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POLITIK/578: Regierungserklärung der Bundesumweltministerin zur UN-Klimakonferenz in Lima (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - 22. Dezember

Regierungserklärung der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, zur UN-Klimakonferenz in Lima vor dem Deutschen Bundestag am 19. Dezember 2014 in Berlin:



Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Eine aktive Klimapolitik gehört heute zum gesellschaftlichen Konsens in Deutschland. Alle politisch aktiven Menschen, ob im Bundestag, in den Ländern oder Kommunen, stellen sich heutzutage den Herausforderungen des Klimaschutzes. Nehmen Sie die Energiewende! Sie ist eine Tochter unserer Klimaschutzpolitik.

Die Aktivitäten in Wirtschaft und Politik zur Minderung von Treibhausgasemissionen bewirken zunehmend, dass sich Wachstum und Wohlstand vom Ressourcenverbrauch und vom Energieverbrauch abkoppeln. Das wäre vor einigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Dies ist ein Fortschritt und tatsächlich eine richtig gute Entwicklung.

Wir nehmen in Deutschland Schritt für Schritt Abschied von klimafeindlichen Technologien; mehr noch: Wir entwickeln Technologien und Lösungen, mit denen eine klimaverträgliche und wirtschaftliche Entwicklung überhaupt erst möglich ist.

In der EU haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2050 80 bis 95 Prozent weniger CO2-Emissionen zu verursachen. Für Deutschland bedeutet das, dass wir eher am oberen Ende dieses Korridors landen wollen. Damit werden wir aber nicht auf unseren Platz als eine führende Industrie- und Exportnation oder als Technologieführer verzichten - weder müssen wir das noch wollen wir das -; ganz im Gegenteil: Der Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen ist eine herausragende Chance, um unseren Wohlstand auch für die Zukunft zu sichern und um Deutschlands Position als Industrienation zu festigen und auszubauen.

Aber schauen wir nicht nur auf uns selbst! Das Klima macht, wie wir alle wissen, natürlich nicht an Ländergrenzen halt. Die Folgen des Klimawandels sind schon heute ungerecht verteilt. Es sind die Menschen in den ärmsten Staaten und in den ärmsten Regionen, die am meisten unter Extremwetterereignissen und deren Folgen wie zum Beispiel Ernteausfällen zu leiden haben. Wenn sich diese Entwicklung durch den fortschreitenden Klimawandel weiter verschärft, dann verschärfen sich auch die regionalen und die globalen Konflikte um Wasser, um Land, um Rohstoffe und um Energie.

Die Auswertung der Daten, die weltweit im Zusammenhang mit dem Klima gesammelt werden, hat ergeben, dass 12 der 14 wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im 21. Jahrhundert liegen. Als ich dies in der Vorlage gesehen habe, habe ich ein Fragezeichen daran gemacht und gefragt: Ist das richtig? Das 21. Jahrhundert ist ja noch nicht lange im Gange. Trotzdem liegen 12 der 14 wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in diesem 21. Jahrhundert.

Es gibt keine vernünftigen Zweifel mehr daran, dass die Erkenntnisse der Klimawissenschaftler uns zum Handeln zwingen. Der Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen ist ein Kampf um eine gerechtere und eine friedlichere Welt. Ja, Klimapolitik ist auch Friedenspolitik.

In einer Zeit, in der Krisen und kriegerische Konflikte immer mehr Menschen zu Flüchtlingen machen, brauchen wir Zeichen der Solidarität in der Welt. Dieses Zeichen könnte und sollte von einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik ausgehen. Wenn wir es schaffen, die Erderwärmung zu begrenzen und damit neue Ungerechtigkeiten zu verhindern, wäre das ein unübersehbares Symbol globaler Solidarität. Ein weltweites Klimaabkommen, an dem alle Staaten beteiligt sind, kann, ja muss ein Beispiel dafür sein, dass wir gute Lösungen finden können, wenn wir fair miteinander verhandeln. Ein solches Beispiel könnte auch bei anderen Konflikten helfen. Lösungen können im Interesse aller Menschen unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion gefunden werden, und dafür setzen wir uns doch alle ein.

Diese Bundesregierung bekennt sich uneingeschränkt zur Zwei-Grad-Obergrenze und damit zur Notwendigkeit einer wirksamen Klimaschutzpolitik. Wir nehmen unser nationales Klimaschutzziel für 2020 ernst, das haben wir bewiesen. Wir haben das 40-Prozent-Ziel nicht einfach nur übernommen, wir haben uns ehrlich gemacht und gefragt, ob es bis 2020 überhaupt erreichbar ist. Nein, wenn wir nichts unternommen hätten, hätten wir dieses Ziel nicht erreicht. Mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, das wir am 3. Dezember beschlossen haben, können wir diese Lücke schließen. Nie zuvor hat eine Bundesregierung ein so umfassendes Klimaschutzprogramm erarbeitet, das alle Sektoren und alle Akteure gleichermaßen in die Pflicht nimmt. Egal ob Energiewirtschaft, Verkehr oder Landwirtschaft - alle müssen ihren Beitrag leisten. Daher auch an dieser Stelle nochmals die Bitte an Sie alle, in Ihren Bereichen auch daran mitzuwirken.

Weil der Prophet in der eigenen Heimat oft nichts gilt, kann ich Ihnen berichten, dass das Klimaaktionsprogramm auf der Weltklimakonferenz von vielen Rednern, nicht zuletzt vom UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in seiner Eröffnungsrede, ausdrücklich gelobt wurde.

In dem Transformationsprozess, der der ganzen Welt bevorsteht, nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein. Das deutsche Wort "Energiewende" findet immer mehr Einzug in die englische Sprache. Wir wollen andere Staaten unterstützen, die noch nicht so weit sind, dies aus eigener Kraft zu schaffen. Das funktioniert aber nur, wenn wir glaubwürdig voranschreiten. Nach meinem Eindruck werden weltweit immer mehr Menschen und immer mehr Staaten aktiv. Das ist die gute Nachricht aus den vergangenen Wochen.

Unser gemeinsames Ziel ist, im Dezember 2015 in Paris einen neuen Klimavertrag abzuschließen. Die ganze Welt wartet dringend auf ein neues Abkommen; denn der Klimawandel findet, wie wir wissen, bereits statt, und Menschen leiden bereits jetzt unter ihm. Wenn wir den Sachstandsbericht des Weltklimarates und viele andere Untersuchungen ernst nehmen, dann war die Notwendigkeit für ein Abkommen noch nie so groß wie heute.

Die Konferenz in Lima hat zweierlei gezeigt: Es gibt eine grundsätzliche Bereitschaft bei allen Staaten, ein neues umfassendes Klimaabkommen zu treffen, aber es gibt nach wie vor tiefe Gräben, die es zu überwinden gilt. Ich will dies aus Sicht der Bundesregierung im Einzelnen erläutern.

Als deutsche Delegation hatten wir im Vorhinein vier Erfolgskriterien festgelegt:

Erstens. Wir wollten in Lima die Grundzüge eines weltweiten Klimaabkommens festlegen. Das ist gelungen. Im "Lima Call for Climate Action" haben wir wesentliche Elemente eines Verhandlungstextes festgehalten, die das Gerüst für die Textverhandlungen im kommenden Jahr bilden.

Zweitens. Wir wollten in Lima festlegen, welche Informationen die Staaten gemeinsam mit ihren geplanten Minderungsbeiträgen vorlegen müssen, damit diese verständlich und vergleichbar sind. Wir haben uns für klarere Vorgaben und mehr Details eingesetzt. Hier mussten wir in der Tat - bis jetzt jedenfalls - einen Kompromiss eingehen. Es gibt eine Reihe von Schwellenländern, die sich nicht in dem Umfang zu einer umfassenden Transparenz verpflichten wollten, wie wir es gerne gesehen hätten.

Drittens. Wir wollten, dass die Staatengemeinschaft schon vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens 2020 mehr für den Klimaschutz tut. Dieses Ziel wurde im Entscheidungstext entsprechend hervorgehoben. Aber auch hier hätte ich mir weniger Appell und mehr Handlungsorientierung gewünscht. Dass Deutschland hier glaubwürdig entsprechende Schritte geht, also zunächst bis 2020, wurde weltweit positiv wahrgenommen.

Viertens. Wir wollten Fortschritte bei der Umsetzung früherer Entscheidungen machen, insbesondere bei der Klimafinanzierung. Durch die frühzeitige Zusage Deutschlands, 750 Millionen Euro in den Grünen Klimafonds einzuzahlen, wurde eine positive Dynamik ausgelöst. Das hat dazu geführt, dass wir in Lima unser Etappenziel von zehn Milliarden Dollar sogar etwas haben überschreiten können.

Ich habe mich sehr gefreut, dass neben den klassischen Gebern jetzt auch Länder wie zum Beispiel Peru, Kolumbien, Panama, die Mongolei oder Indonesien zum Fonds beitragen. Alle vier Punkte, die wir uns vorgenommen hatten, sind erfüllt oder zumindest ein gutes Stück vorangebracht worden. Darüber hinaus wurde unser zusätzlicher Beitrag zum Anpassungsfonds in Höhe von 50 Millionen Euro gelobt. Dieser Beitrag ist gut investiertes Geld und schafft weiteres Vertrauen. Besonders erfreulich finde ich, dass wir am Rande der Verhandlungen in Lima einen Durchbruch zur Ratifizierung der zweiten Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls durch die EU herbeigeführt haben. Das war die Gelegenheit, noch einmal alle zusammenzubringen. Ich glaube, es wird allseits anerkannt, dass dies ohne das monatelange Engagement Deutschlands nicht gelungen wäre. Der gefundene Kompromiss konnte vorgestern, am Mittwoch, bereits im Umweltrat politisch beschlossen werden. Jetzt steht der Ratifizierung von Kioto II durch die EU nichts mehr im Wege.

Einer der Streitpunkte in Lima war die sogenannte Firewall zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die industrialisierten Staaten in den vergangenen zwei Jahrhunderten den Großteil, fast 80 Prozent der Summe aller CO2-Emissionen verursacht haben und darauf ihren Wohlstand aufgebaut haben. Die ärmeren Regionen, die diese Verschmutzung nicht zu verantworten haben, haben dagegen heute umso stärker mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Diese historische Verantwortung war der Grund, warum im Jahr 1997 im Kioto-Protokoll keine Reduktionsziele für Schwellenländer und Entwicklungsländer beziffert wurden. Eine Brandmauer, eine Firewall, sollte die brennende Seite von der Seite trennen, auf der es noch nicht brennt. Die ersten Löschmaßnahmen wurden auf die brennende Seite gerichtet.

Bei den Treibhausgasemissionen ist es heute so, um im Bild zu bleiben, dass es auf beiden Seiten brennt. Deshalb ergibt diese Unterscheidung keinen Sinn mehr. Die Welt im Jahr 2014 ist nicht mehr die von 1997. In der Gruppe der Schwellenländer finden sich Staaten wie China oder Indien. China ist derzeit der größte und Indien der drittgrößte CO2-Emittent der Welt; allerdings noch nicht pro Kopf, sondern wegen der schieren Menge der Bevölkerung. Über die Hälfte aller Emissionen kommt heute aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch die Differenzierung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verläuft nicht mehr entlang der alten Linien und in den alten Kategorien. Dabei rede ich nicht nur von Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zum Beispiel hat auch Malaysia heute ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als zum Beispiel Rumänien. Wir müssen deshalb zu einer neuen, differenzierteren Betrachtung der Verantwortung für den Klimaschutz kommen. Alle müssen etwas beitragen.

Der Umfang dieses Beitrages muss sich aus dem Anteil an den Treibhausgasemissionen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergeben. Wer mehr zur Erhitzung der Erde beiträgt, muss auch mehr beim Klimaschutz tun. Wer wirtschaftlich leistungsfähiger ist, muss mithelfen, die ärmeren Länder bei Anpassung und klimaverträglicher Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen. Um diese grundlegend veränderte Herangehensweise haben wir in Lima gerungen, und wir werden es in den nächsten Monaten bis zur Klimakonferenz in Paris weiter tun, auch tun müssen. Alte Kampfparolen, wie sie in Lima leider gerade von der sogenannten Group of Like Minded Developing Countries besonders lautstark hervorgebracht wurden, bringen uns da nicht weiter.

Lima eignet sich nicht für Superlative. Es war nicht der großartige Durchbruch, der den Erfolg schon quasi vorzeichnet; aber es war auch kein Scheitern. Wir haben eine solide Grundlage für die weiteren Verhandlungen gelegt, aber auch ich hätte mir natürlich eine weiter gehende Annäherung der Positionen gewünscht.

Alle Staaten mit ihren unterschiedlichen Ausgangspositionen hinter einem Abkommen zu versammeln, verlangt beharrliche Arbeit. Die konkreten Erfolge, die wir erreicht haben, sind mehr als nur große Worte, und sie sind allemal besser als das Genörgel mancher Zuschauer am Spielfeldrand.

Lima ist nicht das Ziel, sondern eine Etappe auf dem Weg nach Paris. Ein Abkommen in Paris ist das Ziel; darauf muss unser Engagement abzielen. Mit dem Petersberger Klimadialog und der G-7-Präsidentschaft im kommenden Jahr wird die Bundesregierung ihre Möglichkeiten nutzen, um Paris zum Erfolg zu bringen.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Mitgliedern der deutschen Delegation, nicht zuletzt auch bei den beteiligten Mitgliedern des Deutschen Bundestages für ihre Arbeit bedanken. Gleichzeitig will ich sehr deutlich machen, dass ich es für vollkommen inakzeptabel halte, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages an der Einreise nach Ecuador gehindert worden sind. Das war nicht nur ein unfreundlicher Akt gegenüber den sehr engagierten Abgeordneten des Umweltausschusses; es schadet vor allem dem gemeinsamen Interesse am Schutz der Umwelt und fällt auf die Entscheider zurück. Ich kann nur hoffen, dass dies ein einmaliger Vorgang war.

In den letzten Monaten und Wochen ist in Deutschland viel über die schwarze Null im Bundeshaushalt diskutiert worden, die wir ja gemeinsam erreicht haben. Es gibt eine weitere Null, die wir uns unbedingt vornehmen sollten: weltweit null Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrhunderts. Eine solche grüne Null sollten wir uns auf die Agenda schreiben, und von dort darf sie dann auch nicht mehr verschwinden, bis wir das Ziel erreicht haben.


Anlagen
- Nr. 149-1 (PDF) 172KB
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2014/12/Anlagen/149-1-bmub.pdf?__blob=publicationFile

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Quelle:
Regierungserklärung der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, zur UN-Klimakonferenz
in Lima vor dem Deutschen Bundestag am 19. Dezember 2014 in Berlin
Veröffentlicht am: 22.12.2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2014