, Beute herrenloser Hunde zu werden, sobald sie sich von den Bäumen wagen. Einige Dutzend dieser Streuner wurden bereits gefangen und sterilisiert. So wird deren Anzahl im Zaum gehalten. Der WWF bezahlt das. Ein größeres Problem ist der Lebensraumverlust. Seit 1971 hat sich die Bevölkerung Sikkims mehr als verdoppelt. Feuerholz fürs Heizen und Kochen wird aus dem Wald geholt. Früher wurde das Nutzvieh zur Weide in den Wald getrieben. Darunter litt der Bambus und damit der Panda. Nun ist die Waldweide, auch durch WWF-Initiative, offiziell verboten. Und eigentlich auch die Brennholzsuche in den Schutzgebieten. Doch Verbote sind nur wirksam, wenn man sie auch durchsetzen kann. Leider mangelt es an gut ausgerüsteten Wildhütern.

Im Übrigen leben die Roten Pandas nicht nur in geschützten Gebieten. Hier wie dort haben sie im regionalen WWF aufmerksame Anwälte. Aber auch Menschen, die aus Not in die Natur vordringen, brauchen Unterstützung, die der Natur letztlich wieder zugutekommt.


GLETSCHER-SCHMELZE
Hoch oben in den Bergen des Himalajas liegen die größten gefrorenen Wasserreservoirs der Erde jenseits der Polarregionen. Die großen Ströme Chinas und Indiens speisen sich aus diesen Gletschern. Doch seit Jahrzehnten taut im Sommer mehr Eis, als Niederschläge zu neuem Eis werden. Durchschnittlich 15 bis 20 Meter verlieren die Himalaja-Gletscher pro Jahr an Länge. Die Bedrohung von Mensch und Natur durch Hochwasser und Gerölllawinen steigt. TOK


Dass Tourismus nicht automatisch mit Unmengen an Müll einhergehen muss, zeigt sich in Yuksam, der alten Königsstadt in West-Sikkim. Von hier aus ziehen jedes Jahr etwa 10000 Trekking-Touristen durch den Kangchendzönga-Nationalpark in die Hochebenen des Himalajas. Bei geführten Touren ist für alles gesorgt: Zelte mit Schlafsäcken, Stühle, Tische, Verpflegung, sogar kleine Kochgelegenheiten werden zuvor von Trägern an Ort und Stelle gebracht. Köche gehören selbstverständlich mit zum Reisepersonal.

Touristen werden gerne gesehen. Sie bringen harte Währung und sorgen für Jobs. Allerdings wünscht man sich einen Tourismus, der natur- und umweltverträglich ist, denn die Natur wird als heilig betrachtet. Dass es bisher gelungen ist, sie als touristisches Kapital zu schützen, ist Initiativen wie dem Khangchendzonga Conservation Committee (KCC) zu verdanken, die der WWF nach Kräften unterstützt. Von der Politik enttäuscht, hatten sich vor rund 20 Jahren Einheimische im KCC zusammengeschlossen, um gegen die negativen Folgen des Tourismus vorzugehen: die Naturzerstörung für den Straßenbau, das Zumüllen der Landschaft oder das illegale Pflücken geschützter Heilpflanzen. Die Initiative startete mit einer Kampagne, die neue Mitstreiter brachte. Darunter waren auch Menschen, die mit Tourismus Geld verdienen, wie Köche, die Wanderer verpflegen. Zusammen mit dem WWF fanden sie Antworten auf drängende Fragen wie zum Beispiel: Womit kocht man auf einer Trekkingtour, ohne sich mit Axt und Säge am Wald zu vergreifen? Ein einfacher Brennstoff wurde entwickelt, eine Art Brikett, der aus Verpackungsabfällen besteht. Die tellergroßen "Matola" sind leicht herzustellen und zu transportieren. Ohne zu qualmen und zu stinken produzieren sie Hitze für mehr als eine Stunde. Genug für eine Mahlzeit. Die Nachfrage nach dem alternativen Brennstoff wächst, auch bei der lokalen Gastronomie. Die wiederum gibt ihre umweltsensible Haltung an die Touristen weiter. Die Idee zieht Kreise.

"Zero Waste", also kein Müll, heißt eine der Zauberformeln, über deren Umsetzung sich der WWF vor Ort den Kopf zerbricht. Was dabei herauskommt, lässt sich am Eingang des Nationalparks besichtigen. An einer Art Rezeption wird gewissenhaft darüber Buch geführt, was mitgenommen wird. Wer von seiner Tour zurückkommt, muss beispielsweise die leeren Getränkeflaschen vorzeigen, die er zuvor gefüllt mitgenommen hatte. Stolz zeigt man dem Besucher aus Europa, was mit dem Müll passiert. Der wird nämlich an Ort und Stelle gesammelt, sortiert und später zur Wiederverwertung verkauft. "Wir müssen uns noch häufiger als bisher über den Schutz der Umwelt grenzübergreifend austauschen, mit Nepal beispielsweise", bekräftigt Dr. Sandeep Tambe, ein hoher Beamter im Ministerium, der die WWF-Arbeit politisch unterstützt. Am Fuße des dritthöchsten Bergs der Erde bleibt die Natur mithilfe des WWF vom Müll verschont. Jobs sind entstanden und es bleibt sogar ein wenig Geld übrig.


VEGETATIONSZONEN DES HIMALAJAS
Die einzigartige Vegetation ist der Höhe des Gebirges zu verdanken. Die kalten Nordwinde scheitern an den Gipfeln, weshalb die Fauna und Flora im Süden von feuchtwarmer Tropenluft geprägt ist.
4500 bis 5500 Meter
Von 4500 Metern bis zur unteren Sommerschneegrenze auf 5500 Meter ziehen sich Grasmatten und Hochweiden die Hänge empor.
3300 bis 4500 Meter
Oberhalb der Nadelwaldzone dominieren Lärchen, Birken und Baumwacholder.
2800 bis 3300 Meter
Nadelwald mit den typischen Hemlocktannen
2300 bis 2800 Meter
Für die untere Vegetationszone sind die Eichen-Rhododendronwälder charakteristisch.


Dass mit Naturschutz mehr als Anerkennung zu verdienen ist, zeigt sich über 100 Kilometer weiter südlich, in Darjeeling. In diesem Distrikt des indischen Bundesstaates Westbengalen, etwas größer als das Saarland, wächst auf den Feldern der feine Schwarztee, den Kenner als den Champagner unter den Teesorten schätzen. Aber immer wieder erinnert die Natur daran, welcher Preis für den weltweiten Handel mit dem edlen Heißgetränk bezahlt werden muss. Denn wo heute der Tee angebaut wird, wuchs einst dichter Wald. Der musste der Monokultur weichen. Wenn dann in Zeiten des Monsuns die Hänge ins Rutschen kommen, wird der Umweltfrevel schmerzhaft bewusst. Erosion nennen das die Fachleute. Die Wurzeln der Bäume hielten einst die Erdkrumen zusammen, die nun bei starkem Regen ungebremst ins Tal geschwemmt werden.

Zu Besuch bei Familie Rai in Chatakpur: Seit 14 Jahren betreibt das Ehepaar in diesem kleinen Dorf eine Gärtnerei. 30.000 Baumsetzlinge vielerlei Arten verkauft es jedes Jahr an den WWF, der mit diesen Bäumchen und solchen aus 21 weiteren Baumschulen die steilen Berghänge bepflanzt. Geld für den Ankauf der Bäume erhält der WWF seit 1996 von der "Teekampagne". Das größte Teeversandhaus in Deutschland hat ein elementares Interesse daran, dass ihm die Teegärten nicht wegrutschen und Menschen und Ortschaften unter sich begraben. Auch die fürs Geschäft nötige Infrastruktur soll erhalten bleiben. Fast drei Millionen Setzlinge wurden seit Beginn des Wiederaufforstungsprojektes gepflanzt, 240 Hektar wiederaufgeforstet. Die Natur kann sich erholen.


Mit Naturschutz Geld verdienen

Die Reparaturarbeit an der Natur Darjeelings hat den WWF dort überaus populär gemacht. Schulen gehen mit dessen Mitarbeitern und Unterstützern auf Exkursion. Bei dieser Umwelterziehung entdecken Lehrer wie Schüler die zahlreichen Wunder dieser einzigartigen Natur. Und viele Menschen, wie die vierköpfige Familie Rai, verdanken dem WWF ihre Existenzgrundlage. Dass sie mit ihrer Arbeit auch einen unersetzlichen Dienst an der heimischen Natur vollbringen, erfüllt sie mit berechtigtem Stolz.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Sikkim fasziniert durch alte Kultur und üppige Natur. Rechts: unser Autor im Rhododendronwald. Im Bild unten: eine Blutfasan-Familie
  • Beispielhaft: Abfalltrennung ist ein wichtiges Thema - und geht auch mit einfachen Mitteln.
  • Hüter der Natur: Im Kangchendzönga-Nationalpark haben sich Bewohner zu einer Initiative zusammengeschlossen, um die Natur ihrer Bergwelt vor den negativen Folgen des Tourismus zu schützen.
  • Wald von morgen: Familie Rai züchtet in ihrer Gärtnerei die Setzlinge, die der WWF an den Berghängen anpflanzt.

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Quelle:
WWF Magazin 3/2014, Seite 12-18
Herausgeber:
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Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2014