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BUCH/136: Blutmilch, von Romuald Schaber (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 80 Ausgabe 28 [1] - Sommer 2013

Romuald SCHABER: Blutmilch - Wie die Bauern ums Überleben kämpfen.

Rezension von Axel Goldau



Romuald SCHABER: Blutmilch - Wie die Bauern ums Überleben kämpfen.
Pattloch Verlag GmbH & Co. K.G. / München 2010. ISBN 978-3-62902273-8, 288 Seiten - jetzt als KNAUR EBook ISBN: 973-3-42540434-8 - EUR 6,99


Im Frühjahr 2008 ereignete sich deutschlandweit etwas, was einer kleinen Revolution gleichkam: Ein landesweiter Milchstreik! Der bereits neun Jahre zuvor gegründete Interessensverband deutscher Michbäuerinnen und -bauern - leider mit dem unglücklichen Kürzel BDM - hatte dazu aufgerufen. Im Nu machte sich die Aktion in Deutschland breit - und auch über deutsche Grenzen hinaus nach Belgien, den Niederlanden und andere Länder der Europäischen Union: Erst hunderte, dann tausende, schließlich mehr als 70.000 Milchbäuerinnen und -bauern alleine in Deutschland schütteten ihre Milch weg. Ein Jahr darauf erfolgte eine ähnliche Aktion in Frankreich.

Erst durch diese Aktion wurde die Öffentlichkeit auf die Folgen einer katastrophalen "Agrarpolitik" aufmerksam; denn die systematische Vernichtung eines Berufsstandes, des bäuerlichen Milchbetriebs, steht noch immer als eine der letzten Aktionen agrarpolitischer Strukturanpassung auf der Tagesordnung. Während Pflanzenbau und etwa Schweinemast sich technisch mehr oder weniger leicht "industrialisieren" ließen und kleinere, zumeist bäuerliche Familienbetriebe bereits weitgehend in den Ruin getrieben sind, stellen die selbstständigen Milchbäuerinnen und -bauern geradezu die letzte Barrikade gegen den agrarindustriellen Durchmarsch dar: "Wir Milchbauern sind die letzte Hürde auf dem Durchmarsch der Milchindustrie."Und ein paar Zeilen darunter übersetzt der Autor die wohlklingenden Worte der Milchgiganten in aller Deutlichkeit: "Nehmt den Bauern die Milch weg! Nehmt ihnen ihre Tiere weg! Wir wollen das haben!" (p. 16).

Nach dem Milchstreik wandte sich der Verlag an den Autor, Vorsitzender des BDM und European Milk Board (EMB), mit der Bitte dieses Buch zu schreiben. Wir müssen ihm dankbar sein, dass er es getan hat; denn somit verfügen wir über ein Geschichtsbuch besonderer Art: Keine Experten schreiben über einen historischen Prozess und die entsprechenden Akteure, sondern ein Akteur selber beschreibt den Prozess, den er mit angestoßen hat und mit gestaltet.

Wir erfahren in diesem Zusammenhang, welche Rolle der Deutsche Bauernverband spielt und dass es sich keinesfalls dabei um eine Interessensvertretung deutscher Bäuerinnen und Bauern handelt, weshalb viele sich mittlerweile auch von ihm abwenden. Dem Autor verstellt sich nicht der Blick auf das Ganze: auf die Lage der Bäuerinnen und Bauern auch in anderen Teilen unserer Welt und den Blick über den Hof hinaus in die Kulturlandschaft und den volkswirtschaftlichen Nutzen bäuerlicher Arbeit.

Während der Buchpräsentation am 5. Oktober 2010 im voll besetzten Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte wurde der Autor u. a. gefragt, an wen sich sein Buch denn in erster Linie richte. Er antwortete, an seine Berufskolleginnen und -kollegen. So beschreibt er im ersten Teil drastisch das Dasein in bäuerlichen Betrieben, die falschen Empfehlungen, die zwingend zu falschen Entscheidungen und letztendlich zu dem führen, was allgemein "als Bauernlegen" oder "Bauernsterben" bekannt ist.

In seinem Buch erfahren wir, dass "Bauernsterben" bei weitem nicht nur in dem allgemein bekannten, übertragenden Sinne von Bedeutung ist, sondern gar nicht so selten im Stall am Strick endet: investiert und vergrößert - so wie von "den Experten" empfohlen; dann fällt der Milchpreis ins Bodenlose... Todesfälle in der Landwirtschaft reichen nur in seltenen Fällen über die regionale Presse hinaus.

Mit der Selbstorganisation im BDM und EMB haben die Milchbäuerinnen und -bauern ihre Lage analysiert und sind zu dem Schluss gekommen:

"Wir haben lange im falschen Bewusstsein gelebt, dass wir auf dem freien Markt keine Chance hätten. Bis wir gemerkt haben, das wir vom freiem Markt ausgeschlossen und verdrängt werden sollen, weil wir das besitzen, was andere gerne hätten: Lebensnotwendige Rohstoffe, Land, Luft, Wasser." (p. 45). Dieses falsche Bewusstsein wurde von den landwirtschaftlichen Beratungsdiensten systematisch vermittelt und von der Politik "des freien Marktes" so umgesetzt, dass die Produzenten dazu gezwungen werden, ihre Produkte unter ihren Erstellungskosten zu veräußern und solange von der Substanz des Betriebes zu leben, bis diese völlig aufgebraucht ist: Dann sind Milchbäuerin und -bauer weg; der Betrieb wird von einem "Investor" übernommen, dem Tiere und Kulturlandschaft völlig egal sind. Bis das Monopol über das Milchprodukt erreicht ist, fallen die Preise; ist es erreicht, dann werden sie steigen - wie wir das von anderen "Privatisierungen" kennen.

"Im Rückblick werden die Jahre 2008 und 2009 als die Jahre des großen Aufbäumens der Milchbauern Europas in die Geschichte eingehen. Ob es das letzte Aufbegehren vor dem Untergang gewesen sein wird oder die Wende zur neuen, vernünftigen Marktordnung, das werden wir erst wissen, wenn die Geschichte zu Ende geschrieben ist." (p. 97).

Wie diese Geschichte am Ende ausgehen wird, hängt auch sehr von unserer Gesellschaft ab, ob sie letztendlich bereit ist, Bäuerinnen und Bauern für ihre gesellschaftlichen Beiträge bei der Erzeugung gesunder Lebensmittel, der Erhaltung der Vielfalt in unserer Kulturlandschaft und des ländlichen Raumes gerecht zu entlohnen oder die Agrarindustrie für "Billigprodukte" weiterhin den ländlichen Raum und die Kulturlandschaft zerstören lässt. Die großen Demonstrationen von Verbrauchenden und Erzeugenden seit 2008 ("Planet Diversity" in Bonn und "Wir haben es satt" in Berlin) geben zumindest Anlass zur Hoffnung, dass längst noch nicht alles verloren ist!

Das Buch ist noch immer aktuell! Nicht allerdings der Mindestpreis von 40 Cent pro Liter Milch für die Erzeugenden (p. 97 f.), wie er sich im Zusammenhang mit dem Milchstreik herausgestellt hatte und der "Fairen Milch" (p. 247 ff.) zugrundegelegt wurde: Der EMB vergibt seit letztem Jahr Studien, die die Erzeugerpreise in den beteiligten EU-Ländern ermitteln. Auf Grundlage dieser wissenschaftlichen Studien beträgt der Erzeugerpreis z. Zt. 50 Cent pro Liter Milch in Deutschland!

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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 80 Ausgabe 28 [1] - Sommer 2013, Seite 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013