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FORSCHUNG/316: Zur Rotwildforschung im sächsischen Wolfsgebiet (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 12 vom 3. Juli 2012

Wie beeinflusst der Wolf das heimische Schalenwild?
Zur Rotwildforschung im sächsischen Wolfsgebiet

Von Mark Nitze und Mechthild Roth



Seit nunmehr zwölf Jahren leben in der sächsischen Oberlausitz dauerhaft Wolfsrudel. Mit der Wiedereinwanderung und Etablierung dieser Tierart wurden neben der großen Euphorie in Naturschutzkreisen aber auch alte Vorurteile und Ängste wachgerufen. So gilt der Wolf insbesondere bei Nutztierhaltern und Jägern als klassischer Vertreter eines gefährlichen Raubtiers und Nahrungskonkurrenten. Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Prof. Hermann Ansorge (Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz) zeigten, dass sich die Wölfe in der Lausitz zu über 90 Prozent von Schalenwildarten ernähren. Hauptsächlich Rehe, aber auch Rothirsche und Wildschweine, also Arten, die jagd- und forstwirtschaftlich von Bedeutung sind, werden erbeutet. Eine wichtige Aufgabe ist es deshalb, entsprechende Bedenken gegen die Etablierung des Raubsäugers ernst zu nehmen und nach Lösungen zu suchen, die allen Interessengruppen gerecht werden.

Inwieweit die Wölfe in der Lausitz nun tatsächlich Einfluss auf die Lebensweise der Schalenwildarten (Äsungsgewohnheiten, Habitatnutzung, Rudelzusammensetzung, Streifgebietsgrößen, Reproduktion u.a.) und damit auch auf die Interessenfelder von Jägern, Waldbesitzern und Förstern haben, ist weitgehend unbekannt, da für Deutschland bisher keine Daten vorliegen.

Um zukünftig ein fundiertes Wolfs- und Wildmanagement zu gewährleisten, das den Interessen des Artenschutzes und der Jagd gerecht wird, hat das Sächsische Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) bereits 2007 ein wildbiologisches Forschungsprojekt zu diesem Themenkomplex initiiert. Im Vordergrund steht dabei die Erhebung von Basisdaten zur Raumnutzung und weiteren Verhaltensparametern der jagdbaren Huftierarten als Grundlage für die objektive Bewertung der aktuellen Konfliktfelder. Weitere Fragestellungen im Projekt fokussieren auf die Quantifizierung der Wildbestandshöhe, die Erfassung von Reproduktionsparametern sowie die Auswertung der Jagdstreckenentwicklung. Mit der Durchführung wurde die Arbeitsgruppe Wildtierforschung der Professur für Forstzoologie (Leitung: Prof. Mechthild Roth) beauftragt.

Die Untersuchungen konzentrierten sich bisher vorwiegend auf das Gebiet um den Truppenübungsplatz Oberlausitz (Muskauer Heide). Im Rahmen der Freilandforschung gelang es hier bis 2010 unter anderem, 17 adulte Rothirsche (acht männlich, neun weiblich) zu narkotisieren und mit Halsbandsendern für die telemetrische Beobachtung zu markieren. Die Positionen der Tiere wurden rund um die Uhr über Satellit erfasst und dann via SMS an eine Bodenstation übermittelt. Die Ortungsdaten der Tiere ermöglichen im Jahresverlauf Aussagen über saisonale Streifgebiete, Fluchtbewegungen oder Raumtreue.

Einige markierte Stücke wurden von Wölfen gerissen, andere im Jagdbetrieb versehentlich geschossen oder die Sender fielen aufgrund technischer Probleme aus. Wieder andere Tiere starben bei Brunstkämpfen. Von einigen Tieren aber stehen inzwischen Daten eines kompletten Jahreszyklus zur Auswertung zur Verfügung. Dabei zeigte sich, dass das Rotwild auch in der Lausitz eine typische Raumtreue aufweist. Die Streifgebiete weisen geschlechterspezifische und saisonale Unterschiede auf. Äsungsangebot und Störungsgrad (z.B. durch Jagddruck, Prädationsrisiko, anthropogene Freizeitaktivitäten) beeinflussen ihre Lage und Größe genauso wie den Aktivitätsrhythmus der Tiere. Insgesamt lassen die Daten und Beobachtungen darauf schließen, dass sich das Rotwild im Bereich des Truppenübungsplatzes Muskauer Heide auf die Anwesenheit eines weiteren, vierbeinigen Fressfeindes eingestellt hat. Doch noch immer fehlen ausreichend Daten, um den Einfluss des Wolfs auf die Größe der Huftierpopulation abzuschätzen und somit möglichen Änderungen von Richtlinien oder Strategien für die nachhaltige, jagdliche Nutzung der Beutetierarten durch den Menschen Rechnung tragen zu können.

Seit April 2012 geht dieses Projekt nun in eine weitere Phase. Dabei steht Rotwild in stärker Offenland-geprägten Lebensräumen im Fokus. Auch werden die Mutter-Kind-Beziehung und die Tradierung von Verhaltensweisen erforscht, da beim Rotwild offenbar besonders Jungtiere bis zum Alter von einem Jahr von Wölfen gerissen werden.

Die Finanzierung der Projekte erfolgte und erfolgt dankenswerterweise aus Mitteln der sächsischen Jagdabgabe, dem Deutschen Jagdschutzverband e.V./Landesjagdverband Sachsen e.V., der Obersten Naturschutzbehörde, der Vattenfall Europe AG und der T-Mobile Deutschland GmbH.

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 23. Jg., Nr. 12 vom 03.07.2012, S. 5
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82, Telefax: 0351/463-371 65
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Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2012