Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

RESSOURCEN/019: Niger - Uranabbau vergiftet Mensch und Umwelt (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 113/2.2012

Niger: Uranabbau vergiftet Mensch und Umwelt
"Jede zweite Glühbirne in Frankreich brennt mit nigrischem Uran..."

von Claudia Frank



... sagte Amadou Marou, damals Aktivist in einer zivilgesellschaftlichen Organisation, heute nigrischer Justizminister, im Mai 2009 in einem Gespräch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Bonn. Die Uranvorkommen im Niger werden seit 1968 abgebaut. Die nigrische Jahresproduktion soll von derzeit 3.300 Tonnen auf 8.000 bis 10.000 Tonnen steigen. Niger rangiert damit unter den weltweit größten Exporteuren, auf dem fünften Platz nach Kasachstan, Kanada, Australien und Namibia. Im Niger wird Uranerz im Tagebau und Untertage abgebaut. Die beiden Firmen Somaïr und Cominak sind Töchter der staatseigenen französischen GOGEMA - heute AREVA Gruppe. Nördlich der Stadt Agadez entstanden neben den beiden Tagebauen zwei Bergarbeiterstädte: Arlit, zuvor eine Wasserstelle am Rande der Sahara, und Akokan. Mitte der 70er Jahre beschäftigten die Somaïr und die Cominak 4.400 Bergarbeiter, von deren Einkommen 100.000 Menschen lebten. Das Uranerz wird in zwei Produktionsanlagen verarbeitet, in Fässer gefüllt und auf dem Landweg 1.000 Kilometer in den Süden Nigers transportiert. Auf der einzigen asphaltierten Straße geht es von Arlit über Agadez, Dosso nach Benin. Das Ziel ist der Überseehafen von Cotonou. Die Fässer werden dort eingeschifft und nach Comurhex in Frankreich exportiert. Seit 2007 gibt es neben AREVA internationale Investoren wie die kanadische Global Uranium Corporation und die chinesische SinoU, die Lizenzen zur Erforschung und Ausbeutung von Uranvorkommen erhalten haben. AREVAs Monopol ist gebrochen.

AREVA über AREVA

"World leader in Nuklearenergie und das einzige Unternehmen, das alle industriellen Aktivitäten in diesem Sektor abdeckt", so AREVA über AREVA. Die Unternehmensgruppe hat ihre historisch hervorragenden Kontakte in die französische Politik genutzt, um Bedingungen für den industriellen Abbau von Uranerz zu verhandeln, die jahrzehntelang zu einer hohen Rentabilität beitrugen. Frankreich ist der Hauptimporteur nigrischen Urans. Zwei Drittel des Urans verkaufte AREVA an Frankreich, ohne dass die Nigrer die Preiskalkulationen kannten. Frankreich profitierte, indem es das nigrische Uran weit unter Weltmarktpreis kaufte. Die nigrische Führungsriege wurde in dem Maße unterstützt, wie sie an diesem Status Quo festhielt. Hamani Dion, damaliger nigrischer Präsident, stürzte 1974 im Kontext schwieriger Verhandlungen zwischen AREVA und Niamey. Die Verträge mit AREVA sollten 2008 auslaufen. Bei den Verhandlungen zur Vertragsverlängerung gelang Präsident Tandja eine 50-prozentige Erhöhung des Uranpreises von 22 auf 40 US$ pro ,Pound'. Das war zwar ein historischer Erfolg, aber der Preis lag immer noch weit unter dem Rekordpneis für Uran von 136 US$ im Juni 2007. Im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss erhielt Präsident Tandja Waffenlieferungen aus Paris. AREVA bekam im Gegenzug den Zuschlag für den Uranabbau in Imouraren.

Uranvorkommen in Nordniger
Arlit: Tagebau 7 km nordwestlich der Stadt, 3-3,5 kg Uranerz/t, Vorkommen in 35-80 m Tiefe, Jahresproduktion 1.277 t, seit 1968 42.000 t total
Akouta: 6 km südwestlich von Arlit, Untertage in 250 m Tiefe, 4,5-5 kg Uranerz/t, 250 km Stollen, Jahresproduktion 2.000 t, seit 1974 52.000 t total
Imouraren: 100 km südlich von Arlit, Vorkommen in 100-160 m Tiefe, seit 2007 geschätzt 100.000 t total
Teguidan-Tessoumt: China National Nuclear Corporation (CNNC), Tochter SinoU, 12.000 t total
Assaouas: 60 km südwestlich von Agadez, Brighton Energy, in der Erforschung
Armut

Die untragbare Situation in den Minen von Arlit und Akokan konnte auch deshalb entstehen, weil Niger der einstigen Kolonialmacht Frankreich wenig entgegen zu setzen hatte. Inzwischen hat sich das Machtverhältnis geändert. Dennoch gehört Niger immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Chance, im Niger Schreiben und Lesen zu lernen, liegt bei 28,7 Prozent. 90 Prozent der NigrerInnen leben von der Subsistenzwirtschaft. Sie sind Kleinbauern oder Viehhalter. Der nigrische Staat hat nur in den Bergbau investiert. 74 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Export von Rohstoffen. AREVA ist der größte private Arbeitgeber.

Für die Menschen bringt das wenig. Sie kämpfen in 2012 mit einer strukturellen Ernährungskrise, von der die Sahelzone betroffen ist. Das Vieh stirbt und der Zukauf von Getreide ist für viele unerschwinglich. Diejenigen, die einen Job bei AREVA oder den chinesischen Investoren haben, werden ihre Verwandten unterstützen können. Aber auch bei ihnen wächst der Unmut über die fortschreitende ökologische Zerstörung und den fehlenden Respekt für ihre Kultur. Hier stimmen sie mit den Tuareg überein, die sich 2007 erneut für die bewaffnete Auseinandersetzung entschieden hatten. Eine ihrer zentralen Forderungen ist die Beteiligung an den Einnahmen aus dem Export des Urans und Investitionen in der Förderregion im Norden des Niger. Auch pochen sie auf ihr Recht zu entscheiden, welche Investoren zu welchen Bedingungen Ressourcen auf ihrem Land abbauen. Es gab Zwischenfälle mit AREVA und der Erdölfirma China National Petroleum Corporation (CNPC) im Niger. Für die Entführung von sieben AREVA-Mitarbeiterlnnen 2010 hat Al Qaeda im Maghreb die Verantwortung übernommen. Das nigrische Gesetz, das seit Anfang des Jahres 2012 den Bergbau-Kommunen 15 Prozent der Einnahmen zusichert, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

AREVA im Niger
Abbau des Uranerzes, Verarbeitung Uranat/Yellow Cake, Transport und Export
Tochterfirmen im Niger
Société des Mines de l'ATR (Somaïr) 1968; COmpagnie MINière d'Akouta (Cominak) 1974; Imouraren, S.A. 2007
Entwicklungsmaßnahmen
1.700 Arbeitsplätze, Einkommen für 100.000 Menschen in den Bergarbeiterstädten Arlit und Akokan, Wasserversorgung, Stromversorgung über Kohlekraftwerk (15% der Energie für die urbane Versorgung, 85% für industrielle Nutzung), Straßenbau (Arlit-Dosso-Cotonou), Gratis-Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern von Arlit und Akokan
Pressemappe zur Partnerschaft zwischen AREVA und Niger:
http://www.areva.com/mediatheque/liblocal/docs/pdf/activites/mines/pdf-dp-areva-niger-2011.pdf
Soziale und ökologische Folgen des Uranabbaus

Die Auswirkungen des Uranabbaus in Arlit und Akokan wurden den Angestellten und der Öffentlichkeit über 30 Jahre verheimlicht. Dies änderte sich erst als nigrische Angestellte von Somaïr 2001 die Nichtregierungsorganisation Aghirin'man gründeten, weil die vermehrt auftretenden gesundheitlichen Probleme und Todesfälle die Bergarbeiter und ihre Familien beunruhigten. Unterstützung erhielten sie aus Frankreich: 2003 bis 2005 fuhren Mitarbeiter des Labors für Nuklearphysik (Criirad) und der Anwaltsorganisation Sherpa mehrmals in den Norden des Nigers. Criirad nahm Trink- und Nutzwasserproben und maß Strahlungen in Arlit und Akokan. Sherpa interviewte Bergarbeiter, ehemalige Angestellte und Ärzte. Die Ergebnisse dokumentieren die Auswirkungen des Uranabbaus für die Bevölkerung und die Umwelt. Der Boden, das Grundwasser sowie die Luft sind radioaktiv belastet. Drei Beispiele sollen verdeutlichen, wie die Unternehmen ihre Verantwortung systematisch verweigern.

Beispiel 1: Die Wasserversorgung in Arlit erfolgt über das Abpumpen fossiler, nicht erneuerbarer Grundwasserschichten aus 150 Meter Tiefe. Eine Pumpstation versorgt über zwei Kreisläufe die industriellen Anlagen und die Städte. Das Wasser wird in den Produktionsanlagen zur Extraktion des Uranerzes verwendet und zum Bewässern der staubigen Pisten. Messungen von Criirad haben ergeben, dass die radioaktive Belastung des Wassers in der industriellen Zone bei 10bq/l und in der städtischen Zone bei 1 bq/l liegt. Die Werte liegen 110- bzw. 10-mal höher als die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erlauben. Criirad und Sherpa haben AREVA aufgefordert, die genaue Ursache der Kontaminierung des Wassers zu untersuchen.

Beispiel 2: Die gravierendsten Versäumnisse im Arbeitsschutz geschahen bis Mitte der 80er Jahre. Die Bergarbeiter trugen keine Arbeitskleidung, keine Atemschutzmasken, keine Handschuhe, selten Dosimeter. Ihre private Kleidung nahmen sie abends zum Waschen mit nach Hause. Dort begrüßten sie zuerst ihre Kinder und duschten anschließend. Dies berichtete ein Angestellter im Interview den Anwälten von Sherpa. Arbeitssicherheit betraf zuerst die Produktion und die Werkzeuge. Bis heute sind der Arbeitsschutz und der Einsatz von Dosimetern lückenhaft. Die Recherchen von Sherpa ergaben zudem, dass Angestellten und ihren Familien, die im Laufe der Zeit erkrankten, im Falle von Lungenkrebs die Diagnose nicht mitgeteill wurde. Verfügten sie nach Einschätzung des Arztes über die finanziellen Mittel für eine Bestrahlung oder Chemotherapie, wurden sie über die Behandlungsmöglichkeiten informiert.

Beispiel 3: Die Criirad dokumentierte bei ihren Untersuchungen den ungeregelten Verkauf radioaktiv belasteter Altmetalle aus dem Bergbau. Fässer, Motoren und Rohre werden zum Hausbau, als Herd oder Sitzmöbel verwendet. Die Aufnahme radioaktiver Partikel über die Atemwege (Staub) oder die Nahrungsaufnahme durch diese Altmetalle, den Tagebau in Arlit, die Lagerung des radioaktiven Abraums und der hoch radioaktiven Abfallprodukte der Uranproduktion unter freiem Himmel stellen enorme gesundheitliche Risiken für die Bevölkerung dar. Sherpa kam in seiner Kritik an AREVA zu ähnlichen Ergebnissen: Das Unternehmen setzt die Bevölkerung ungerechtfertigten Strahlendosen aus. Die internationalen Prinzipien des Strahlenschutzes werden nicht eingehalten. Die Unternehmensgruppe informiert falsch. Seit 2001 wurden die Missstände in Arlit und Akokan öffentlich gemacht. Die erste Entsorgung kontaminierter Altmetalle in 2005 wäre ohne diese Öffentlichkeit nicht zustande gekommen. Aufgrund des öffentlichen Drucks und der Arbeit von Sherpa ist 2011 mit Zustimmung von AREVA ein Gesundheitszentrum für Bergarbeiter und ihre Familien eingerichtet worden. Allerdings leugnet AREVA in der Pressemitteilung zur Einrichtung des Gesundheitszentrum den Zusammenhang zwischen dem Uranabbau und den Erkrankungen. Daher sind die Erwartungen an diese Initiative gemischt.

Eine umfassende Studie zu den ökologischen Schäden und von deren Ursachen ist dringend notwendig. Damit sie zustande kommt, braucht es die Unterstützung der Bundesregierung, dem BMZ und der deutschen Zivilgesellschaft.

Claudia Frank ist Koordinatorin der AG Tschad, zu der Misereor, Brot für die Welt und das Team Menschenrechte der Diakonie gehören, sowie die Menschenrechts- und Umweltorganisationen Amnesty International, urgewald und EIRENE International sowie das Forschungszentrum BICC (Bonn International Center for Conversion), www.erdoel-tschad.de

*

Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 113/2.2012, Seite 24-26
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Rosa-Luxemburg-Str. 24, 16303 Schwedt
Tel.: 03332/2520-10, Fax: 03332/2520-11
E-Mail: magazin@robinwood.de
 
Magazin zu beziehen über:
Robin Wood e.V. Bremen, Geschäftsstelle
Postfach 10 21 22, 28021 Bremen
Tel.: 0421/59 828-8, Tel.: 0421/59 828-72
E-Mail: info@robinwood.de
Internet: www.robinwood.de
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012