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WALD/148: Brasilianischer Regenwald - Bedrohtes Paradies (Securvital)


Securvital 2/2014 - April-Juni
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Brasilianischer Regenwald
Bedrohtes Paradies

Von Norbert Schnorbach



Der Amazonas ist ein Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen. Abholzung, Besiedlung und Industrialisierung gefährden eines der letzten großen Urwaldgebiete.


Sie sind springlebendig, etwa so groß wie Katzen und sie haben einen leuchtend roten, buschigen Schwanz. Trotz ihres auffälligen Aussehens hat die Wissenschaft noch nie Notiz von diesen Affen genommen, die in einer entlegenen Region des brasilianischen Amazonasgebietes leben. Ein Forscherteam des WWF (World Wide Fund For Nature) hat sie bei einer Expedition in den tropischen Urwald südlich von Manaus 2010 erstmals fotografiert und ihnen den Namen "Feuerschwänzige Springaffen" gegeben.

Die Springaffen sind ein Beispiel für die Geheimnisse, die der Amazonas-Urwald bis heute birgt. Jedes Jahr werden dort etwa 100 Tier- und Pflanzenarten neu entdeckt. Darunter waren in den letzten Jahren farbenprächtige Orchideen, Vögel und zahlreiche Schlangen und Amphibien wie etwa ein Pfeilgiftfrosch, der so klein ist wie ein Fingernagel. Auch bislang unbekannte Fische wie zum Beispiel eine neue Art aus der Familie der Piranhas. Zwar gelten die Piranhas gemeinhin als blutrünstig, doch diese neu entdeckte Art lebt vegetarisch und ernährt sich von Algen.

Tukane und Jaguare

Das Amazonasbecken ist einzigartig auf dem Globus: Hier wächst der größte zusammenhängende tropische Regenwald, größer als die gesamte Fläche aller EU-Länder. Es ist das artenreichste Biotop der Welt. Nirgends sonst findet man eine solche biologische Vielfalt. Ein Zehntel aller Pflanzen- und Tierarten lebt hier. Der wasserreichste Fluss der Erde mit seinen 1.000 Nebenflüssen prägt ein Ökosystem, das als die überlebenswichtige "grüne Lunge" unseres Planeten gilt.

Doch das Paradies ist gefährdet. Die Feuerschwänzigen Springaffen leiden unter der gleichen Bedrohung wie die seltenen Flussdelfine, die Jaguare, die bunten Tukane mit den riesigen Schnäbeln und die meisten anderen Tiere im Amazonasgebiet: Ihr Lebensraum schwindet. Der Mensch macht ihnen den Platz zum Leben streitig. Die Waldflächen werden von Jahr zu Jahr kleiner. Straßen, Dörfer, Rinderweiden und Sojafelder breiten sich aus. Industrieansiedlungen und Goldsucher vergiften die Flüsse mit Chemikalien, und immer mehr Nebenflüsse des Amazonas werden mit Staudämmen reguliert.

Der Kreislauf des Wassers prägt das gesamte Leben im Amazonasbecken mit seinen Flüssen, Waldgebieten und Sümpfen. Sie nehmen gewaltige Mengen Regenwasser auf und geben gleichzeitig Wasserdampf in die Atmosphäre zurück. Schwindet die Natur, geraten die Kreisläufe irgendwann aus dem Gleichgewicht. Zwei Mal schon in den vergangenen zehn Jahren gab es unerwartete Dürren mit riesigen Waldbränden. "Weitere Entwaldungen könnten der Auslöser sein für eine großflächige und vielleicht nicht mehr umzukehrende Zerstörung", fürchtet der WWF.

Die Umweltschützer arbeiten gemeinsam mit internationalen Partnern und der brasilianischen Regierung an einem Zehn-Jahres-Programm, um insgesamt 500.000 Quadratkilometer im Amazonasgebiet als Schutzgebiete auszuweisen. Das soll nicht nur Tieren und Pflanzen zu Gute kommen, sondern insbesondere auch den 30 Millionen Menschen, die im Amazonasgebiet leben.

Die brasilianische Regierung sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie ökonomischen Interessen den Vorrang gibt. Die wachsende Bevölkerung braucht Arbeit. Die Agrarlobby will mehr Wald roden und Orangen, Palmöl und Soja für den Export anbauen. Die Industrie fordert weitere Wasserkraftwerke am Amazonas und Stromtrassen quer durchs Land zu den großen Industriegebieten. "Ordem e Progresso" (Ordnung und Fortschritt) lautet das Motto der Regierung.

Brasilien als aufstrebender Wirtschaftsmacht (und Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2014) hat einen Energieverbrauch, der in rasantem Tempo steigt. Der größte Teil des Strombedarfs wird durch Wasserkraft gedeckt. Im Amazonasgebiet ist diese Energiegewinnung nach Einschätzung von Umweltschützern nicht so sauber, wie es auf den ersten Blick scheint. Riesige Tropenwaldflächen werden abgeholzt und dann geflutet, tausende Menschen müssen umsiedeln und seltene Tiere verlieren ihren Lebensraum. "Stauseen setzen gerade in den Tropen klimaschädliche Treibhausgase in großem Maße frei", meint die Initiative "Pro Regenwald". Günstig sei die Wasserkraft in diesem Fall nur, wenn die Kosten der sozialen und ökologischen Folgen nicht eingerechnet werden.

400 weitere Wasserkraftwerke sind geplant oder bereits im Bau. Die Auswirkungen sind immens: Die geplanten Stauseen sind zum Teil größer als der Bodensee. Auch unterhalb der Staumauern leidet der verbleibende Wald. Ihm drohen Austrocknung und Waldbrände wegen des sinkenden Wasserspiegels.

Fast alle Flüsse, die vom Süden her zum Amazonas führen, sind schon jetzt durch Stauseen und Staudämme unterbrochen. Neue Projekte kommen dazu. Die größte Baustelle ist das umstrittene Riesenkraftwerk Belo Monte am Rio Xingu, dem bedeutendsten Nebenfluss des Amazonas. 18.000 Arbeiter bauen seit drei Jahren an dem gigantischen Staudamm. 2015 soll die Energieproduktion beginnen. Vier Jahre später soll das Kraftwerk dann mit voller Kraft Strom erzeugen - angeblich so viel wie elf Atomkraftwerke.

Mehr Solarkraft

Bisher besitzt Brasilien nur ein einziges Atomkraftwerk. Das soll auch so bleiben, meinen die Umweltschützer. Sie haben deshalb nicht das Ziel, alle neuen Wasserkraftwerke zu verhindern. "Wichtig ist aber, dass der Bau der Kraftwerke umweltverträglich geschieht und Standorte nach Umwelt- und Sozialgesichtspunkten ausgewählt werden", meint Dirk Embert vom WWF. Außerdem sollte Brasilien in Zukunft das ungenutzte Potential von Wind- und Solarenergie als Alternativen zu den Wasserkraftwerken ausschöpfen.

Die offizielle Linie der brasilianischen Regierung lautet, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Abstimmung mit den Umweltzielen gesteuert werden soll. Für die Feuerschwänzigen Springaffen kann das eine Frage des Überlebens sein. Die bisher entdeckten Tiere leben in einem einzigen, kleinen Gebiet im Einzugsbereich zweier Flüsse südlich des Amazonas. Ihnen droht das gleiche Schicksal wie ihren kurz vorher entdeckten Verwandten weiter nördlich, im kolumbianischen Amazonasgebiet. Dort fanden Biologen am Rio Caqueta ebenfalls eine neue Springaffenart. Von den Caqueta-Springaffen leben insgesamt nur noch etwa 250 Tiere. Sie gehören - kaum entdeckt - auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 32:
Ein Bunttukan am Amazonas. Die Vögel benötigen große, alte Bäume für ihre Bruthöhlen.

Abb. S. 33 Mitte:
Erstmals fotografiert - Die Feuerschwänzigen Springaffen leben in einer ökologischen Nische, einem kleinen Waldgebiet zwischen zwei Nebenflüssen des Amazonas.

Abb. S. 33 unten:

Nur noch selten zu sehen: Ein junger Mohrenkaiman.

Abb. S. 34 oben:
Der Amazonas - Mit fast 1.000 Nebenflüssen und einer Länge von 6.400 Kilometer ist der Amazonas der mit Abstand wasserreichste Fluss der Erde. Das Amazonas-Becken beherbergt das größte und artenreichste Regenwaldgebiet der Tropen. Es ist fast 18 Mal so groß wie Deutschland. Allerdings sind 20 Prozent des Urwalds bereits abgeholzt, weitere 20 Prozent stark gefährdet. Die Urwaldzerstörung geht weiter: Jährlich werden nach Angaben der brasilianischen Regierung etwa 6.000 Quadratkilometer gerodet. Das entspricht einer Fläche von 2.300 Fußballfeldern - pro Tag! Nach vorübergehendem Rückgang hat die Abholzungsrate im vergangenen Jahr sogar wieder zugenommen.

Abb. S. 34 unten:
Massiver Eingriff in die Natur: Baustelle des Wasserkraftwerks Belo Monte.

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Quelle:
Securvital 2/2012 - April-Juni, Seite 32 - 34
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH - Gesellschaft zur Entwicklung
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Redaktion: Norbert Schnorbach (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2014