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INITIATIVE/320: Enttäuschte Hoffnungen - 20 Jahre Naturschutzarbeit am Köppchensee (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 153 - Dezember 2009 / Januar 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Enttäuschte Hoffnungen
20 Jahre Naturschutzarbeit am Köppchensee

Von Wolfgang Heger


Alle wichtigen und unwichtigen Personen Deutschlands haben etwas über die Beseitigung der Mauer, des Ungetüms des Kalten Krieges, geschrieben, auch über den 40 Jahre sehnsüchtig herbeigesehnten Zusammenbruch der DDR. Vor 20 Jahren fiel die Mauer auch am Köppchensee in Pankow-Blankenfelde. Ich will ganz subjektiv etwas über den Naturschutz in diesen 20 Jahren berichten. Leitfaden ist dabei die Umwandlung dieses Niemandslandes in ein Naturschutz- und Erholungsgebiet, ebenso meine Hoffnungen an eine demokratische, soziale und ökologische Marktwirtschaft.

Ende 1989 krochen wir Mitglieder des Pankower Naturschutzaktivs, Teil der Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR, das erste Mal durch ein Loch in der Mauer auf den ehemaligen Todesstreifen westlich der Heidekrautbahn. Es zeigte sich uns unmittelbar daneben eine unberührte Landschaft mit dem abgesoffenen Torfstich Köppchensee am Tegeler Fließ, verkrauteten Obstwiesen, Magerrasen, Ruderalfluren und einer Uferschwalbenkolonie. Sehr viele Leute erkannten schnell, dass diese für Berlin einmalige Offenlandschaft unter Schutz zu stellen ist, um sie vor Bebauung zu bewahren. Noch am 21. Dezember 1989 erfüllte das Bezirksamt Pankow uns diesen Wunsch mit einer zeitweiligen Unterschutzstellung.

Wir glaubten, dass der westdeutsche Naturschutz weit effektiver und der Nachhaltigkeit verpflichtet sei. Bei der Bewegung für die Wiedervereinigung war ja von einer Ökologisierung der Gesellschaft die Rede. Auch der DDR- "Naturschutzweise" Michael Succow sowie BRD-Umweltminister Klaus Töpfer und die spätere Umweltministerin Angela Merkel stimmten uns hoffnungsvoll. Endlich würden Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung - ein Begriff, den die kirchlichen Umweltgruppen um die Wende benutzten - eine größere Bedeutung spielen als die DDR-Selbstversorgung und die marxistische Ökonomie mit Machbarkeitswahn und Unterjochung der Natur.

Wir griffen schon im März 1990 zu Hacke und Spaten und pflanzten in dem heckenarmen Gebiet erste Sträucher, die wir am Rande des Gebietes bargen, eine echte Graswurzelbewegung. Das kannten wir aus DDR-Zeiten, denn dort wurde bescheidener praktischer Naturschutz vorwiegend über ehrenamtliche Kräfte praktiziert. Ganz konkret hofften wir auf die Rückkehr des Neuntöters und des Rebhuhns, ersterer lebt seitdem wieder ständig dort, letzteres fehlt immer noch.


Ein Naturschutzgebiet entsteht

Wir hatten auch großes Glück mit unseren Partnern und Freunden aus dem Westberliner und bald Gesamtberliner Umweltsenat, die uns (bis heute) großartige theoretische und praktische Hilfe zuteil werden ließen. Dadurch wurde das 60 ha große Gebiet 1995 endgültig unter Schutz gestellt. Der Pflege- und Entwicklungsplan (PEP) legte fest, dass die Tiere des Offenlandes und die Pflanzen der Mager- und Ruderalfluren zu schützen sind.

Daraufhin wurden zahlreiche Wildhecken angelegt, Obstbäume und Wildobst gepflanzt, Barrieren für geregelte Wegeführung angelegt, Nistkästen aufgehängt, Müll gesammelt, Brennnesseln gemäht, Obst geerntet und Informationsschilder aufgestellt.

Doch bald merkten wir, dass auch der gesamtdeutsche Naturschutz nur mit Wasser kocht und ökonomische Grundsätze nach wie vor über der Ökologie stehen. Fast erfolglos kämpften wir gegen die autobahnähnliche Nordtangente am Südrand des Gebietes, ihre Planung ist nur aus Geldmangel aufgeschoben. Die Entwässerung des eiszeitlichen Solls Rebpfuhl konnte nicht rückgängig gemacht werden. Die angrenzenden Ackerflächen, von Lübarser Pferdebauern gepachtet, werden nicht ökologisch bewirtschaftet. Kein Ackerwildkraut entwickelte sich am Rande der Feldflur, nur kurzzeitig 1991 von mir ausgewilderte Kornraden. Wichtige Maßnahmen des PEP wie die Rodung der wuchernden "Neubürger" (Neophyten) Robinie, Eschenahorn und Amerikanische Traubenkirsche scheiterten am Geld.

Jedes Jahr ist es wieder eine Zitterpartie, ob für die nötige Schafbeweidung der größeren Flächen das Geld bereitgestellt wird. Die Nachpflanzung der Apfelplantage erfolgte nicht, ein Schnitt der Bäume geschah nur sporadisch und entsprach nicht dem Prinzip "Schützen und bewirtschaften". Weil keine Nachschachtung mehr in der Kiesgrube erfolgte, haben sich die Uferschwalben verabschiedet. Auch die Zahl der verantwortlichen Mitarbeiter in der unteren und oberen Naturschutzbehörde wurde radikal verringert. Trotzdem leisten sie noch eine sehr gute Arbeit, stoßen jedoch an ihre Grenzen - mit schlimmen Folgen für den Naturschutz.

Die Berliner Baumschutzverordnung wurde in den letzten Jahren neoliberal gekappt, zum Glück betraf es das Naturschutzgebiet nicht, aber viele Eiben in der Umgebung durften nun ersatzlos gefällt werden. Die meisten Nistkästen sind verwittert und kein Lehrer mit einer Schulklasse kann sich für eine ständige Betreuung begeistern. Die bekannte Apfelernte am Köppchensee wird von immer weniger Helfern besucht, keine Berliner Kirchgemeinde findet den Weg dorthin, um für die Gemeinschaft oder den Erntedanktag zu ernten. Zum Glück kennen die Anwohner und ausländischen Mitbürger des Märkischen Viertels die Äpfel, Birnen, Pflaumen, Spillinge und Holunder des Gebietes sehr gut und ernten ausgiebig, manchmal mehr als uns lieb ist.


Wo bleibt die Einheit?

Und noch eine Veränderung ist auffällig, die uns Sorgen bereitet. Es kommen immer weniger Menschen zu den Pflegeeinsätzen: Vielleicht lecken die Arbeitslosen ihre Wunden und geben sich dem Selbstmitleid hin; vielleicht sind die Menschen mittleren Alters überlastet von Arbeit und Erwerb, sodass sie keine Kraft mehr haben; vielleicht gehen die Jungen lieber auf Partys oder fahren ins Ausland.

Meine Euphorie für Demokratie und Marktwirtschaft ist einer ganz großen Skepsis gewichen. Ich habe das Gefühl, dass wir uns statt einer Marx- und Murkswirtschaft nun eine Pfennigfuchsergesellschaft eingehandelt haben. Die offiziellen Naturschutzverbände sind längst diesem Trend gefolgt, wehren sich kaum noch kraftvoll, wenn wieder ein Gesetz kassiert wird, wie zurzeit in Sachsen die Baumschutzverordnung. Sie kämpfen um jede Brosame aus Regierungshänden, haben fast keine Visionen und fördern keine Visionäre und Schrittmacher wie Succow, Michael Ulrich oder Duchrow.

Sollte ich also aufgeben in meinem 70.Lebensjahr? Niemals! Das ist ja gerade der Sinn jeder Graswurzelbewegung, dass sie sich nicht entmutigen lässt, sondern einem zerstörerischen Trend widersteht.

Vor fast 500 Jahren sagte Luther: "Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen." - Ich versuche es weiter.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Am Köppchensee


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 153, Dezember 2009/Januar 2010, S. 19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010