WWF Magazin, Ausgabe 1/2019
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature
Mehr Freiheit für die Elbe
von Heiko Schrenner, WWF
Auf mehr als 43 Flusskilometern hat der WWF seit 2001 bei Dessau einen der größten Auenwaldkomplexe Mitteleuropas renaturiert. Ende 2018 wurde das bislang größte Projekt des WWF in Deutschland offiziell abgeschlossen.
Die Sonne hat sich gerade durch die Morgennebel eines
vorzeitigen Frühlingstags gekämpft, als ein Seeadler seine mächtigen
Fänge in die ruhig dahinfließende Elbe eintaucht und Sekunden später
einen großen Fisch davonträgt. Er landet mit der Beute auf seinem
Horst, den er in einer riesigen alten Eiche unweit des Flusses gebaut
hat. Dort wohnt er nicht allein.
Etagen tiefer pickt sich gerade ein Mittelspecht durch die rissige Borke, um eine Bruthöhle für den Nachwuchs zu schaffen. Ganz in der Nähe an einem Tümpel, den ein Hochwasser hinterlassen hat, nagt ein Biber mit seinen kräftigen Zähnen die saftige Rinde von den Weidenästen. Die Reste stapelt er zu seiner Biberburg auf. Deren Eingang hat er unter Wasser in das Ufer gegraben. Nahe der Biberburg buhlen blaue Moorfrösche um die Gunst ihrer weiblichen Artgenossen. Dabei rufen sie mit der Rotbauchunke um die Wette.
Artenvielfalt zum Sehen, Hören und Staunen: Die Auenwälder der Elbe sind heute wieder ein Naturrefugium - auch dank der Unterstützung vieler WWF-Förderer.
Neustart in der Aue
Über Jahrhunderte sind die meisten Auenwälder abgeholzt und
trockengelegt werden. Die fruchtbaren Flächen werden intensiv
landwirtschaftlich oder forstlich genutzt. Heute sind nur noch ein
Fünftel der ursprünglichen Auengebiete regelmäßig überflutet.
Dazu gehört auch die Mittlere Elbe bei Dessau. Dort engagiert sich der WWF seit den 1990er-Jahren mit großen Naturschutzprojekten. Höhepunkt: Am 2. November 2001 beauftragte der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin den WWF Deutschland mit dem größten Naturschutzvorhaben seiner Geschichte - dem Naturschutzgroßprojekt Mittlere Elbe. Auf 9050 Hektar Fläche sollte die waldreiche naturnahe Überflutungsaue als Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen renaturiert und langfristig gesichert werden. Die Finanzierung von rund 35 Millionen Euro erfolgte zu drei Vierteln aus Mitteln des Bundes, zu 15 Prozent durch das Land Sachsen-Anhalt und zu zehn Prozent durch den WWF Deutschland.
Lebensräume geschaffen
Daraufhin hat der WWF in 17 Jahren zwischen den Mündungen der
Nebenflüsse Mulde und Saale rund 120 Projektmaßnahmen umgesetzt. So
wurden zum Beispiel 160 Hektar Auenwald neu gepflanzt oder
wiederhergestellt, ökologisch wertvolle Magerrasen und die so
typischen Brenndolden-Auenwiesen entwickelt.
Viele natürliche Flutrinnen wurden wieder geöffnet. Gerade sie sind die Lebensadern der Auen. Die Flutrinnen sind die Ersten, die sich bei steigendem Pegel mit Wasser füllen - oft kilometerlang. Geht das Hochwasser zurück, bleiben sie noch lange mit Wasser gefüllt - ein idealer Lebensraum für Rotbauchunken, Rohrdommeln und viele andere inzwischen sehr selten gewordene Spezialisten der Aue. Flutrinnen wurden oft zugeschüttet. Der WWF legte diese Senken an vielen Stellen wieder frei und machte sie für das Elbehochwasser zugängig.
Gemeinsam mit Landwirten wurde außerdem eine naturnahe, großflächige Bewirtschaftung des Auengrünlandes ohne Pestizide und Stickstoffdünger gesichert. Dort finden nun zahlreiche seltene Käfer und Schmetterlinge wie der Schwalbenschwanz genügend Blüten zum Bestäuben. Mit diesen und weiteren Renaturierungsmaßnahmen entstanden entlang von mehr als 33 Flusskilometern zahlreiche neue Lebensräume für gefährdete Arten. Zusammen mit dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt wurde bei Lödderitz ein 7,3 Kilometer langer Deichabschnitt um bis zu 2,5 Kilometer zurückverlegt - die bislang größte Deichrückverlegung Deutschlands. Seitdem kann die Elbe dort auf einer Fläche von 600 Fußballfeldern wieder ganz natürlich über die Ufer treten. Der Elbebiber fühlt sich hier genauso wohl wie Kammmolch oder Schwarzstorch.
Wenn Deiche weichen
Von der Rückverlegung des Elbedeichs profitieren auch die Menschen vor
Ort. Sie wohnen nun hinter einem neuen, stabilen Deich mit einem
verbesserten Entwässerungssystem. Durch die deutlich größere
Überflutungsfläche steigt der Wasserspiegel der Elbe bei Hochwasser
zudem nicht mehr so stark an. Einst protestierten Anwohner gegen die
Deichrückverlegung. Doch nicht nur die Flutkatastrophen 2002 und 2013,
sondern auch offener Dialog und über Jahre gewachsenes Vertrauen haben
viele Menschen der Region von der Notwendigkeit eines naturnahen
Managements der Mittleren Elbe überzeugt. Der WWF zeigt damit
beispielhaft, dass sich Hochwasserschutz und Naturschutz nicht
ausschließen. Inzwischen hat der WWF rund 1500 Hektar wertvolle
Flächen erworben, um sie langfristig für den Naturschutz zu entwickeln
und zu sichern. Der Auenabschnitt, in dem der WWF das Großprojekt
durchführte, wird nun als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Insgesamt auf
2000 Hektar Kernzonen kann sich die Natur ohne den Einfluss des
Menschen in Ruhe entwickeln.
Erfolgsprojekt
Das Team von WWF-Projektleiterin Astrid Eichhorn hat an der Elbe
insgesamt 120 Maßnahmen umgesetzt. So wurde auch die Wilde Mulde
belebt und bei Vockerode rund 800 Hektar weitere Auen renaturiert. Das
WWF-Großschutzprojekt an der Mittleren Elbe ist 2012 von den Vereinten
Nationen als "UN-Dekade-Projekt der biologischen Vielfalt"
ausgezeichnet worden.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Wasser-Akrobat
Dass Flutrinnen sich wieder mit Wasser füllen, freut insbesondere auch
die Rotbauchunke.
Schillernder Jäger
An natürlichen Flussufern finden bedrohte Arten wie der Eisvogel
wieder ein Zuhause.
Elbe und Flut
Auenwälder brauchen nasse Wurzeln. Besonders die Altarme des Flusses
voller Totholz sind der ideale Lebensraum für zahlreiche Arten.
Auf sanften Schwingen
Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling bevorzugt blütenreiche
Auenwiesen.
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Quelle:
WWF Magazin 1/2019, Seite 20 - 22
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2019
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