Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ
UmweltPerspektiven
Der UFZ-Newsletter - Dezember 2021
TITELTHEMA
Pestizide belasten kleine Gewässer
von Benjamin Haerdle
Sie sind unscheinbar, wenig erforscht und oft unterschätzt: Kleine Fließgewässer durchziehen Deutschland wie ein Netz und fungieren als wichtiger Lebensraum für zahlreiche im Wasser lebende Tier- und Pflanzenarten, die wichtig für die Selbstreinigungskraft des Wassers und Teil des Nahrungsnetzes sind. Doch das Ökosystem Kleingewässer ist gefährdet: Pestizide werden insbesondere bei Niederschlägen in die Gewässer eingetragen. Dass dort die behördlichen Grenzwerte in 80 Prozent überschritten werden, hat ein Forschungsteam unter Leitung des UFZ in einem bundesweit und auch weltweit einmaligen Monitoringprogramm herausgefunden - und fordert Konsequenzen für die Umweltrisikobewertung der Pestizide.
Die Leine zieht sich auf einer Länge von nicht mal 20 Kilometern
nördlich von Leipzig durch Sachsen und fließt in den
Lober-Leine-Kanal, der anschließend in die Mulde mündet. An manchen
Stellen ist der Bach nur einen Meter breit, stellenweise stark
begradigt, gelegentlich mit Büschen und Bäumen bewachsen. Er grenzt an
Äcker und Wiesen, fließt durch kleinere Ortschaften, trocknet in
manchen Sommern abschnittsweise aus - und ist in Deutschland keine
Besonderheit, denn Kleingewässer wie die Leine gibt es hierzulande
sehr viele. Betrachtet man Kleingewässer mit einem Einzugsgebiet von
weniger als 10 Quadratkilometer, macht deren Lauflänge dem Bundesamt
für Naturschutz zufolge immerhin rund 65 Prozent der Gesamtlänge aller
Fließgewässer bundesweit aus. Doch wie es um den Zustand der Bäche
bestellt ist, dazu ist nicht viel bekannt. "Der Wissensstand zu großen
Flüssen wie etwa von Elbe, Rhein oder Donau in Deutschland ist groß,
weil sie entsprechend der EU-Wasserrahmenrichtlinie intensiv in Bezug
auf ihren ökologischen und chemischen Zustand untersucht werden. Im
Gegensatz dazu fehlen solche Informationen für die meisten
Kleingewässer", sagt Prof. Matthias Liess, der sich als Ökotoxikologe
bereits seit den 1980er Jahren mit der Schadstoffbelastung von
Gewässern, auch über Deutschland hinaus, beschäftigt. Um die
ungewollten Wirkungen der Pestizide zu erforschen, mit denen
Ackerkulturen vor Pilzen, Unkräutern oder Schadinsekten geschützt
werden sollen, dabei aber auch in angrenzende Fließgewässer gelangen,
hat er zusammen mit dem Umweltbundesamt (UBA), anderen
Forschungseinrichtungen und Umweltbehörden zahlreicher
Bundesländer ein deutschlandweites Monitoringprogramm entwickelt. Zwei
Jahre lang stand Matthias Liess als Koordinator einem
interdisziplinären Team vor, das mehrheitlich aus Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern des UFZ bestand. Sie untersuchten in den Jahren
2018 und 2019 nicht nur an der Leine in Nordsachsen, sondern an über
100 weiteren kleineren Fließgewässern nahezu im gesamten Bundesgebiet,
wie stark diese Gewässer durch Pestizide belastet sind und welche
Konsequenzen dies für die Artenvielfalt hat.
Die Ergebnisse des UFZ-Forschungsteams für die Agrarlandschaft fielen eindeutig aus: Mit 81 Prozent weist die überwiegende Mehrzahl der Gewässer im landwirtschaftlichen Raum im Untersuchungszeitraum mindestens eine RAK-Überschreitung auf - das ist die im behördlichen Zulassungsverfahren eines Pflanzenschutzmittels festgelegte maximale Konzentration eines Wirkstoffs, die im Gewässer nicht überschritten werden darf, um inakzeptable Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden. Bewertet man den ökologischen Zustand dieser Wirbellosengemeinschaft entsprechend der EU-Wasserrahmenrichtlinie anhand des am UFZ entwickelten Bioindikators SPEARpesticide, zeigt sich: Nur rund ein Viertel (27 Prozent) der Kleingewässer sind in einem guten ökologischen Zustand.
Die Forschenden identifizierten 75 Wirkstoffe als häufig eingesetzte Pestizide. 20 von ihnen verursachten 93 Prozent aller RAK-Überschreitungen (siehe Abbildung rechts). Gravierend fallen die Ergebnisse zum Wirkstoff Thiacloprid aus. An 50 von 112 Messstellen wurde der RAK-Wert für dieses zur Klasse der Neonikotinoide zählende Insektizid, das in der Landwirtschaft gegen Acker- und Obstschädlinge wie Blattläuse, Apfelwickler und Rüsselkäfer eingesetzt wird, überschritten; an vier Messstellen um deutlich mehr als das 100-Fache. Auch die Wirkstoffe Clothianidin, Methiocarb, Fipronil, Imidacloprid und Thiamethoxam - allesamt verboten in Deutschland, weil sie als Hauptverursacher des Bienensterbens ausgemacht wurden - lagen an vielen Kleingewässern deutlich über den jeweiligen RAK-Werten. Rätselhaft ist dabei unter anderem der häufige Nachweis des Wirkstoffs Fipronil. Zwar hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zwischen 2010 und 2015 befristete Notfallzulassungen für den Einsatz gegen Drahtwürmer bei Kartoffeln erteilt. "Die hohen Konzentrationen sind für uns trotzdem schwer zu erklären. Entweder ist Fipronil deutlich persistenter in der Umwelt als bislang angenommen oder es gibt Eintragsquellen ins Gewässer, die wir nicht kennen", sagt Matthias Liess. Fündig wurden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch in Sachsen an der Leine: Dort gab es im Jahr 2018 insgesamt sieben RAK-Wert-Überschreitungen, die vor allem von Thiacloprid, aber auch von Methiocarb und Clothianidin verursacht wurden. "Die Probe mit der größten Überschreitung von Thiacloprid hatte eine achtfach höhere Konzentration als der zulässige Grenzwert", sagt der Umwelthydrologe Philipp Vormeier, der als Doktorand für die Pestizidmessungen zuständig war.
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Der Bioindikator SPEARpesticide
Der SPEARpesticide ist ein biologisches Indikatorsystem, das in
Fließgewässern anhand der Zusammensetzung der dort lebenden
wirbellosen Wasserorganismen sehr spezifisch die Belastung und die
Wirkung von Pestiziden abschätzen kann. Der von Prof. Matthias Liess
am UFZ entwickelte Indikator fokussiert dabei auf pestizid-vulnerable
Arten, deren Anteil an der Artenzusammensetzung in Fließgewässern
kleiner wird, je höher die Schadstoffbelastung ausfällt. Dafür
verwendet das System Arteigenschaften wie Sensitivität,
Expositionswahrscheinlichkeit, Vermehrungspotenzial und
Migrationsfähigkeit, um Wirbellose in empfindliche und unempfindliche
Arten einzuteilen. Der SPEARpesticide wurde entsprechend den
Qualitätsklassen der EU-Wasserrahmenrichtlinie in fünf
Belastungsklassen von "sehr gut" bis "schlecht" eingeteilt.
www.ufz.de/index.php?de=38122
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Dass die Forschenden des UFZ in ganz Deutschland zu deutlich höheren Konzentrationsnachweisen als behördliche Gewässeruntersuchungen kamen, liegt an der speziellen Monitoring-Methode, die sie wählten. Im Routinemonitoring der Bundesländer für die EU-Wasserrahmenrichtlinie beproben die zuständigen Landesbehörden die Fließgewässer mit der sogenannten Schöpfprobe, die in der Regel monatlich nach einem festgelegten Probenahmeprotokoll genommen wird. Dem UFZ-Forscher Matthias Liess genügte das nicht. Seine Begründung: "Pestizide werden insbesondere bei stärkeren Niederschlägen durch den Oberflächenabfluss vom Acker in die Gewässer eingetragen. Und weil genau in diesen Fällen die Auswirkungen auf im Wasser lebende Tiere am größten sind und sensible Arten diesen Eintrag nicht überleben, müssen die Pestizidkonzentrationen auch während solcher Niederschläge gemessen werden." Das UFZ-Team nahm sich deshalb nicht nur die behördlich festgelegte Schöpfprobe vor, sondern baute zusätzlich an den Messstellen Probenehmer auf, die bei einem bestimmten Pegelanstieg automatisch gesteuert Wasserproben nahmen. Das Ergebnis: Diese sogenannten ereignisbezogenen Proben wiesen bei Spitzenbelastungen gegenüber den Schöpfproben eine im Mittel zehnfach höhere Pestizidbelastung auf.
Abb.: © Matthias Liess et.al
Abb.: © Matthias Liess et.al
Als Fakt galt schon lange, dass der Eintrag von Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden das Leben in den Gewässern schädigt. Der Anteil der Pestizide an der Degradation der Lebensgemeinschaft im Vergleich zu Stressoren wie mangelnde Gewässerstrukturgüte, Sauerstoffsättigung oder zu hohem Nährstoffgehalt konnte aber bislang nicht quantifiziert werden. Den UFZ-Forschenden gelang es nun erstmals nachzuweisen, dass der Pestizideintrag für in Fließgewässern lebende pestizidempfindliche wirbellose Tierarten, die rund 40 Prozent des Artenspektrums ausmachen, der entscheidende, wenn auch nicht der einzige Faktor ist. "Vor allem empfindliche Arten wie Kleinlibellen und Eintagsfliegen, die höhere ökologische Ansprüche an den Lebensraum haben, leiden stark unter den Einträgen und werden seltener oder verschwinden gar komplett", sagt Matthias Liess. Dagegen stiegen die Bestände unempfindlicher Arten wie Würmer, Schnecken und Zweiflügler (siehe Abbildung oben). Somit verändert sich insgesamt die Artenzusammensetzung. "Normalerweise ist in einem natürlichen Fließgewässer das Verhältnis zwischen empfindlichen und unempfindlichen Arten etwa gleich. Das verschiebt sich aber zu Ungunsten der empfindlichen Arten, je höher die Belastung durch Pestizide ist." Eine Tendenz, die sich nach Erkenntnissen anderer Untersuchungen des UFZ-Forschers durch die Klimaerwärmung verschärfen wird. "Zum einen wird der Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft weiter zunehmen, da Schadinsekten von höheren Temperaturen profitieren und eine hohe Vermehrungsrate haben. Zum anderen wird es durch den Klimawandel mehr Starkniederschläge geben, sodass tendenziell mehr Pestizide in die Kleingewässer eingetragen werden", sagt Matthias Liess. Reduzieren ließe sich der Pestizideintrag durch eine ökologischere Landwirtschaft oder auch durch breitere Randstreifen entlang der Gewässer, die damit einer intensiven Bewirtschaftung entzogen werden. Und er hat auch eine Idee, wie diese sich gegenfinanzieren ließen. "Man könnte dafür die Einnahmen aus einer Pestizidabgabe nutzen, die von UFZ-Wissenschaftlern im Jahr 2015 erstmals vorgeschlagen und in diesem Jahr weiterentwickelt wurde." Zusätzlich sorge die Abgabe dafür, dass sich der Absatz an Pestiziden und die damit behandelbare Fläche in Deutschland halbieren ließe, so Liess weiter (siehe Seite 9).
Abb.: © UmweltPerspektiven, Dezember 2021 / Matthias Liess
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Pestizidabgabe
www.ufz.de/pestizidabgabe
Die Europäische Kommission will im Rahmen ihres Green Deals den
Pestizideinsatz in der EU bis 2030 generell und insbesondere von
besonders gefährlichen Pestiziden halbieren. Die erforderlichen
Maßnahmen will sie im kommenden Jahr präsentieren. Einen
erfolgversprechenden Weg haben der Umweltjurist Dr. Stefan Möckel, der
Umweltökonom Prof. Erik Gawel, der Ökotoxikologe Prof. Matthias Liess
und der unabhängige Pestizidexperte Lars Neumeister im Auftrag der GLS
Gemeinschaftsbank und von 15 Nicht-Regierungsorganisationen
erarbeitet. In der Studie "Wirkung verschiedener Abgabenkonzepte zur
Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland - eine
Simulationsanalyse" zeigen sie, dass mit einer Abgabe oder Steuer auf
chemische Pflanzenschutzmittel der Einsatz und die mit Pestiziden
behandelbare Fläche in Deutschland um die Hälfte reduziert werden
könnten. Laut Autoren entstünde mit einer solchen Abgabe ein
ökonomischer Anreiz, Pestizide sparsamer zu verwenden und vermehrt
alternative Pflanzenschutzmaßnahmen zu ergreifen.
Allerdings sind bei der Ausgestaltung bestimmte Kriterien zu beachten,
wie der simulierte Vergleich von vier verschiedenen Abgabenkonzepten
in der Studie verdeutlicht. Neben einer ausreichenden Abgabenhöhe ist
insbesondere wichtig, dass eine Abgabe an die maximal zulässige
Aufwandmenge je Hektar und Jahr anknüpft, da diese innerhalb der
Pestizide bis zum 1000-Fachen variiert. Die Aufwandmenge spiegelt die
Wirksamkeit auf dem Feld einschließlich der ökologischen
Nebenwirkungen und Risiken wider. Während bei hochwirksamen Pestiziden
wie beim Herbizid Metsulfuron oder beim Insektizid lambda-Cyhalothrin
nur wenige Gramm erlaubt sind, sind die zulässigen Dosen bei weniger
wirksamen Mitteln deutlich höher und zum Beispiel beim Herbizid
Glyphosat im Kilogrammbereich. In der Studie wurde ein entsprechender
Ausgestaltungsvorschlag erarbeitet. Die Abgabenhöhe je
Pflanzenschutzmittel bestimmt sich danach anhand der Wirksamkeit des
Mittels, den gesundheitlichen Risiken seiner Wirkstoffe sowie der
Einstufung in der Zulassung als Substitutionskandidat oder Haus- und
Kleingartenmittel. Aufgrund der besonderen Auswirkungen von Herbiziden
und Insektiziden auf die biologische Vielfalt sieht der UFZ-Vorschlag
bei diesen Pflanzenschutzmitteln einen erhöhten Abgabensatz vor.
Eine solche Abgabe könnte rechtlich sowohl auf Bundesebene als auch
durch die EU eingeführt werden. Auf Bundesebene käme eine Einführung
als sogenannte Verkehrssteuer in Betracht, bei der das Aufkommen in
die Landeshaushalte fließen würde. Möglich wäre auch die Einrichtung
eines Fonds für nachhaltigen Pflanzenschutz, finanziert von einer
Sonderabgabe auf Pflanzenschutzmittel.
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Spannend sind die Ergebnisse aus dem UFZ-Kleingewässermonitoring auch, weil sich daraus Erkenntnisse für die Umweltrisikobewertung im Rahmen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ableiten lassen. Eine wichtige Basis für deren Weiterentwicklung ist der Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) der Bundesregierung. Laut NAP sollen die Spitzenkonzentrationen bei einem ereignisbezogenen Monitoring bei 99 Prozent der Proben eines Jahres unterhalb des RAK liegen. Das soll bis zum Jahr 2023 erreicht werden. Doch davon ist man noch weit entfernt, nimmt man die UFZ-Analysen der Ereignisproben mit 59 Prozent RAK-Überschreitungen bei 296 Proben als Maßstab. Matthias Liess zieht deswegen folgende Schlussfolgerungen: "Wir kennen jetzt Konzentration und ökologische Wirkung der Pestizide aus der Landwirtschaft. Nun müssen wir die fehlerhaften Eintrags- und Wirkmodelle der Risikobewertung optimieren, Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation einleiten und ein behördliches Monitoring aufbauen, um die tatsächliche Wirkung der Pestizide in der Umwelt zu erfassen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass viele der sich langsam einschleichenden Umweltkatastrophen erst durch Monitoring erkannt wurden. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Großteil der Landwirte entsprechend guter landwirtschaftlicher Praxis die Regeln der Pestizidausbringung entsprechend der Zulassung befolgt, bedeutet das, dass die Risikobewertung der Pestizide grundsätzlich verbessert werden muss." Zudem müssen neue wissenschaftliche Erkenntnisse schneller als bisher in den Zulassungsprozess von Pflanzenschutzmitteln einfließen. Bislang ist es so, dass ein Pflanzenschutzmittel so lange genutzt werden kann, bis die Produktzulassung überprüft wird. Diese findet aber offensichtlich durch die EU-Behörden viel zu schleppend statt. Mögliche Änderungen in der EU-weiten Risikobewertung finden somit auch erst viel zu spät Eingang in die Zulassungspraxis. "Dass heutzutage noch Pestizide eingesetzt werden, deren Zulassung viele Jahre zurückliegt und damit oft auf einer überholten Risikobewertung beruht, muss sich ändern", fordert Matthias Liess.
Abb.: © UmweltPerspektiven, Dezember 2021 / Matthias Liess
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Das Citizen Science-Projekt "FLOW"
www.bund.net/flow
Belastbare Daten zum ökologischen Zustand von Kleingewässern und dem
Vorkommen dort lebender wirbelloser Tiere sind in Deutschland bislang
nur lückenhaft vorhanden. Das im Jahr 2020 gestartete Citizen
Science-Projekt FLOW soll mit der Hilfe von Freiwilligenteams die
Wissenschaft unterstützen, diese Datenlücke zu schließen. Es wird vom
UFZ, dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung
(iDiv) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) umgesetzt. "Die
Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler, die sich im
Projekt FLOW engagieren, werden durch ihre Aktivitäten erheblich dazu
beitragen, Gewässer und Lebensgemeinschaften zu untersuchen und den
Gewässerschutz zu verbessern", sagt Julia von Gönner,
Projektkoordinatorin und Doktorandin an UFZ und iDiv im Department
Ökosystemleistungen von Prof. Aletta Bonn.
Im Jahr 2021 haben insgesamt 27 Gruppen bestehend aus Schulklassen,
Studierenden, Naturschutzorganisationen oder Angelvereinen in FLOW
zusammengefunden und 38 Bäche in landwirtschaftlich oder naturnah
geprägten Landschaften nach den methodischen Anforderungen der
EU-Wasserrahmenrichtlinie untersucht - vor allem in Sachsen,
Thüringen, Niedersachsen sowie vereinzelt in Sachsen-Anhalt und
Hessen. Um das dafür notwendige wissenschaftliche Niveau der
Datenerfassung zu gewährleisten, wurde jede Projektgruppe durch
FLOW-Mitarbeitende geschult und bei ihren Einsätzen begleitet.
Unterstützt wurden sie zudem vom Umweltmobil der Sächsischen
Landesstiftung Natur und Umwelt. Die Freiwilligen bestimmten zum
Beispiel die in den Kleingewässern vorkommenden wirbellosen Tierarten
und bewerteten die Gewässerstruktur, also zum Beispiel, wie natürlich
der Verlauf und die Uferstruktur eines Baches sind. Zudem analysierten
sie mit Chemie-Test-Kits Wasserproben und ermittelten damit die
Konzentrationen von Nährstoffen wie Nitrat, Nitrit oder Phosphat.
Der Vorteil der so erhobenen Daten ist, dass die UFZ-Ökotoxikologen
und weitere Interessierte über längere Zeiträume Informationen zu
einer sehr hohen Anzahl von Kleingewässern erhalten. Je mehr
Freiwilligenteams sich in Deutschland gründen, umso größer wird die
Datendichte. Die Daten können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
anschließend nutzen, um Trends der Gewässerbelastung zu entdecken,
Risikofaktoren für die Kleingewässer abzuleiten und Maßnahmen zur
Reduktion von Pestizideinträgen zu entwickeln. Um die Datenqualität zu
überprüfen, beprobten die FLOW-Teams in diesem Jahr auch 30
Messstellen, die Teil des UFZ-Projektes "Kleingewässermonitoring"
waren.
Im kommenden Jahr soll das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
(DBU) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
geförderte FLOW-Projekt auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Zum
Einsatz kommen soll dann auch eine Web-Applikation, die das UFZ
gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Informatik der Universität
Leipzig entwickelt. Damit können die Freiwilligen dann ihre Daten
digital erfassen.
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Hinzu kommt, dass in der derzeitigen Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln die hohe Empfindlichkeit der Lebensgemeinschaft in den Gewässern für die Mehrzahl der Wirkstoffe unterschätzt wird. Bislang wird das ökologische Risiko von Pestiziden im Freiland auf Basis von Laborstudien, künstlichen Ökosystemen und Simulationsmodellen vorhergesagt. Diese Laborergebnisse spiegeln jedoch nicht die Realität wider. "Im realen Ökosystem wirken zahlreiche weitere Stressoren auf die Organismen, sodass sie dann auf Pestizide deutlich empfindlicher reagieren", sagt der Ökotoxikologe. Natürliche Stressoren wie der Räuberdruck oder die Konkurrenz der Arten untereinander seien in der Zulassung nicht ausreichend berücksichtigt. "Die Tiere sterben im Freiland, da sie unter Umweltbedingungen empfindlicher gegenüber Schadstoffen sind als in künstlichen Testsystemen, wo optimale Bedingungen herrschen." Deshalb müsste die Wirkung der zugelassenen Pestizide nach einem bestimmten Zeitfenster überprüft werden - und zwar unter realen Bedingungen. Um das Risiko der Pestizideinträge realitätsnäher zu modellieren, müssten die Rechenmodelle der deutschen und europäischen Zulassungsbehörden zudem durch Daten aus der landwirtschaftlichen Praxis unterfüttert werden. Der UFZ-Forscher plädiert dafür, dass die Landwirte offenlegen, welche Pestizide sie wie oft und in welchen Mengen auf ihre Felder ausbringen. "So könnten wir die Modelle, auf deren Grundlage die Pestizidwirkstoffe derzeit zugelassen werden, mit Werten aus der Realität verbessern."
Doch selbst wenn Maßnahmen beschlossen werden, bleibt offen, ob sich in der Praxis wirklich etwas ändert.
Inwieweit diese Erkenntnisse Eingang finden in die Umweltrisikobewertung der Pestizide, wird sich zeigen. Handlungsbedarf sieht auch das Umweltbundesamt, das das Monitoring in Auftrag gab. Pflanzenschutzmittel, die besonders häufig gefundene Wirkstoffe enthalten, überprüft die Behörde derzeit außerplanmäßig dahingehend, ob die bestehenden Altzulassungen auch vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Kenntnisse zum Wirkstoff weiterhin die Zulassungskriterien erfüllen. Wo erforderlich, soll die sofortige Anpassung von Risikominderungsmaßnahmen eingefordert werden. Allerdings ist der Einfluss des Umweltbundesamts begrenzt. Zulassungsbehörde in Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das das UBA und weitere Behörden im Zulassungsverfahren beteiligt. Zwar verweigert das UBA sein Einvernehmen zur Zulassung einzelner Pflanzenschutzmittel, wenn es in seiner Bewertung zu dem Schluss kommt, dass beim Einsatz des Mittels die Umwelt geschädigt werden kann. Neue Erkenntnisse aus noch nicht abgeschlossenen EU-Wirkstoffüberprüfungen darf es aber dabei nicht berücksichtigen. Auch auf regelmäßige Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln, zu deren genereller Zulassung das UBA sein Einvernehmen verweigert hatte, kann es keinen Einfluss nehmen.
Doch selbst wenn Maßnahmen beschlossen werden, bleibt offen, ob sich in der Praxis wirklich etwas ändert. Matthias Liess hat hier seine grundsätzlichen Zweifel. "In den 1970er Jahren wurde DDT aufgrund seiner Anreicherung in der Nahrungskette und den hormonähnlichen Wirkungen verboten, danach kamen Lindan, E605 und Neonikotinoide auf den Markt und wurden in den folgenden Dekaden sukzessive in der Landwirtschaft verboten, da das Umweltrisiko im Nachhinein als zu hoch eingeschätzt wurde", sagt er. Somit werden immer wieder neue Wirkstoffe zugelassen, die sich nach einigen Jahren als untragbar herausstellen. Aktuell könnte das zum Beispiel bedeuten, dass auch das Verbot der Neonikotinoide Thiacloprid, Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam im Freiland nicht die gewünschte Wirkung erzielt, da diese entweder durch andere Wirkstoffe ersetzt werden, die bislang noch nicht verboten sind, oder gänzlich neue Wirkstoffe zum Einsatz kommen. Dazu zählt Liess etwa die Pyrethroide - das sind synthetische Insektizide, deren Struktur an das natürliche Insektizid Pyrethrum angelehnt ist. Die Absatzmengen der Pyrethroide sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Wie verbreitet mögliche Ersatzstoffe in der Umwelt bereits sind und ob ihre Anwendung ähnliche Umweltrisiken mit sich bringt, untersucht der UFZ-Forscher derzeit in einem vom UBA beauftragten Folgeprojekt.
Die Belastung für das Ökosystem Kleingewässer durch Pestizideinträge wird wohl auch in Zukunft nicht schwinden, wenn es keine grundsätzlichen Änderungen der Zulassung und der Anwendung von Pestiziden gibt. "Kleingewässer wie die Leine werden leicht übersehen. Doch sie sind für das gesamte Gewässernetz entscheidend, da sie wie Kapillaren die Landschaft durchziehen. Und auch für den Erhalt der Biodiversität sind sie unabdingbar, da sie besondere Biotope sind und Lebensräume miteinander vernetzen", sagt Matthias Liess.
Prof. Dr. Matthias Liess
Leiter des Departments System-Ökotoxikologie
Bildunterschrift einer der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Kurzzeitige Pestizid-Belastungspitzen in Kleingewässern nach einem
Starkregen können durch ereignisgesteuerte Probenehmer
gut erfasst werden. Die Doktoranden Oliver Weisner und Philipp
Vormeier (v.l.) installieren einen automatischen Probenehmer, der
einen Pegelanstieg erfassen, Proben nehmen und kühlen sowie eine SMS
für die Abholung der Proben senden kann.
*
Quelle:
UmweltPerspektiven / Der UFZ-Newsletter - Dezember 2021, Seite 4-13
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 21. Mai 2022
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