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GEFAHR/044: "Das Rückgrat der Monokultur" - Missbildungen durch Glyphosat (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 349 - November 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Das Rückgrat der Monokultur" Der argentinische Wissenschaftler Dr. Andrès Carrasco berichtet über Missbildungen durch Glyphosat

von Bettina Hoyer


Auf rund 20 Millionen Hektar wächst in Argentinien genveränderte Soja - Tendenz steigend, denn damit lässt sich prächtig verdienen. Eine Ausfuhrsteuer von 35 Prozent beschert dem Staat üppige Steuereinnahmen. Die Felder werden meist mit einem Cocktail aus Agrochemikalien besprüht. Hauptbestandteil: Glyphosat.

Der argentinische Embryologe Dr. Andrès Carrasco (Universität Buenos Aires) untersuchte, ob Glyphosat gesundheitsschädigende Wirkungen hat. In einer 2010 veröffentlichten Studie stellt er fest, dass Glyphosat zu schweren Missbildungen bei Embryonen führt, wenn diese mit Glyphosat in Kontakt kommen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Gibt es Kontrollmechanismen für den Einsatz von Glyphosat? Inspektoren, die das kontrollieren?

DR. CARRASCO: Nein. Jeder kauft und mischt "gemäß den Anweisungen" und sprüht es auf die Felder, was ihm gerade passt. Sie müssen sich das vorstellen wie beim Austausch eines Computers: Schnell finden sich Experten, die sagen: "Wenn du noch ein bisschen hiervon und davon dazutust, wird sich deine Ernte um 20 Prozent erhöhen." Und die Leute machen das. Es ist ihnen völlig egal, was sie da auf ihre Felder kippen. Und sie feiern dann, wenn sich ihre Ernte um ein Fünftel erhöht.

Das mit den Regeln funktioniert nirgendwo, auch nicht in Deutschland. Nur, Argentinien hat ein besonderes Problem: Von über 300 Millionen Litern Agrochemikalien, die in Argentinien jährlich versprüht werden, sind 200 Millionen Glyphosat. Diese 200 Millionen Liter gehen auf 20 Millionen Hektar Land. Dadurch werden zehn Millionen Menschen potenziellen Gesundheitsschäden ausgesetzt. Diese Technologie zerstört uns langfristig sozial und wirtschaftlich und vielleicht auch in ökologischer und biologischer Hinsicht und greift die Gesundheit der Menschen an.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie haben herausgefunden, dass Glyphosat den Gehalt der Retinsäure im Embryo verändert...

DR. CARRASCO: Retinsäure ist ein Derivat des Vitamin A. Sie weist eine sehr genaue Verteilung im Embryo auf, die sich keinesfalls ändern darf. Glyphosat verändert aber den Metabolismus dieser Substanz, so dass sich deren Konzentration erhöht.

Das kann nur eins bedeuten: Wir greifen in den Embryo ein. Das ist nicht zu empfehlen, wenn man will, dass sich der Embryo weiterentwickelt. Ich möchte betonen, dass es möglicherweise noch andere Pestizide, Herbizide oder Insektizide gibt, die denselben Mechanismus bewirken.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wäre Ihrer Meinung nach eine
Neuklassifizierung notwendig?

DR. CARRASCO: Wenn Firmen Tests auf Toxizität durchführen und dabei diese Methoden anwenden würden, wäre es möglicherweise schwierig, diese Produkte weiter auf den Markt zu bringen. Sie würden die Prüfungen nicht bestehen. Dabei sind die von uns verwendeten Konzentrationen sehr weit unterhalb der normalerweise verwendeten Mengen. Deshalb schwebt über den Agrochemikalien ein Damoklesschwert. Wenn angesichts des Vorsichtsprinzips jemand mit Untersuchungen beginnt, würden einige Agrochemikalien auf der Strecke bleiben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Es gibt direkt Geschädigte und meines Wissens auch Proteste in Regionen, wie dem Chaco. Gibt es eine Debatte zu diesem Thema?

DR. CARRASCO: Der Gouverneur der Region Chaco hätte vergangenen September nicht mit mehr über 65 Prozent der Stimmen wiedergewählt werden können, wenn Umwelt- und Gesundheitsschäden durch den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ein Thema wären. Gouverneur Capitanich verhandelt mit Saudi-Arabien über die Verpachtung von 200.000 Hektar Land des Impenitrable, eines naturbelassenen Berglands im Chaco. Eine Sache sind Strafen, weil ein Delikt begangen wurde. Eine andere ist es, dem Gouverneur auf der politischen Ebene zu erlauben, dass er Hunderttausende Hektar Land ans Ausland verpachtet. Es ist eine politische Entscheidung, dass ihn niemand daran hindert.

Vor den Wahlen sehe ich alle protestieren. Es scheint, als wäre eine Debatte angeschoben. Aber dann wird Gouverneur Capitanich mit 65 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Da gibt es einen Bruch zwischen dem, was einer in seiner kleinen Welt sieht und wie sich das anschließend in der Politik widerspiegelt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Rolle spielen die Medien dabei?

DR. CARRASCO: Wenn die Medien sich des Themas annehmen würden, gäbe es viel sozialen Druck. Aber das tun sie nicht. Stattdessen gab es Druck auf die Medien, das Thema nicht weiterzuverfolgen. Ich weiß, dass viele Meldungen, die mich betreffen, zensiert worden sind. Bekannte Journalisten haben zu mir gesagt: "Schau mal, das können wir nicht bringen, denn es würde diesen oder jenen Minister treffen."

So verbleibt das Thema in den Provinzen Rio Negro und Chaco. In den Großstädten, mit ihren enormen Aktivitäten auf dem Mediensektor, ist das Problem nicht angekommen. Die Region Chaco spielt beim politischen Fortkommen keine Rolle.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Politisch ist völlig egal, was auf dem Land geschieht?

DR. CARRASCO: Es klingt heftig, aber: Wenn die Sprühflugzeuge mit den Agrochemikalien über die Städte fliegen würden, würde diese Regierung schlichtweg umfallen. Die Städter fühlen sich nicht als Geschädigte. Viel schlimmer ist noch ein anderer Grund: Alle Welt weiß, während wir weitermachen, mehr Land verpachten, mehr Soja produzieren, werden wir noch mehr Geld haben. Darum hat Frau Kirchner mit mehr als 50 Prozent die Wahlen gewonnen und darum wurde Gouverneur Capitanich wiedergewählt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sind die Einnahmen im Geldbeutel des kleinen Mannes angekommen?

DR. CARRASCO: Die Regierung war sehr geschickt beim Verteilen. Die Renten sind gestiegen, die Löhne der Staatsbediensteten, der Wissenschaftler, der Angestellten im öffentlichen Dienst, der Universitätsprofessoren. Das System der Krankenversicherung wurde verbessert. Vielen Bereichen, die chronisch klamm bei Kasse sind, geht es jetzt also besser. Auch die Medien haben profitiert.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Trotzdem, wo ist der Widerstand der Bauern, der eine Diskussion auslösen könnte?

DR. CARRASCO: Die Bauern wissen, was vor sich geht. Aber der Bauer verpachtet sein Land für den Soja-Anbau an eine ausländische Firma. Er selbst geht in die Stadt. Dort lebt er in seinem Apartment und erhält jeden Monat einen Scheck. Verpachte 1.000 Hektar Land und du kannst leben, ohne dafür einen Finger krumm zu machen. Das ist eine sehr vertrackte Situation. Auch die Landwirte selbst befördern mit der Verpachtung die Landkonzentration und die Ausbeutung der Böden. Es braucht ein spezielles Gesetz, das die Verpachtung regelt. Wenn man das tut, bricht man das Rückgrat der Monokulturen. Dann würde das ganze System des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen nicht mehr funktionieren. Denn dieses Landwirtschaftsmodell ist angewiesen auf Direktsaat, genverändertes Saatgut, Agrarchemikalien und Landkonzentration. Wenn ich nur einen Faktor davon aushebel, funktioniert das ganze Modell nicht mehr.

Aber die Bauern wissen, dass sie besser jetzt mit der Verpachtung von Land ein bisschen Geld machen. Nur, anschließend wird man ihnen ein Stück Land zurückgeben, das vielleicht lange Zeit nicht nutzbar ist. Mittel- und langfristig verkaufen sie ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Wir werden abwarten müssen, wie sie weiter reagieren werden.


Bettina Hoyer
Freie Journalistin, Berlin


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 349 - November 2011, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011