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INITIATIVE/343: Verein Jordsand - Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement im Naturschutz (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2013

Aktiv im Verein Jordsand
Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement im Naturschutz

Von Thorsten Harder



Der Naturschutz in Deutschland hat seine Wurzeln zweifelsfrei im ehrenamtlichen Bereich. Lange bevor es die ersten staatlichen Behörden oder Gesetze gab, lange vor der ersten Einrichtung von Naturschutzgebieten oder später Nationalparks gab es - zunächst - eine Handvoll Visionäre, die schon damals erkannten, dass wir Menschen mit unserem Handeln einen Raubbau an der Natur betreiben. Zu ihnen gehörten neben anderen jene Hamburger Kaufleute sowie sächsische und thüringische Ornithologen, die im Jahr 1907 den Verein Jordsand zur Begründung von Vogelfreistätten an den deutschen Küsten aus der Taufe hoben. Er ist damit der älteste Seevogelschutzverein Deutschlands, wahrscheinlich sogar weltweit.

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Bereits zwei Jahre nach seiner Gründung wurde 1909 mit dem Kauf der Hallig Norderoog durch den Verein Jordsand erstmals in Deutschland die ausschließliche Sicherstellung eines Gebietes für den Naturschutz durch private Initiative vollzogen. Seinerzeit brüteten nur noch 600 bis 700 der einst 250000 Paare der Brandseeschwalbe auf dieser Hallig. Verfolgt wurden mit diesem Schritt zwei Ziele, die wir auch in unseren heutigen Leitsätzen noch wiederfinden: Arten- und Lebensraumschutz.

Mit der Zeit kamen weitere Gebiete hinzu. Der Verein Jordsand betreut heute 21 Schutzgebiete unterschiedlichster Kategorien an den deutschen Küsten und im norddeutschen Binnenland. Dazu gehören der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer mit den Inseln Neuwerk, Scharhörn und Nigehörn, zwei Naturschutzgebiete auf Deutschlands einziger Hochseeinsel Helgoland (Lummenfelsen und Felssockel), weitere Naturschutzgebiete auf Sylt (Rantum-Becken), Amrum (Odde), den Halligen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer (Norderoog, Habel, Südfall), Natura 2000-Gebiete wie der Hauke-Haien-Koog und der Möwenberg bei Schleswig, das Naturschutzgebiet Schleimündung an der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste, die Inseln Greifswalder Oie und Görmitz im östlichen Mecklenburg-Vorpommern sowie die Naturschutzgebiete (NSG) Schwarztonnensand und Asselersand an der niedersächsischen Tideelbe. Im Binnenland sind es die Naturschutzgebiete Höltigbaum, Ahrensburger Tunneltal und Hoisdorfer Teiche. Der Kauf der Naturschutzstation Heinrichswalde am Galenbecker See komplettierte das Engagement des Vereins für den Schutz von Wasservögeln an einem bedeutenden Binnenlandstandort.

An dieser Bandbreite ist leicht zu erkennen, was den Schwerpunkt unserer Vereinsarbeit ausmacht. Es geht um die Betreuung von Schutzgebieten. Es geht um praktischen und bodenständigen Naturschutz, um die Bewahrung der oftmals letzten Rückzugsmöglichkeiten für unsere See-, Küsten- und Wasservögel. Es geht uns weniger um umweltpolitische Bekenntnisse zu globalen Themen - das können andere besser.

Aufgaben

Die Schutzgebietsbetreuung erfolgt überall in enger Abstimmung mit den zuständigen staatlichen Behörden und konzentriert sich auf folgende Inhalte, die je nach Schutzgebiet, Kategorie und Lage variieren:

  • Bewahrung der Gebiete vor Störungen, vor allem zur Brutzeit der Vögel, teilweise auch die Kontrolle vor unerlaubtem Betreten durch Personen
  • Mitarbeit im trilateralen Monitoring- und Bewertungsprogramm in den Wattenmeer-Nationalparks (TMAP)
  • Bestandserfassung 1: Wahrnehmung von Vogelzählungen zu synchronisierten Zeiten (Springtidezählungen, Wasser- und Watvogelzählungen, Gänsezählungen)
  • Bestandserfassung 2: Brutvogelerfassung und -kartierung
  • Bestandserfassung 3: tägliche Beobachtungen und Eintragung in das Ornithologische Tagebuch oder in ornitho.de
  • Bestandserfassung 4: Robbenzählungen
  • Bruterfolgsmonitoring
  • Mitarbeit beim Spülsaummonitoring
  • Aufnahme von Vegetationsveränderungen
  • Öffentlichkeitsarbeit durch den Betrieb von Informationszentren
  • Öffentlichkeitsarbeit in Form von geführten Exkursionen in die jeweiligen Gebiete (meist täglich, insbesondere am Wochenende)
  • Öffentlichkeitsarbeit durch Herausgabe von Informationsmaterial und Presseinformationen
  • Erhaltung der Infrastruktur vor Ort: In vielen Gebieten verfügt der Verein Jordsand über Gebäude oder Anlagen, deren Instandhaltung es bedarf

Der Verein Jordsand verfügt über sechs hauptamtliche Mitarbeiter, darunter jeweils einen im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer, Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und auf der Greifswalder Oie. Zehn Stellen im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ), bis zu zehn im Bundesfreiwilligendienst (BFD) und weitere im European Voluntary Service (EVS) ergänzen die personellen Möglichkeiten. Trotzdem ist hier schon erkennbar, dass es noch weiterer Menschen bedarf, um dieses vielfältige Netz an Schutzgebieten, geografisch über mehrere Hundert Kilometer verteilt, zu betreuen. Zumal wir in neun Stationen eine lückenlose Belegung, also 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag gewährleisten müssen. Deshalb hat jedes der von uns betreuten Gebiete mindestens einen, manchmal sogar zwei ehrenamtliche Referenten. Sie sind die ersten Ansprechpartner vor Ort, organisieren sowohl die praktische als auch die wissenschaftliche Arbeit und sorgen für die Einhaltung der Schutzgebietsverordnungen. Doch auch sie können nicht rund um die Uhr da sein. Deshalb haben wir uns einer Tradition besonnen, die eingangs erwähnt wurde: des ehrenamtlichen Engagements. Gute Beispiele gibt es bereits in unseren Reihen: Das Naturschutzgebiet Amrum Odde und die Hallig Habel wurden schon in den letzten Jahrzehnten ausschließlich durch ehrenamtliche Vereinsmitglieder betreut. Der Einsatz der sommerlichen Workcamps zur Erhaltung unserer Hallig Norderoog ist bereits legendär. Auch unsere Naturschutzjugend Jordsand (NJJ) beteiligt sich an kleineren Betreuungsaufgaben. Ab 2011 wurde diese Form dann schrittweise und erfolgreich auf andere Gebiete erweitert. Im Jahr 2012 war die Nachfrage so groß, dass in vielen Gebieten eine durchgängige Belegung von drei Betreuern in der Saison gewährleistet werden konnte, insgesamt haben sich über 200 Jordsand-Mitglieder (und solche, die es werden wollten) für mindestens eine Woche in einem unserer Gebiete eingebracht.

Engagement für Naturschutz

Was macht das Engagement im Verein Jordsand - sei es als Kind oder Jugendlicher, in einem der Freiwilligendienste, im Norderoog-Workcamp oder als Ehrenamtlicher - so attraktiv? Bei uns können Naturfreunde ihre eigenen Interessen und Neigungen einbringen und andere daran teilhaben lassen. Ein Einsatz im Verein bietet aber auch zusätzlichen Wissenserwerb, Horizonterweiterung und nicht zuletzt Anstöße zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Viele junge Leute, die im Rahmen eines Praktikums bei uns sind, erfahren eine neue Orientierung für ihr weiteres Leben. So manch eine(r) stand zum ersten Mal vor einer Gruppe wissbegieriger Zuhörer und erzählte etwas über ökologische Zusammenhänge, von denen man selbst vor Kurzem noch nicht viel wusste. Viele Ältere finden hier nach ihrem Berufsleben einen neuen Sinn, erhalten ihre eigene Arbeitskraft und damit ihre Lebenslust. Und durch das Zusammenleben und -arbeiten mit anderen Gleichgesinnten ergeben sich viele neue Kontakte, Bekanntschaften, Freundschaften - für Jung und Alt und über Generationsgrenzen hinweg.

Grundsätzlich kann jeder bei uns mitmachen! Sichere ornithologische Kenntnisse sind keine Voraussetzung für einen Einsatz im Vogelschutzgebiet, der Wunsch, sich aktiv im Naturschutz einzubringen, schon. Viele unserer Ehrenamtlichen haben zunächst reingeschnuppert, von anderen gelernt, dann mal probeweise eine Führung gemacht, Spaß daran gefunden, sich tiefer in die Thematik eingearbeitet und sind heute gute Ornithologen. Andere wollten nur an der frischen Luft sein, in der Einsamkeit leben, sich handwerklich bei einem der Objekte engagieren und gehören heute auch zur Stammcrew. Natürlich freuen wir uns über jeden Vogelliebhaber, der mit fundierten Kenntnissen zu uns stößt. Um sie alle wollen wir an dieser Stelle werben. Für einen ersten Einsatz ist die Mitgliedschaft im Verein keine Voraussetzung, obwohl wir uns natürlich viele neue Mitglieder wünschen.

Vielleicht wecken diese Informationen über den Verein Jordsand auch Ihr Interesse an der Mitarbeit bei einem der ältesten Naturschutzanliegen überhaupt: dem gemeinsamen Schutz der letzten verbliebenen Rückzugsgebiete für unsere Seevögel. Wir würden uns sehr freuen!

Thorsten Harder, Landschaftsökologe, ist seit 2010 Geschäftsführer des Verein Jordsand und damit Ansprechpartner für alles, was die Arbeit in den betreuten Schutzgebieten betrifft. Vorher prägte er 15 Jahre lang maßgeblich den Naturschutz in Kirgistan, wo er das bis heute zweitgrößte Biospährenreservat der Welt (Issyk-Köl) aufbaute.
E-Mail: thorsten.harder@jordsand.de

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2013
60. Jahrgang, August 2013, S. 308-309
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 54,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2013