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FORSCHUNG/284: Wie kommt das Salz aus Werra und Weser? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2010

Eine salzige Angelegenheit

Seit über hundert Jahren ist das Werratal in Hessen und Thüringen ein Zentrum der Kaligewinnung. Mit der Weiterentwicklung der Produktionstechnologien haben sich zwar die Umweltbelastungen verringert. Dennoch bleiben die Salzrückstände eine Belastung für Natur, Anlieger und Gewässernutzer. Deshalb wurde 2008 der Runde Tisch "Gewässerschutz Werra/Weser und Kaliproduktion" unter wissenschaftlicher Begleitung durch das UFZ gegründet.


Wie kommt das Salz aus Werra und Weser ?

Das Problem ist so alt wie der Kalibergbau: Durch Salzwasser, das bei der Produktion der Kalisalze im thüringischen und hessischen Revier anfällt, und durch das später aus den Abraumhalden ausgewaschene salzhaltige Wasser haben die Flüsse Werra und Weser schon vor langer Zeit ihre Süßwasserqualität verloren. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts musste in Bremen Alarm geschlagen werden, weil die Trinkwasserversorgung der Stadt gefährdet war. Um die Salzbelastung der Oberflächengewässer zu vermindern, wird seit 1925 Abwasser auch in den Untergrund gepumpt. Dennoch: Werra und Weser sind nach wie vor eine salzige Angelegenheit.

Zwar machten sich die Kaliproduzenten, namentlich der K+S-Konzern, die Flussanrainer sowie die zuständigen Behörden stets Gedanken darüber, wie die Salzbelastung vermindert werden könnte. Doch durch zwei Weltkriege und die deutsche Teilung gab es immer wieder Rückschläge in den Bemühungen darum, weniger von den schädlichen Salzen in die Gewässer einzuleiten. Jetzt scheint ein Durchbruch möglich: Am "Runden Tisch Werra/Weser und Kaliproduktion" nahmen alle Betroffenen gemeinsam Platz, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Wissenschaftlich begleitet wurde der Runde Tisch durch Prof. Dr. Dietrich Borchardt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) - und das mit einigem Erfolg.

"Bei der wissenschaftlichen Begleitung waren wir vor allem gefragt, das vorhandene, sehr komplexe Wissen aufzuarbeiten und daraus transparente Schlussfolgerungen abzuleiten, so dass sich die Mitglieder des Runden Tisches ein Urteil bilden konnten. Es waren Widersprüche aufzulösen und Wissenslücken zu erkennen", fasst der Wissenschaftler den Ansatz zusammen. Im Lauf der Arbeit am Runden Tisch, der im März 2008 ins Leben gerufen worden war, zeigte sich schnell, dass das UFZ mit seinen verschiedenen Fachbereichen und Kompetenzen als neutrale Beratungsinstitution sehr gut geeignet ist. "Wenn wir weitere Expertise für nötig erachtet haben, z. B. im Umweltrecht zur Naturschutzgesetzgebung oder der Wasserrahmenrichtlinie oder zu ökonomischen Fragen beispielsweise im Zusammenhang mit Salzschäden an Bauwerken wie Schleusen und Brücken, dann konnten wir ruhigen Gewissens Gutachter aus dem UFZ empfehlen, haben aber selbstverständlich auch andere Experten zu Rate gezogen", sagt Borchardt.

Außerdem schlugen die Helmholtz-Wissenschaftler eine Agenda vor, wie mögliche Maßnahmen zur Verminderung des Salzeintrags in die Flüsse anhand eines einheitlichen Abfragerasters bzw. Kriterienkatalogs geprüft werden sollten. Insgesamt kamen so mehr als 70 Einzelmaßnahmen auf den Prüfstand und wurden auf ihre Wirksamkeit, die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen sowie auf ihre technische Machbarkeit geprüft. Die sich daraus ergebenden Informationen wurden über eine internetbasierte Plattform allen Beteiligten zur Verfügung gestellt. "Jeder konnte über jede Information verfügen, diese Transparenz war neu in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt." Nur bei Streitpunkten, die bereits vor Gericht gelandet waren, griff man nicht ein.

Mit wissenschaftlicher Expertise sachliche Grundlagen schaffen

Aus Sicht des Pressesprechers des Runden Tisches, Dr. Christoph Ewen, hat das UFZ wertvolle Arbeit geleistet. "Dialogprozesse zu strittigen Fragen im öffentlichen Raum scheitern oft daran, dass man bereits bei der Definition des Problems und der Beschreibung möglicher Lösungswege uneins ist", umreißt er die grundsätzlichen Schwierigkeiten. "Es ist das Verdienst der wissenschaftlichen Begleitung durch Prof. Dietrich Borchardt und Dr. Sandra Richter vom UFZ, dass die Sachebene am Runden Tisch unstrittig ist. Beide genießen am Runden Tisch durchweg hohe fachliche und persönliche Anerkennung. Der vom UFZ eingebrachte Szenarienansatz ermöglicht die Diskussion möglicher Optionen unter genauer Kenntnis ihrer jeweiligen Wirkungen, insbesondere im Hinblick auf den Gewässerschutz. Zusätzlich zur eigenen Expertise hat die wissenschaftliche Begleitung die externen Gutachter des Runden Tisches betreut und dafür gesorgt, dass mit deren Ergebnissen die bestehenden Wissenslücken am Runden Tisch weitgehend im Konsens geschlossen werden konnten."

Mit Blick auf den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt weist Borchardt darauf hin, dass es überhaupt das erste Mal war, dass für die Flüsse Werra und Weser ein Gewässergütemodell entwickelt wurde, und dies auf Grundlage belastbarer Zahlen: "Wir konnten sagen, über wie viele Tonnen Salz, über wie viele Kubikmeter Abwasser und welche Umweltbelastungen wir überhaupt sprechen", erklärt Borchardt. Erstmals gab es zudem realistische Vorstellungen darüber, was passiert, wenn bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Dadurch wurde deutlich, dass es in jedem Fall ein umfassendes Maßnahmenpaket geben müsste, um in Zukunft spürbare ökologische Verbesserungen zu erreichen. Völlig unverzichtbar war dabei der Aspekt der Vermeidung von Abwasser- und Salzbelastung. Produktionsprozesse müssen so gestaltet werden, dass sich die Ausbeute an Salzen vergrößert bei gleich zeitig möglichst weitgehender Vermeidung von Abwasser und Abfall.

Fernleitung oder integrierte Salzabwassersteuerung?

Immer wieder kristallisierte sich in den Diskussionen der Vertreter von Umweltverbänden, Anrainern, Landesbehörden, Fischereiverbänden, Ministerien und Gemeinden heraus, dass zwei alternierende Lösungsvorschläge auf dem Tisch liegen. Da war - neben vielen weiteren Maßnahmen, die häufig bereits im Vorfeld greifen sollen - auf der einen Seite der Vorschlag einer Fernleitung, mit der die unvermeidbaren Abwässer von den Kaligruben direkt in Richtung Nordsee geführt werden. Dem steht ein Konzept der Unternehmensgruppe K+S gegenüber, das auf die so genannte "Neue Integrierte Salzabwassersteuerung" (kurz NIS) setzt. Bis 2015 will das Unternehmen nach eigenen Angaben das jährliche Salzabwasseraufkommen aus der Kaliproduktion halbieren und die bisher zusätzlich zur Einleitung in die Flüsse praktizierte Versenkung von Salzabwasser beenden. Versenkung bedeutet, dass ein Teil der Salzabwässer in den Untergrund zurückgepumpt wird; im Mix der Abwasserentsorgung macht dies derzeit etwa die Hälfte des Aufkommens aus. Zugleich, so heißt es, könnten der Chloridgrenzwert und der Härtewert - eine biologisch besonders relevante Größe - jeweils um fast ein Drittel gesenkt werden. "Das Ergebnis: Die Weser wird nördlich von Bad Karlshafen nahezu wieder zu einem Süßwasserfluss. Damit treten andere von der Kaliproduktion unabhängige den Fluss belastende Faktoren in den Vordergrund. Bei Bremen wird die Weser, bezogen auf den Salzgehalt, Trinkwasserqualität haben", verspricht K+S.

Doch die Versenkung von Salzabwässern scheint problematisch. "Wenn man sich das bisher versenkte Volumen anschaut, dann stellt man fest, dass sich erhebliche Mengen der bisher in den Untergrund eingebrachten Mengen nicht mehr nach weisen lassen, also verschwunden sind", so Borchardt. Deshalb sei ungeklärt, ob sich das versenkte Salzwasser im Untergrund kontrollieren lässt oder sich über geologische Störungszonen nicht doch einen Weg ins Oberflächenwasser bahnen kann. Die mögliche Beeinträchtigung der Trinkwassergewinnung ist deshalb ein besonders strittiger Punkt, und auch rein rechtlich ist das Grundwasser besonders zu schützen. "Deshalb ist seit Aufnahme der Kaliproduktion die Frage einer Pipeline im Gespräch gewesen, die das Abwasser weitab des Ortes seiner Entstehung umweltverträglich entsorgt, weil die Werra seit jeher zu abflussschwach ist, um die anfallenden Abwässer schadlos abzutransportieren. Das gilt auch für die Zukunft und wird sich durch Auswirkungen des Klimawandels mit großer Wahrscheinlichkeit weiter verschärfen.", sagt er. Ironie des Schicksals: Hätte es die friedliche Revolution und den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nicht gegeben, wäre die Fernleitung vielleicht schon heute Realität. "Es hat seinerzeit ganz konkrete Planungen der Anrainerländer gegeben, eine Pipeline zu bauen, letztlich ist das Projekt aber doch nicht realisiert worden", berichtet der Experte.

Ausdiskutiert ist die Frage aber nicht, auch wenn nach Borchardts Angaben kein "kritisches Umweltargument" gegen die vorgesehene Trasse der Leitung spricht. Auch die Einleitung in die Nordsee habe entgegen anderslautender Befürchtungen höchstens eine minimale Umweltbeeinträchtigung zur Folge, eine wirkliche Umweltbelastung jedoch nicht. Die Kosten der Pipeline sind mit etwa 350-450 Millionen Euro für den reinen Bau ohne Betrieb sicher nicht zu unterschätzen. Es müsse aber auch beachtet werden, dass sich alle Anrainerländer zu den Zielen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie bekannt hätten, die die Investition eines deutlich höheren Millionenbetrags für die Verbesserung des ökologischen Zustands von Werra und Weser allein bis zum Jahr 2015 vorsehen. "Wie sinnvoll sind diese Investitionen der öffentlichen Hand, wenn Werra und Weser weiterhin salzgeprägte Flüsse bleiben?".

Egal, wie die Salzwasserfrage für Werra und Weser gelöst wird, zu fragen ist stets: Wie kommt man zu rationalen Lösungsvorschlägen für so ein komplexes Umweltproblem? "Kein einzelner Fachmann, keine Ressortforschungseinrichtung, keine Universität, keine Landesbehörde könnte dies allein leisten. Im UFZ sind wir sehr breit aufgestellt und können deshalb innerhalb des UFZ auf naturwissenschaftliche, rechtliche und ökonomische Expertise schnell und unkompliziert zugreifen. Durch unsere Forschungsnetzwerke mit kompetenten Partnern sind wir dann im Verbund in der Lage, um auch für komplexe und schwierige Umweltprobleme vernünftige und überzeugende Lösungswege aufzuzeigen", unterstreicht Borchardt.

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dietrich Borchardt
Dept. Aquatische Ökosystemanalyse und Management

Telefon: 0391/810-9757
e-mail: dietrich.borchardt@ufz.de
mehr Informationen: www.runder-tisch-werra.de


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Auszüge aus der Empfehlung des RUNDEN TISCHES

Nach knapp zwei Jahren intensiver Diskussion, 16 Sitzungen und 22 vergebenen Gutachten hat der Runde Tisch "Werra/Weser und Kaliproduktion" am 9. Februar 2010 eine abschließende Empfehlung vorgelegt. Das Expertengremium empfiehlt:

eine Halbierung der anfallenden Salzabwassermengen (bezogen auf 2006) durch Vermeidung und Verwertung vor Ort. Dazu sollen im Zusammenwirken von K+S und den Ländern alle technischen und rechtlichen Möglichkeiten für eine schrittweise Verringerung der Einleitung in die Werra und der Versenkung genutzt werden.
den Bau einer Fernleitung an die Nordsee zur vollständigen Entsorgung des danach d noch anfallenden Salzabwassers bis Ende 2020 sowie
einen Auftrag zur kontinuierlichen Beobachtung des Standes der Technik und zum e Monitoring der Umsetzung der Maßnahmen.

Spätestens ab 2020 sei eine nachhaltige Verbesserung der Qualität des Oberflächen- und Grundwassers erreichbar; dann könnten sich in Werra und Weser wieder reine Süßwasser-Lebensgemeinschaften etablieren und die Bedingungen für Fischerei und Trinkwassergewinnung würden sich verbessern. Dabei seien alle Maßnahmen so zu gestalten, dass Arbeitsplätze und Produktion dauerhaft gesichert werden. Die Empfehlungen wurden mit 88 Prozent Zustimmung vom Runden Tisch verabschiedet.

Langfassung: www.runder-tisch-werra.de


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Zahlen und Fakten zum Kalibergbau

Auf dem Weltkalimarkt belegt die K+S Aktiengesellschaft heute den vierten Platz. Insgesamt bestehen durch die Kaliproduktion in Nordhessen und Westthüringen knapp 8.500 Arbeitsplätze. Pro Jahr werden von K+S im Werk Werra etwa 21 Millionen Tonnen Rohsalz - das sind Steinsalz, Kalisalz und Magnesiumsalze - aus einer Tiefe von etwa 700 Metern an die Oberfläche gefördert und industriell aufbereitet. Davon sind etwa 27% Wertstoffe (Sylvin und Kieserit) und 6ristallwasser. 67% des geförderten Rohstoffs sind von vornherein nicht nutzbar. Von den 27% Wertstoffen geht ein Teil bei den aufwändigen Trennprozessen als Rückstand verloren. Verkauft werden letztlich nur 16% der geförderten Menge, das sind 3,4 Millionen Tonnen im Jahr, die insbesondere für die landwirtschaftliche Düngung genutzt werden. Insgesamt fallen gut 16 Millionen Tonnen Salz pro Jahr als Rückstand an, davon drei Viertel fest, der Rest gelöst. Die festen Rückstände - etwa 11 Millionen Tonnen pro Jahr - werden im Wesentlichen aufgehaldet. Durch Regenwasser gelöstes Haldensalz muss als Abwasser entsorgt werden. Das sind zurzeit etwa 700.000 Kubikmeter zusätzliches Salzwasser pro Jahr. Etwa 10er festen Salzrückstände werden per Spülversatz in den Untergrund verbracht. Die restlichen 4 Millionen Tonnen salzhaltiger Abfälle sind in insgesamt 14 Millionen Kubikmeter Salzabwasser gelöst. Mit dieser Menge ließen sich zweitausend Fußballfelder einen Meter hoch einstauen. Die flüssigen Rückstände werden bislang im Mittel maximal zur Hälfte in eine tiefliegende Gesteinsschicht (Plattendolomit) oberhalb der salzführenden Schichten versenkt. Der übrige Teil des Salzabwassers wird innerhalb der genehmigten Grenzwerte in die Werra geleitet und führt zu den hohen Salzgehalten in Werra und Weser.   Jörg Aberger


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Entsorgungswege der Salzrückstände im Werk Werra
 (Zahlen jeweils auf Salzfrachten im Jahr 2006 bezogen.)
 Lagern (11 Mio. t)
 Einleiten (2 Mio. t)
 Spülsalz (1 Mio. t)
 Versenken (2 Mio. t)

Grafik: RUNDER TISCH Gewässerschutz Werra/Weser und Kaliproduktion

- Bohrwagen im Grubenbetrieb. Die Gewinnung der natürlichen Rohsalze erfolgt durch Sprengung. Computergesteuerte Bohrwagen treiben mit höchster Präzision Löcher in das Gestein, die anschließend mit Sprengstoff befüllt werden. Foto: K+S Aktiengesellschaft

- Die Werra bei Heringen, im Hintergrund die Kalirückstandshalde "Monte Kali" des Werkes Wintershall. Foto: K+S Aktiengesellschaft


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2010, S. 1-4
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2010