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WALD/094: Kolumbien - Die Waldgärten von Las Gaviotas, Chance für nachhaltige Landnutzung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. April 2012

Kolumbien: In den Waldgärten von Las Gaviotas - Biologische Vielfalt als Chance für nachhaltige Landnutzung

ein Gastbeitrag von Haiko Pieplow *



Berlin, 4. April (IPS) - Der Verlust der Wälder hat Auswirkungen auf unseren gesamten Planeten. Wälder haben eine bedeutende Funktion für den Wasser- und Kohlenstoffkreislauf. Die Wälder speichern nicht nur große Mengen an Kohlenstoff, sie bieten auch dem Menschen und unzähligen Tierarten Nahrung, Energie, Baumaterial und Lebensraum. Sie stabilisieren das Wetter und den Rhythmus der Niederschläge und das nicht nur in den Tropen. Die Verdunstung der Bäume gleicht Temperaturschwankungen aus.

Die Wälder sind unendlich viel wertvoller, als dass sie nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden sollten. Wo die Wälder vernichtet werden, verlieren auch die Menschen ihre Einkommens- und Lebensgrundlagen. Die Ortschaft Las Gaviotas ('Die Möwen') im Bezirk Vichada in der Orinoco Savanne im Osten Kolumbiens ist so ein Beispiel. Die aus Europa kommenden Siedler hatten dort mit der Eroberung der neuen Welt den Regenwald für ihre Rinderzucht gefällt und die Ureinwohner vertrieben. Ohne Bäume verarmten Dorf und Umland zu einer menschenleeren Ödnis. Der Boden schien nichts mehr wert zu sein.

Heute kann man an Las Gaviotas sehen, dass es möglich ist, eine vom Menschen verwüstete Region mit Hilfe der Natur wieder in einen wirtschaftlich ertragreichen Regenwald umzuwandeln. Las Gaviotas hat auch die von Gunter Pauli gegründete 'Zero Emission Research Initiative' (ZERI) inspiriert und gilt als ein Beispiel für die 'Blue Economy'


Wälder regeneriert

Als der Kolumbianer Paolo Lugari 1984 mit der Vision nach Las Gaviotas kam, aus einer heruntergewirtschafteten Region wieder einen lebenswerten Ort zu machen, hielten ihn viele für einen Träumer. Zehn Jahre später waren bereits 5.000 Hektar aufgeforstet, derzeit sind es 8.000, und es sollen einmal 100.000 Hektar werden. Für die meisten etablierten Wissenschaftler war das ein Ding der Unmöglichkeit.

Heute leben in Las Gaviotas wieder 200 Familien mit einer gesunden Zukunftsperspektive. Das Anpflanzen von Bäumen brachte den Regenwald mitsamt seiner biologischen Vielfalt zurück. Die Böden haben sich regeneriert, speichern Kohlenstoff und sorgen wieder für ausreichend sauberes Wasser.

Vermittelt durch Gunter Pauli und Nuria Costa von den '1.000 FriedensFrauen Weltweit' haben sich Mitarbeiter der Universität San Gil, des Instituts für angewandtes Stoffstrommanagement vom 'Zero Emission Campus Birkenfeld' in Rheinland-Pfalz und ich im Informationszentrum von Las Gaviotas in Bogotá getroffen und sind anschließend in die Region San Gil weitergereist.

Die Kleinstadt San Gil liegt 400 Kilometer nordöstlich von Bogotá im Bezirk Santander, in einem auch für den Tourismus attraktiven Kaffeeanbaugebiet. Die Hochschule von San Gil entwickelt in ihrer Region Vorhaben im Sinne einer solidarischen Ökonomie und hat in den letzten Jahren mit lokalen Frauenkooperativen sehr erfolgreiche Projekte begleitet.

Paolo Lugari, ein charismatischer Erfinder und der Gründer von Las Gaviotas, erklärte mit einfachen Worten, warum der Regenwald zurückgekehrt ist: Unter der tropischen Sonne heizt sich der Boden extrem auf, wenn die schützende Vegetationsdecke fehlt. Wenn die Bodentemperatur höher ist als die der Luft, verdunsten die Niederschläge, ohne in den Boden eindringen zu können. Dadurch ist für die meisten Pflanzen zu wenig Wasser vorhanden. Bei heftigen Niederschlägen kann es zu verheerenden Erosionen kommen. Die Versteppung schreitet voran und es können sich wüstenartige Landschaften bilden.

Die Karibische Kiefer konnte als Initialpflanzung den extremen Bedingungen in Las Gaviotas trotzen. Sobald sie etwas Schatten spendeten, wurde der Boden kühler und feuchter und der Regenwald kam mit seiner Vielfalt zurück. Samen, die im Boden ruhten oder von Vögeln mitgebracht wurden, konnten wieder keimen.


250 Baumarten

Heute gibt es in Las Gaviotas wieder 250 Baumarten. Die versiegten Quellen begannen erneut zu fließen. In speziellen Flaschen, die auch zum Bauen benutzt werden können, wird Trinkwasser nach Bogotá verkauft. Der Harz der Karibischen Kiefer dient inzwischen zur Herstellung von Treibstoff und als Rohstoff für die Farb- und Papierindustrie. In Las Gaviotas wird nun auch wieder das Wissen der Indigenen genutzt. So kommt seit 20 Jahren zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit in den Gemüsebeeten Pflanzenkohle zum Einsatz, die aus den reichlich vorhandenen Holzresten selbst hergestellt wird.

Wiederaufforstung ist auch für die Universität San Gil ein wichtiges Thema. Gemeinsam mit einer Fraueninitiative entsteht in Barichara, unweit von San Gil, seit drei Jahren ein neuer Wald. Das Projekt wird durch private Mittel finanziert. Die Frauen nutzen das Wissen der lokalen Bevölkerung, welche Bäume am besten wachsen. Sie legten die in der Region typischen Wasserrückhaltebecken an. Schülerpatenschaften übernehmen das Pflanzen und die Pflege der Bäume mit dem Effekt, dass verlorengehendes Wissen wieder praktisch vermittelt werden kann. Durch die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort sind die Kosten für die Baumsetzlinge sowie die Ausfälle an neu gepflanzten Bäumen sehr gering. Die Erfahrungen von Las Gaviotas und Barichara können sich gegenseitig befruchten und auch für andere Projekte interessant werden.

Rund um San Gil gibt es noch viele Waldgärten. Kaffee wird dort meist in kleinen Betrieben unter Schirmbäumen mit Papaya, Zitrusfrüchten, Maniok, Mais und Bohnen angebaut. Etwa zehn Kilometer von San Gil entfernt produzieren Isabel und Thomas García auf ihrer 30 Hektar großen Ökofarm Kaffee und Kakao. Durch die biologische Vielfalt in ihren Waldgärten können sie auf Pestizide vollständig verzichten. Seit einigen Jahren stellen sie aus den organischen Abfällen ihres Betriebes Bokashi (fermentiertes organisches Material) her, das insbesondere zur Düngung der Kaffeebäume genutzt wird. Effektive Mikroorganismen werden ebenfalls für die unterschiedlichsten Zwecke eingesetzt.

Von der Wirkung von Pflanzenkohle haben sie durch Mitarbeiter der Uni San Gil gehört, die nach einem Terra-Preta-Seminar mit mir erste praktische Erfahrungen gesammelt haben. Die Garcías werden gemeinsam mit der Uni San Gil beginnen, bei der Herstellung von ihrem Bokashi auch Pflanzenkohle einzusetzen. Die Pflanzenkohle könnte aus den ausreichend verfügbaren Holzresten im eigenen Betrieb hergestellt werden. Weiterhin könnte sie auch helfen, Geruchsprobleme bei der Behandlung von Abfällen aus der Kaffeeproduktion zu beseitigen.


Aus kolumbianischen Erfahrungen lernen

Eine interessante Herausforderung wird es sein, die Erfahrung aus den Projekten in Kolumbien auch in Mitteleuropa nutzbar zu machen. Dafür war auch Bernd Neugebauer bereits in San Gil. Bernd Neugebauer hat nach dem Vorbild der Waldgärten der Maya in Yucatán in Mexiko einen landwirtschaftlichen Betrieb aufgebaut. Er verfügt über eigene Erfahrung bei der Herstellung von Terra Preta und berät seit 20 Jahren deutsche und lateinamerikanische Akteure, die nachhaltige Projekte umsetzen wollen. (Ende/IPS/kb/2012)

* Der deutsche Terra-Preta-Pionier Dr. Haiko Pieplow, Mitglied des Netzwerks von ZERI, gehört zu den kreativsten Vordenkern für die Umsetzung geschlossener Stoffkreisläufe in urbanen und semiurbanen Räumen. Er hatte einen entscheidenden Anteil daran, dass in Deutschland der Einsatz von Pflanzenkohle inzwischen mehrheitlich von der Biologie her gesehen wird.

Terra Preta ist der portugiesische Name für jene legendäre, ebenso langlebige wie fruchtbare 'Schwarzerde' aus dem Amazonas, die vor Ankunft der spanischen Kolonisatoren üppige Gartenstädte mit Hunderttausenden von indigenen Einwohnern ernährte.


Links:
http://www.zeri.org
http://www.blueeconomy.de
http://www.1000peacewomen.org
http://www.xina.de

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. April 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2012