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PROJEKT/124: Mit wilden Tieren leben lernen (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Frühjahr 2020
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Armenien
Mit wilden Tieren leben lernen

von Marco Philippi


Naturschutzarbeit bedeutet meist, die Natur vor schädlichen Einflüssen durch den Menschen zu bewahren. Mancherorts sind jedoch Wölfe, Bären oder Leoparden eine Bedrohung für die Existenz der Menschen. Der NABU versucht vor Ort zu vermittteln.


In Tansania zertrampelt eine Elefantenherde ein Melonenfeld, in Brasilien erbeutet ein Jaguar eine Kuh, in Pakistan überwindet ein Schneeleopard einen Weidezaun und tötet gleich ein Dutzend Schafe. Konflikte zwischen Menschen und wilden Tieren bestehen an vielen Orten auf der ganzen Welt und haben eines gemeinsam: Für die Wildtiere enden sie tödlich, wenn sich die Menschen nicht anders zu helfen wissen, um sich und ihren Besitz zu schützen.

Weil der Mensch sich so gut wie überall auf der Erde ausbreitet und natürliche Lebensräume knapper werden, nehmen diese Konflikte zu - und sind sowohl für den Naturschutz als auch für die Armutsbekämpfung eine ernst zu nehmende Herausforderung geworden. In Nationalparks und anderen Schutzgebieten können sich wilde Tiere frei entfalten, während außerhalb der Gebiete die Siedlungen wachsen und die Landnutzung intensiver wird. Da sich Tiere aber nicht an die Grenzen der Schutzgebiete halten, kommt es gerade dort häufig zu Konflikten.

Existenzen in Gefahr · Lusine Aghajanyan, Biologin und Projektleiterin in der armenischen NABU-Filiale in Jerewan, kennt diese Probleme aus ihrer täglichen Arbeit. "Viele Kleinbauern und -bäuerinnen in den abgelegenen Bergregionen Armeniens sind sehr arm - oft besitzen sie nur eine Handvoll Tiere, weshalb ein Angriff durch ein Raubtier die Existenz einer ganzen Familie bedrohen kann", berichtet sie.

"Weil den Menschen die Mittel fehlen, um ihre Tiere und Felder zum Beispiel durch geeignete Zäune wirksam zu schützen, sehen wir es als eine wichtige Aufgabe für uns, sie dabei zu unterstützen. Sonst riskieren wir die Akzeptanz für den Schutz der wilden Beutegreifer in der Bevölkerung. Oder sogar, dass die Bauern oder Bäuerinnen den Wildtieren, durch die sie sich bedroht sehen, selber nachstellen und sie töten", so Aghajanyan weiter.

Rückkehr von Bär und Leopard · Armenien, ein kleines, bergiges Land im Kaukasus, nordöstlich der Türkei gelegen, beheimatet eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt und atemberaubende Berglandschaften. Durch unkontrollierte Landnutzung und illegale Jagd sind jedoch in der Vergangenheit besonders die großen Säugetiere in Bedrängnis geraten und konnten oft nur in unzugänglichen Gegenden überleben.

Doch in den vergangenen zehn Jahren hat der Naturschutz in Armenien wichtige Erfolge gefeiert. Durch die Ausweisung von Schutzgebieten und die intensive Bekämpfung der Wilderei nehmen zum Beispiel die Bestände bedrohter Großraubtiere wie Braunbären wieder zu. Auch der extrem seltene Persische Leopard erobert sich Stück für Stück seinen einstigen Lebensraum zurück. Doch die Rückkehr dieser Tiere geht auch mit vermehrten Konflikten einher.

Insbesondere dort, wo ihre natürlichen Beutetiere fehlen, reißen Leoparden gelegentlich Schafe oder Rinder. Auch Wölfe, Luchse und kleinere Raubtiere wie Schakale und Füchse stellen eine Bedrohung für Nutztiere dar. Braunbären dagegen reißen nur gelegentlich Schafe, plündern aber häufig Bienenstöcke oder Obstplantagen.

Nicht nur Wilderei bekämpfen · "Neue Schutzgebiete und der Kampf gegen die Wilderei sind wichtige Maßnahmen zur Rettung bedrohter Tiere. Um diese Erfolge langfristig zu sichern, ist es jetzt notwendig, ein friedliches Miteinander zwischen Mensch und Natur zu schaffen. Das wurde in den letzten Jahren leider vernachlässigt", sagt Lusine Aghajanyan.

Viele Menschen in den ländlichen Regionen fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen.

Zusammen mit dem Team aus der NABU-Filiale in Armenien erforscht Aghajanyan die Mensch-Wildtier-Konflikte im Land. Dabei ist es wichtig, das Verhalten wilder Tiere zu untersuchen, um zu verstehen, unter welchen Bedingungen sie Konflikte verursachen - doch das ist nicht ausreichend. "Wir müssen auch die menschliche Seite der Konflikte verstehen", sagt die Biologin.

Von der Regierung im Stich gelassen? · Ob Menschen wilde Tiere in ihrem Umfeld dulden, hängt von vielen Faktoren ab. Neben offensichtlichen Fragen wie der Höhe des Schadens spielen dabei auch subtilere Themen wie die Angst vor bestimmten Tieren oder die Einstellung zur Natur eine Rolle. Manchmal ist der Unmut über Mensch-Wildtier-Konflikte auch Ausdruck tiefergehender Mensch-Mensch-Konflikte. "Viele Menschen in den ländlichen Regionen Armeniens fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Das kann auch dazu führen, dass die Menschen sich über die von der Regierung geschützten Bären oder Leoparden beschweren - auch in Fällen, in denen der reale Schaden gar nicht so groß ist", erklärt Aghajanyan.

Der NABU setzt deshalb am Menschen an und auf bewährte Methoden: Maßnahmen für den Schutz von Nutztieren wie raubtiersichere Zäune und Herdenschutzhunde, begleitet von Beratung und Umweltbildung, sollen nun in Armenien zur friedlichen Koexistenz von Mensch und Tier beitragen.


Lusine Aghajanyan ist Biologin und Projektleiterin in der NABU-Filiale in Armenien. Konflikte zwischen Menschen und wilden Tieren sind ein Schwerpunkt ihrer Arbeit.

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Reise - Dem Ruf der Großkatzen folgen

NABU und Biosphere Expeditions suchen Teilnehmer*innen für Armenien-Expedition. Sie lieben die Wildnis und haben Lust auf ein Abenteuer? Dann begleiten Sie uns auf eine Artenschutzexpedition in die raue Bergwelt Armeniens. Die Expedition führt Sie in die entlegenen und artenreichen Khustup-Berge im Süden des Landes, wo seltene Leoparden, Luchse und Bären zu Hause sind. Angeleitet und betreut von wissenschaftler*innen und einer Expeditionsleitung haben Sie erstmals die Chance, die raue Bergwelt hautnah zu erleben und seltene Großkatzen aktiv zu schützen.

Info: www.biosphereexpeditions.org/armenia

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Quelle:
Naturschutz heute - Frühjahr 2020, Seite 22 - 24
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2020

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