MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen - 30.11.2022 17:06
Klimaarchive unter dem Vergrößerungsglas
MARUM-Studie in Nature: Neue Analysemethode zeigt abrupte Zunahme der Saisonalität während des letzten globalen Klimawandels
Wie verändert sich das Wetter als Folge der globalen Erwärmung? Klimaarchive liefern wertvolle Einblicke in vergangene Klimaveränderungen, also in die Prozesse, die unseren Planeten von einem Klimazustand in den nächsten beförderten. Für Menschen und Ökosysteme ist die Variabilität in Zeiträumen von Wochen bis Jahren - das Wetter - aber oftmals entscheidend. Mittels einer am MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen neu entwickelten und erprobten Analysemethode wurden nun diese beiden Aspekte zusammengeführt und die Auswirkungen der letzten globalen Erwärmung auf saisonale Temperaturschwankungen beschrieben. Das Fachjournal Nature hat die Ergebnisse jetzt veröffentlicht.
In marinen Sedimenten sammeln sich fossile Überreste von Algen an, mittels derer vergangene Zustände des Ozeans rekonstruiert werden können. Von großer Bedeutung sind dabei molekulare Fossilien, so genannte Lipid-Biomarker: Zellbausteine von Algen, die einst den Ozean bevölkerten. Sterben diese Algen, sinken sie zum Ozeanboden und bewahren in ihren Lipiden Informationen über die durchlebten Bedingungen. Die Analyse solcher Klimaarchive hat seit Jahrzehnten fundamentale Informationen zum Verständnis vergangener Klimaveränderungen geliefert.
In ausgewählten Lokationen, zum Beispiel dem Cariacobecken vor der Küste
Venezuelas, entstehen ganz besondere, laminierte Archive. "Das Besondere am
Cariacobecken ist, dass die Ablagerungen seit tausenden Jahren schön
ordentlich nach Jahreszeiten sortiert sind, jeweils eine dünne Lage für den
Sommer und eine für den Winter. Es liegt dort also ein Archiv vor, mit ganz
grundlegenden Informationen über vergangene, kurzfristige Klimaschwankungen
in den Tropen, das aber bisher nicht gelesen werden konnte", sagt Erstautor
Dr. Lars Wörmer vom MARUM. Er und seine Kolleg:innen vergleichen das mit
dem Kleingedruckten, für dessen Lektüre spezielle Lesehilfen notwendig
sind. Solche eine Lesehilfe ist ein Laser, der gekoppelt mit einem
Massenspektrometer die Verteilung von Lipid-Biomarkern in jeder dieser
Millimeter breiten Lagen ermöglicht.
Prof. Kai-Uwe Hinrichs, in dessen Arbeitsgruppe die Methode entwickelt
wurde, bezeichnet sie als "Werkzeug, um bisher verborgene Details in
Klimaarchiven zu entschlüsseln". In einem vom Europäischen Forschungsrat
ERC geförderten Projekt haben Hinrichs und seine Kolleg:innen ein
molekulares, bildgebendes Verfahren entwickelt, um Klima- und
Umweltprozesse der jüngeren Erdgeschichte zeitlich hoch aufgelöst - das
heißt nahezu in Monatsschritten - abzubilden. Mit anderen Analysemethoden
werden verlässlich Intervalle von hunderten oder tausenden Jahren
abgebildet - bei einer Erdgeschichte von über vier Milliarden Jahren gilt
das bereits als sehr detailreich.
Im nun untersuchten Zeitintervall liegt die letzte erdgeschichtliche Periode mit drastischer - und nicht menschengemachter - Erwärmung. "Das ist die Parallele zu heute", betont Lars Wörmer. "Die Erwärmung vor 11.700 Jahren hat die Menschheit ins Holozän gebracht, unserem aktuellen Zeitalter. Jede weitere Erwärmung bringt uns vom Holozän ins so genannte Anthropozän, das von einer durch den Menschen verursachten Klimaerwärmung und Umweltveränderung geprägt ist." Das Team um Kai-Uwe Hinrichs und Lars Wörmer konnte nun zeigen, dass sich während dieses Intervalls der Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperaturen im tropischen Ozean verdoppelt hat. Somit ist belegt, wie sich globale Klimaveränderungen auf lokale, saisonale Temperaturschwankungen auswirken.
Bereits im September ist eine MARUM-Studie in Nature Geosciences erschienen, die ebenfalls auf der neu etablierten Methode basiert. Hier wurden Daten erstellt, die die Meeresoberflächentemperatur mit einer Auflösung von einem bis vier Jahren zeigen. Dafür hat Erstautor Dr. Igor Obreht mit seinen Kolleg:innen einen Sedimentkern aus dem östlichen Mittelmeer untersucht, in dem die Temperatur aus dem letzten Interglazial (vor etwa 129.000 bis 116.000 Jahren) aufgezeichnet ist. Die Studie von Obreht und seinen Kolleg:innen nimmt also eine Zeit in den Fokus, die als letzte wärmer war als die heutige war.
Szenarien für eine solch wärmere Welt werden am MARUM innerhalb des hier angesiedelten Exzellenzclusters "Ozeanboden - unerforschte Schnittstelle der Erde" entwickelt. Das im Rahmen des oben genannten ERC-Projekts etablierte GeoBiomolecular Imaging Lab gehört inzwischen zur Infrastruktur für die Erforschung der Kernthemen im Exzellenzcluster.
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Originalpublikation:
Lars Wörmer, Jenny Wendt, Brenna Boehman, Gerald Haug, Kai-Uwe Hinrichs:
Deglacial increase of seasonal temperature variability in the tropical
ocean. Nature 2022. DOI: 10.1038/s41586-022-05350-4
Weitere Informationen:
https://www.marum.de/Entdecken/Lipid-Biomarker.html
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen - 30.11.2022 17:06
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 2. Dezember 2022
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