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FRAGEN/001: Agroforstwirtschaft - Klimafreundliche Win-win-Option auch in Deutschland (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019 Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!

Agroforstwirtschaft - Klimafreundliche Win-win-Option auch in Deutschland

Interview mit Tony Rinaudo (WorldVision)


Die natürliche Wiederaufforstungstechnik 'Farmer Managed Natural Regeneration' (FMNR) wurde von Tony Rinaudo, einem australischen Agrarökonom, in den 1980er Jahren in Niger wiederentdeckt. Heute wird sie in vielen Sahel-Ländern praktiziert. Die Methode ist einfach, kostengünstig und hat das Potenzial, ganze Regionen wieder zu begrünen und dabei den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern. Nach bahnbrechenden Erfolgen wird FMNR in über 25 vor allem afrikanischen Ländern angewandt. Im Angesicht des Klimawandels auch eine Option für Deutschland.


Lebende, unterirdische Wurzeln gerodeter Bäume werden bearbeitet, ihre Schösslinge geschützt, gezielt beschnitten und wachsen so wieder zu kräftigen neuen Bäumen heran, die in lockeren Abständen auf den Feldern stehen. So kommt FMNR in degenerierten und entwaldeten Böden ohne Baumpflanzungen aus. Das Laub der Bäume beschattet die Böden, Wurzeln halten die Feuchtigkeit in der Erde. Außerdem sorgt der Eintrag von Laub und Früchten für das Entstehen neuer Humusschichten. Nach diesem Prinzip werden ganze Wälder wieder aufgeforstet. Allein im Niger wurden 240 Millionen Bäume hochgezogen. Insgesamt kehrte zwischen 1983 und 2015 im Niger Baumbestand auf 6 Millionen Hektar zurück. Das Wissen über FMNR wird meist mündlich durch die Bäuerinnen und Bauern weitergegeben. Damit diese Anbauweise erfolgreich ist, müssen oft herkömmliche Bewirtschaftungsweisen sowie bestehende Forst- und Landwirtschaftsgesetze angepasst werden.

Deutscher Fachverband Agroforstwirtschaft (DEFAF): Herr Rinaudo, woher rührt Ihre Motivation, sich so stark für die Nutzung von Bäumen in der Landwirtschaft einzusetzen?

Tony Rinaudo (TR): Für mich begann alles sehr früh. Als ich ein kleiner Junge war, liebte ich den Wald, die Flüsse, die Berge, war fasziniert von der Vielfalt des Lebens. Doch es gab so viel Zerstörung: Wälder wurden gerodet, Flüsse verschmutzt, Fische durch Pestizide vergiftet. Das hat mich wütend gemacht. Gleichzeitig begriff ich, was für ein komfortables Leben die Menschen in Australien führen, während Menschen in anderen Weltregionen aufgrund von Dürren hungerten. Ich studierte Landwirtschaft und über die Jahre verstand ich, dass es oft nicht nur um das Fällen von Bäumen geht, sondern dass dies eine Angelegenheit ist, die über Leben und Tod entscheidet. Die Diversifizierung von Anbaukulturen bringt Resilienz, also die Fähigkeit von Ökosystemen, nach Störungen wieder einen Gleichgewichtszustand zu erreichen: Eine artenreiche Landwirtschaft gibt den Menschen etwas, um davon zu leben. Sie ist unabdingbar, um mit dem Klimawandel umgehen zu können. Bäuerinnen und Bauern in Afrika, die Bäume in ihr Anbausystem integrieren, wirtschaften besser als andere. Es ist eine Technologie, die man nicht bereut und zugleich eine Anpassungs- und Minderungsmaßnahme gegen den Klimawandel, eine Win-win-Option. Die Integration von Bäumen in landwirtschaftliche Systeme berührt viele Bereiche: Sie reduziert Armut und Hunger und damit einhergehende Konflikte sowie Migration, sie bringt mehr Ressourcen, die geteilt werden können, und vor allem: sie bringt neue Hoffnung. In Europa sieht man junge Menschen, die sehr verzweifelt und angstvoll sind. Vielleicht mangelt es ihnen an Hoffnung?

Dagegen gibt es viele fröhliche und hoffnungsvolle Menschen in den afrikanischen Projektgebieten, sie sind stolz auf das, was sie geschaffen haben, indem sie dafür sorgen, dass es in ihren Heimatdörfern wieder neue Wälder gibt: Es ist eine Investition in die Zukunft. Die Menschen beginnen in Verbesserungen ihrer Farmsysteme zu investieren, und ihre Kinder können zur Schule gehen. Das Rezept ist so einfach und es funktioniert. Der Vergleich mit Europa ist wichtig, denn schließlich sind die Lebensbedingungen in afrikanischen Ländern und in Deutschland sehr unterschiedlich.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, FMNR auch in Deutschland praktisch umzusetzen?

Natürlich unterscheiden sich die Ökosysteme in Afrika gegenüber denen gemäßigter Breiten stark. In Europa macht es dennoch Sinn, Bäume zu pflanzen. In Industrieländern wie Deutschland ist die Landwirtschaft ein Geschäft, ein gewinnorientierter Erwerbszweck. In Afrika hingegen dient die Landwirtschaft in großen Teilen noch der Subsistenz, das heißt dem unmittelbaren Überleben. Das Anpflanzen beziehungsweise die von Bäuerinnen und Bauern unterstützte natürliche Regeneration von Bäumen erfüllt dort existenzielle Grundbedürfnisse auf Nahrung, Tierfutter und Brennstoff, dadurch lassen sich Einkommen vervielfachen. Angesichts des Zusammenbruchs der Populationen von Bienen und anderen Bestäubern ist es in Europa wichtig, mehr über die Ökosystemdienstleistungen von Bäumen zu sprechen.

Der Laubabwurf der Bäume vermehrt die organische Substanz im Boden und die schwammartige Fähigkeit der Böden, Wasser zu speichern. Beispielsweise ist nachgewiesen, dass für jedes Prozent der Zunahme an organischer Materie im Boden die Wasserspeicherkapazität der Böden um 144.000 Liter pro Hektar zunimmt.(1) Dank der Bäume verbessern die Bäuerinnen und Bauern die Feuchtigkeitsspeicherung im Boden gegenüber immer unvorhersehbareren Regenfällen. Dadurch haben sie geringere dürrebedingte Ernteausfälle. Viele Baumarten haben die Fähigkeit, über ihre tiefen Pfahlwurzeln Wasser aus tieferen Bodenschichten in das System mit einzubringen, das sonst für landwirtschaftliche Kulturen nicht verfügbar ist. Der sogenannte hydraulische Lift ermöglicht eine effizientere Nutzung der Wasserressourcen. Es gibt aber auch viele andere Gründe, warum Baumpflanzungen für LandwirtInnen in Deutschland Sinn machen, zum Beispiel für den Wind- und Erosionsschutz. Das sind alles wichtige Ökosystemleistungen, die sich auch monetär auszahlen. Es ist nicht nur so, dass Menschen Bäume brauchen, sondern umgekehrt brauchen auch Bäume Menschen, die sie pflegen und das Eindringen von Waldbränden verhindern. Deutschland beginnt ja nicht bei Null mit der Wiederbewaldung. Es gibt noch viele Bäume in der Landschaft, darauf gilt es nun aufzubauen.

Wie kann man am besten die LandwirtInnen von den Vorteilen der FMNR überzeugen?

Das ist sehr facettenreich! Zunächst müssen wir von den Bäuerinnen und Bauern lernen und ihnen zuhören. Wir sollten bescheiden sein und auf ihre Motivation hören. Meine Arbeit hat zu 95 Prozent nicht primär land- oder forstwirtschaftliche Inhalte, sondern ich trainiere Denkweisen und Einstellungen. Ich frage Bäuerinnen und Bauern in Afrika oft nach der Vergangenheit: Wie stand es um Gewässer und Bodenfruchtbarkeit? Wie steht es um die Zukunft: Wohin willst Du am Ende Deines Arbeitslebens kommen, was willst Du für Deine Kinder erreicht haben? Wenn wir unsere Praktiken nicht ändern, wie wird dann die Zukunft sein? Dann stellt sich die Frage, ob das, was sie im Moment machen, sie dahin bringen kann. Die Bäuerinnen und Bauern merken, dass es so nicht weitergehen kann. An diesem Punkt kommen auch Bäume ins Spiel. Es ist wichtig, den Austausch und Dialog zwischen LandwirtInnen zu fördern, denn externen BeraterInnen glauben sie oft nicht. Aber wenn Bäuerinnen und Bauern untereinander mit anderen sprechen, die erfolgreich Agroforstsysteme etabliert haben, beginnen sie nachzudenken, nachzuhaken und lassen sich überzeugen.

Im Niger schien es unmöglich, mit traditionellen Wiederaufforstungsmethoden Erfolg zu haben. Aber die Entdeckung, dass noch im Boden vorhandene Wurzeln - auch in manchen verwüsteten Regionen - wieder kräftige und gesunde Bäume hervorbringen konnten, führte zur Kehrtwende in einer verzweifelten Situation, die ich als ausweglos empfunden hatte.

Was würden Sie LandwirtInnen in Deutschland mit auf den Weg geben?

Wenn der Klimawandel wirklich stattfindet und nicht nur ein kurzes Aufblitzen ist, dann sage ich LandwirtInnen: Nur diejenigen, die Agroforstwirtschaft betreiben, werden in der Zukunft noch am Markt bestehen. Dasselbe sollten auch europäische Bäuerinnen und Bauern bedenken. Wir müssen mit der Natur kooperieren, um zu überleben. Ein senegalesisches Sprichwort besagt: Wenn du auf Reisen bist und dich verirrst, geh zum Ausgangspunkt zurück. Genauso ist es in der Landwirtschaft: Wir sind in der agrarindustriellen Intensivlandwirtschaft verloren gegangen, wir haben uns und die Erde vergiftet. Wenn wir nicht zurückkehren zur Natur, werden wir untergehen.

Das Interview führten Ulrike Bickel, Julia Günzel und Anika Sebastian vom Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft e.V. (DeFAF, www.defaf.de) am 9. September 2019 in Berlin.


Tony Rinaudo
(World Vision) ist ein australischer Visionär und Träger des alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award), den er 2018 für die bauerngestützte Methode natürlicher Wiederbewaldung (FMNR) erhielt.

(1) https://managingwholes.com/soilcarbon-means-water.htm/.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 28 - 29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2020

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