NATURSCHUTZ heute - Herbst 2021
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.
Argumente
Die richtigen Anreize setzen
von Helge May
Wir brauchen zehn Prozent nutzungsfreie Agrarflächen.
Unsere Agrarlandschaften verarmen immer weiter. mit gezielten Maßnahmen ließe sich der Artenschwund aufhalten.
Das klingt erst mal gewöhnungsbedürftig: Getreide wird mit mindestens 30 Zentimeter Reihenabstand angebaut - das ist das Zwei- bis Dreifache wie üblich. Zwischen die Getreidereihen kommt eine blühende Untersaat aus stickstoffsammelnden Leguminosen wie Inkarnatklee oder Hornklee, dazu einige weitere Arten wie etwa Ringelblumen. Die Grundidee nennt sich "Weite-Reihe-Getreide mit blühender Untersaat" und wurde vom Institut für Agrarökologie und Biodiversität zusammen mit dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft erprobt.
Für Feldhase und Rebhuhn - Der NABU hat daraus nun eine von
sieben Maßnahmenvorschlägen zum "extensiven Ackerbau für die
Biodiversität" entwickelt, die hohe Steigerungen der Artenvielfalt mit
guten wirtschaftlichen Perspektiven verbinden. Zum Einsatz sollen
diese im Rahmen sogenannter Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM)
kommen, die die Bundesländer zur Umsetzung der EU-Agrarpolitik
einführen müssen. Landwirt*innen werden für die
Teilnahme an AUKM finanziell gefördert.
Ziel des Weite-Reihe-Getreide ist es, mit dem Blühangebot
Offenlandvogelarten wie Feldlerche und Rebhuhn zu helfen. Auch
wird damit Nahrung und Deckung für überwinternde Tiere wie Feldhasen
geschaffen, erläutert NABU-Landwirtschaftsexperte Pierre Johannes. Die
Untersaat wirkt keimhemmend, verhindert also das Aufkommen
unerwünschter Unkräuter. Sie ersetzt zudem den Umbruch und die Ansaat
der Zwischenfrucht im Herbst. Der Getreideertrag liegt nach Auswertung
erster Versuche bei etwa 80 Prozent von Normalsaaten, wobei die
Untersaat zusätzliche Erträge von einer bis zwei Tonnen pro Hektar
bringt.
Artenschwund im Eiltempo -
Notwendig sind solche Überlegungen, weil die "gute fachliche Praxis"
der modernen Landwirtschaft die Artenvielfalt und die Bestände vieler
Tier- und Pflanzenarten immer weiter schrumpfen lässt. Viele Arten
haben sich erst durch die Landwirtschaft früherer Jahrhunderte und die
dadurch entstandenen offenen und halboffenen Landschaften bei uns
ausbreiten können. Doch inzwischen passiert genau das Gegenteil, noch
dazu wie im Zeitraffer.
In den Worten der von der Bundesregierung eingesetzten
Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL): "Die Landbewirtschaftung hat
zur Diversifizierung von Lebensräumen und damit zur Entstehung
komplexer Agrarökosysteme beigetragen. Ihre moderne beziehungsweise
hoch technisierte Ausprägung hat durch die Vergrößerung
landwirtschaftlicher Bewirtschaftungseinheiten jedoch zum Verlust von
Strukturen und Lebensräumen - zum Beispiel Hecken, Säume, Feldgehölze -
und so zur Monotonisierung ganzer Landschaften mit erheblichen
Auswirkungen auf Biodiversität, Naturhaushalt und Landschaftsbild
geführt."
Erhöhte Bewirtschaftungsintensität -
Die ZKL weiter: "In Kombination mit einem steigenden Intensitätsniveau
der Bewirtschaftung, mit Nährstoffeinträgen und
Pflanzenschutzmitteleinsatz, mit der Umwandlung oder der erhöhten
Bewirtschaftungsintensität von Grünland, mit der Aufgabe von
ungünstigen Standorten führt diese Verarmung - im Widerspruch zu allen
Arten- und Naturschutzzielsetzungen - zu teilweise dramatischen
Verlusten bei biologischen Arten und Populationen."
Am besten untersucht ist das bei Insekten und Vögeln. Über den Absturz
von Kiebitz - um unglaubliche 93 Prozent in nur 40 Jahren - oder
Rebhuhn haben wir in dieser Zeitschrift schon öfter berichtet. Dieser
Trend ist leider ungebrochen. Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen gibt es
bereits seit einiger Zeit, aber unterm Strich sind sie bisher zu
schwach ausgestattet, um mehr als punktuelle Wirkungen zu erzielen.
Am Rand des Aussterbens -
"Wiesenvogelarten, wie Bekassine, Uferschnepfe oder Brachvogel, die
früher ganze Landstriche charakterisierten, sind heute ausnahmslos
'Vom Aussterben bedroht'", so der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer
bei der Vorstellung der neuen Roten Liste der Brutvögel. Mit
Sperbergrasmücke, Feldschwirl und Rotschenkel sind weitere Arten
dieser Lebensräume in der Roten Liste hochgestuft worden. Viele Arten
erleiden in der Agrarlandschaft, die annähernd die Hälfte der Fläche
Deutschlands ausmacht, massive Bestandsrückgänge, die sich noch gar
nicht in der Liste abbilden.
"Gemäß den Zielen der neuen EU-Biodiversitätsstrategie sollen 30
Prozent aller gefährdeten Arten bis 2030 in einen guten
Erhaltungszustand gebracht werden. Ähnliche Ziele gab es bereits für
2010 und 2020 und wurden glatt verfehlt", mahnt NABU-Präsident
Jörg-Andreas Krüger. Angesichts vielfältiger Gefährdungsursachen muss
ein ganzes Bündel von Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Neben einer
Verringerung von Dünger- und Pestizideinsatz ist der Wiederaufbau von
Landschaftsstrukturen entscheidend. Das schließt auch den Ökolandbau
ein. Der Artenvielfalt nutzt es nur begrenzt, wenn auf hundert Hektar
großen Ackerschlägen zwar kein Gift gespritzt wird, aber ein Netz von
Hecken, Rainen und Kleingewässern fehlt.
"Neben einer Verringerung von Dünger- und Pestizideinsatz ist der Wiederaufbau von Landschaftsstrukturen entscheidend."
Lebenswichtige Strukturvielfalt -
Von den bewirtschafteten Flächen kann vor allem Grünland, also Wiesen
und Weiden, einen hohen Naturschutzwert haben. Insgesamt kommt es aber
hauptsächlich auf die ungenutzten Flächen an. Wo konventionell
gearbeitet wird, muss es zudem Pufferflächen geben. So zeigt eine
NABU-Studie, dass Gewässerrandstreifen möglichst 20 Meter breit sein
müssen, um etwa für Insekten volle Wirkung zu erzielen. Zehn Meter als
Pufferstreifen wegen des Eintrags von Nähr- und Schadstoffen und
weitere zehn Meter als unbelasteter Lebensraum.
Wie komplex die Ansprüche vieler Arten sind, auch über die
Agrarbiotope hinaus, zeigt die Turteltaube, deren Zahl um 90 Prozent
abgenommen hat. Die Turteltaube ernährt sich fast ausschließlich
pflanzlich und muss täglich trinken. Der Vogel des Jahres 2020 mag
Lebensräume mit einem häufigen Wechsel von Wald und Offenlandschaft,
in der er Wildkräutersamen und Gewässer findet. Ihr Nest baut die
Turteltaube gern an Waldrändern. Wichtig sind eine hohe Dichte an
Wildkräutern, Baumstrukturen und Zugang zu Wasser.
Für die Turteltaube maßgeschneidert -
Auch für die Turteltaube hat der NABU eine AUKM entwickelt. Dabei sind
im Rahmen einer fünfjährigen Verpflichtung mehrjährige Schonstreifen
zwischen 6 und 30 Metern Breite an Waldrändern oder Feldgehölzen
anzulegen und nach bestimmten Bedingungen - keine Pestizide, keine
Düngung, vorgegebener Bewuchs - zu bewirtschaften. Falls sich in 300
Metern Umkreis keine Wasserstelle befindet, sollen nach Möglichkeit
zusätzlich Kleingewässer angelegt werden.
Das ist ganz schön viel Aufwand, der entsprechend vergütet werden
muss. Dafür profitieren aber ebenso Feldvogelarten wie Ortolan,
Goldammer, Grauammer, Heidelerche oder Rotmilan. Der vorgeschriebene
hohe Anteil offener Bodenflächen in den Schonstreifen kommt zudem
Wildbienenarten, Solitärwespen, Ameisen und Laufkäfern zugute.
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Quelle:
Naturschutz heute - Herbst 2021, Seite 38-39
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021
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