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MASSNAHMEN/163: Weniger Insekten, weniger Bienen - Die Agrarpolitik braucht einen Kurswechsel (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Weniger Insekten - weniger Bienen
Die Agrarpolitik braucht einen Kurswechsel

von Katrin Wenz


Wildbienen und andere Insekten sind in Gefahr. In den letzten 27 Jahren hat die Biomasse der Insekten in Deutschland um 76 Prozent abgenommen - und das in Naturschutzgebieten. In landwirtschaftlich genutzten Gebieten könnte es noch drastischer sein.(1) In Deutschland leben über 560 verschiedene Wildbienenarten. Mittlerweile sind davon über 220 gefährdet und 31 vom Aussterben bedroht. Der weltweite Rückgang von Bestäubern macht ein Umdenken in der Landwirtschaft unerlässlich. Pestizide werden vor allem dort eingesetzt, wo Ernteerträge maximiert und Ausfälle vermieden werden sollen. Eine Reduktion und ein Verbot besonders gefährlicher Stoffe sind essenziell für den Schutz der Insekten, für die Artenvielfalt und die menschliche Gesundheit.


Die industrielle Landwirtschaft ist durch einen sehr hohen Chemikalien-Einsatz geprägt. Die Bildung von Resistenzen bei Schädlingen, aber auch bei Unkräutern, zieht einen immer höheren Einsatz von Pestiziden nach sich. Grundsätzlich muss die Menge an Pestiziden deutlich reduziert werden, um die Wildbienen und andere Insekten zu schützen. Besonders gefährliche Stoffe wie Glyphosat oder die Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide dürfen keine Zulassung mehr erhalten. Die intensive Landwirtschaft steht im Verdacht, eine der Hauptursachen für den dramatischen Rückgang zu sein. Das Verschwinden von Rainen, Blühwiesen, Streuobstwiesen und Hecken, der Umbruch von Grünland, die Überdüngung und der hohe Einsatz von Pestiziden verursachen das Insektensterben. Das hat dramatische Auswirkungen auf das Ökosystem, denn viele Vögel und Fledermäuse ernähren sich von Insekten. Aber auch für uns Menschen sind Insekten wichtig: 2 Drittel der Pflanzen, die wir essen, sind auf Bestäuber angewiesen. Ohne ihre Leistung sinken Qualität und Ertrag.


Pestizideinsatz in der intensiven Landwirtschaft

Heute ist die Agrarlandschaft gekennzeichnet durch Monokulturen und hohe Effizienz. Für "Nützlinge" fehlen die Rückzugsmöglichkeiten, denn Insekten benötigen blühende Pflanzen, breite Ackersäume, Heckenbiotope, Brachen oder Blühflächen. Dies befördert jedoch die Ausbreitung von "Schädlingen" und somit einen hohen Einsatz von Insektiziden. Derzeit werden in Deutschland etwa 270 verschiedene Pestizidwirkstoffe eingesetzt und das in sehr großen Mengen - insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft. Der hohe Einsatz hat überwiegend wirtschaftliche Gründe: weniger Schädlinge - höhere Erträge. Seit Jahrzehnten geht die Menge der Insekten zurück, denn Pestizide schaden nicht nur den Organismen, die sie bekämpfen sollen. Sie schädigen auch "Nützlinge", verunreinigen Gewässer und führen zu Krankheiten bei Menschen. Zu den Pestiziden, die gegen Schädlinge eingesetzt werden, kommen Herbizide gegen Wildkräuter und Fungizide gegen Pilze.

Insgesamt waren es im Jahr 2016 in Deutschland 47.000 Tonnen reiner Wirkstoff. Die Gruppe der Herbizide machen mit 32 Prozent den größten Anteil aus.(2) Pestizide sind ein lukratives Geschäft: Geschätzt wird der weltweite Umsatz auf etwa 45 Milliarden Euro. (3) Das Geschäft teilen sich weltweit 6 Konzerne auf - darunter Bayer, BASF und Syngenta.

Die Kosten für die Zulassung von Pestiziden und die Kontrolle der Rückstände trägt die Gesellschaft. Außerdem gelangen Pestizide durch Abfluss und Abdrift in Gewässer und schädigen die dortige biologische Vielfalt. Auch im Grundwasser finden sich Pestizidrückstände. Zwischen 2009 und 2012 überschritten etwa 5 Prozent der Proben im oberflächennahen Grundwasser den jeweiligen gesetzlichen Grenzwert für Pestizide.(4)

Zudem gefährdet der Pestizideinsatz die Bestäuber, was in Zukunft zu großen Ernteverlusten führen kann. Etwa 150 verschiedene Nutzpflanzen und rund 90 Prozent der Wildpflanzen sind abhängig von der Bestäubung durch Insekten. Diese Bestäubungsleistung entspricht einem weltweiten jährlichen Marktwert von 200 bis zu über 500 Milliarden Euro. (5)


Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit

Die gesundheitlichen Folgen für den Menschen sind schwerwiegend. Viele Pestizide stehen im Verdacht, eine krebserregende Wirkung zu haben. Besonders gefährlich könnten die langfristigen Folgen des hohen Pestizideinsatzes sein, die bisher noch nicht ausreichend untersucht wurden. Auch zur Wechselwirkung verschiedener Stoffe gibt es kaum Informationen. Mit den Erkrankungen durch den Pestizideinsatz entstehen hohe gesellschaftliche Kosten, da die Kosten durch das öffentliche Gesundheitssystem getragen werden.


Probleme mit Zulassungsverfahren von Pestiziden

Unternehmen dürfen Pestizide nicht einfach auf den Markt bringen. Wirkstoffe für Pestizide müssen in der Europäischen Union (EU) genehmigt werden. Zudem werden Rückstandshöchstwerte beispielsweise für Lebensmittel festgelegt. In Deutschland werden Pestizide dann in der kompletten Formulierung aus Wirkstoffen und Trägersubstanzen zugelassen, wobei eine gegenseitige Anerkennung der Zulassungen in der Europäischen Union (EU) vorgesehen ist. Zuständig ist bei uns das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Leider fehlen ausreichende Daten über die längerfristigen Auswirkungen der Pestizide oder die Kombinationswirkungen verschiedener Inhaltsstoffe. Die Zulassungsverfahren stützen sich zudem auf Studien, die der Hersteller in Auftrag gegeben hat. Studien von unabhängigen wissenschaftlichen Einrichtungen werden in den Zulassungsverfahren kaum herangezogen.

Eine Überarbeitung der Zulassungsverfahren ist also dringend notwendig. Der BUND fordert, den Zulassungsprozess für Pestizide so zu reformieren, dass die Umwelt sowie die menschliche Gesundheit angemessen geschützt werden. Zukünftig muss die Prüfung von Pestiziden industrie-unabhängig erfolgen. Zur Finanzierung solch unabhängiger Studien soll die Industrie in einen Fonds einzahlen. Auch Langzeitwirkungen und Kombinationseffekte müssen überprüft werden, bevor ein Pestizid eine Zulassung erhält. Insbesondere auch die Auswirkungen auf Insekten müssen in Zukunft besser berücksichtigt werden.


Umlenken in der Agrarpolitik

Zusätzlich ist ein Umlenken in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) notwendig. Mit der Finanzierung des europäischen Naturschutzes und der anstehenden Veränderung der GAP hat die EU 2 unmittelbare Werkzeuge in der Hand, um den Schutz der Bestäuber zu verbessern. Nur so wird die langfristige Nachhaltigkeit der Landwirtschaft und des Naturschutzes sichergestellt. Die von der EU ins Leben gerufene Bestäuberinitiative muss messbare Veränderungen bringen, die den Bestäubern und der biologischen Vielfalt in großem Umfang zugutekommen.

Pestizideinsatz in ökologisch wertvollen Gebieten muss untersagt und nachweislich schädliche Stoffe müssen komplett verboten werden.


Alternativen zum Pestizideinsatz

Eine Alternative bietet der Ökolandbau, doch noch immer gibt es viel zu wenig Öko-Flächen. Schon vor Jahren hat sich Deutschland zum Ziel gesetzt, 20 Prozent Ökolandbau zu erreichen, im Jahr 2016 wurden jedoch lediglich 7,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet. Im konventionellen Anbau muss die Menge an ausgebrachten Pestiziden so gering wie möglich gehalten werden. Beispielsweise können regional angepasste, schädlingsresistente Sorten genutzt werden. LandwirtInnen können Schadinsekten und Wildkräuter durch gute Anbauplanung, breite Fruchtfolgen und Anbaupausen einzelner Kulturen minimieren. Außerdem können sie mechanische Maßnahmen, wie zum Beispiel mechanische Unkrautbekämpfung sowie biologischen Pflanzenschutz einsetzen. Besonders artenreich sind in aller Regel die Randbereiche bewirtschafteter Felder. Bei Ackerrandstreifenprogrammen verzichtet der Landwirt auf Pestizide und wird dafür bezahlt.


Dringende Maßnahmen: Pestizidreduktion und Verbot gefährlicher Stoffe

Die Bundesregierung muss ein ambitioniertes Pestizidreduktionsprogramm mit Forschung und Beratung entwickeln. Die Einführung einer Pestizid-Abgabe für LandwirtInnen wäre ein wirksames Mittel, um die Menge der Pestizide zu senken und besonders gefährliche Stoffe zu ersetzen. Der hohe Pestizideinsatz mit hohen externen Kosten darf für die Verursacher nicht länger kostenfrei bleiben, denn so wird eine umweltfreundliche Bewirtschaftung verhindert. Pestizideinsatz in ökologisch wertvollen Gebieten muss generell untersagt sein.

Das Insektensterben zu stoppen kann ohne ein Verbot von besonders gefährlichen Pestiziden nicht gelingen. Neonikotinoide gehören nicht in unsere Umwelt. Sie schädigen nachweislich Bienen. 3 Neonikotinoide wurden bereits im Freiland verboten. Die Bundesregierung muss ihr Versprechen, aus der Glyphosat-Nutzung bis 2021 auszusteigen, umsetzen.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Agrarpolitik beim BUND.


Anmerkungen:

(1) http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809.

(2) https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/pflanzenschutzmittelverwendung-in-der.

(3) https://de.statista.com/infografik/5108/weltweiter-umsatz-mit-pflanzenschutzmittel/.

(4) https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/pflanzenschutzmittelverwendung-in-der.

(5) https://www.fona.de/mediathek/pdf/Bestaeuber_Broschuere_ipbes_KS.pdf.

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Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 31-32
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2018

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