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SCHUTZGEBIET/581: Weltnaturerbe Wattenmeer (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009

Einzigartig auf der Welt: Weltnaturerbe Wattenmeer

Von Peter Südbeck und Hubert Farke


Auf der Jahrestagung des UNESCO-Welterbekomitees im Juni 2009 im spanischen Sevilla wurde das Wattenmeer in die UNESCO-Liste des Welterbes der Menschheit aufgenommen. Das Wattenmeer - Welterbe der Menschheit! Eine Auszeichnung, Anerkennung, aber auch eine Verpflichtung zum Schutz dieses weltweit einmaligen Naturraumes. Damit steht das Wattenmeer auf einer Ebene mit Naturräumen wie dem Great Barrier Reef in Australien, dem Nationalpark Banc d'Arguin in Mauretanien oder den Everglades in den Vereinigten Staaten von Amerika.


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Mehr als 180 Staaten der Erde haben mittlerweile das 1972 verabschiedete UNESCO Welterbeübereinkommen unterzeichnet. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich darin, das weltbedeutende Natur- und Kulturerbe innerhalb ihrer Grenzen zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten. Auf dieser Liste werden weltweit einzigartige Naturphänomene und großartige menschliche Kulturleistungen geführt, die von außergewöhnlicher Bedeutung sind und als Welterbe für die gesamte Menschheit erhalten werden müssen.

Die Aufnahme des Wattenmeeres in die Weltnaturerbeliste ist ein erneuter Höhepunkt der jahrzehntelangen Zusammenarbeit zum Schutz des Wattenmeeres, die zwischen den Staaten Niederlande, Deutschland und Dänemark vereinbart und gemeinsam umgesetzt wurde. Unter der Koordination des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats (CWSS) aller beteiligten Staaten mit Sitz in Wilhelmshaven wurden die erforderlichen Antragsunterlagen erarbeitet. Bisher haben nur die Niederlande sowie Schleswig-Holstein und Niedersachsen diesen Antrag gestellt, Dänemark wird zunächst seinen Teil des Wattenmeeres als Nationalpark ausweisen. Hamburg hatte sich kurz vor Abgabe des Antrages Anfang 2008 aus dem Verfahren zurückgezogen - aus Furcht vor möglichen Beschwernissen für die Fahrrinnenanpassung der Elbe. Insgesamt erstreckt sich das neue Weltnaturerbegebiet von Den Helder bei Texel über das gesamte niederländische, niedersächsische und schleswig-holsteinische Wattenmeer bis nach Sylt. Es ist annähernd 10000 km² groß, bei einer Küstenlänge von etwa 400 km.


Das Verfahren

Die Weltnaturschutzorganisation IUCN ist das fachliche Gremium zur Bearbeitung der Anträge zur Aufnahme in die Weltnaturerbeliste. Der umfangreiche Antrag (s. www.waddensea-secretariat.org) wurde im Februar 2008 bei der UNESCO eingereicht. Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion mit den Beteiligten in den einzelnen Ländern über die Frage, ob, wann und wie dieser Titel angestrebt werden sollte. Beim Treffen der für den Wattenmeerschutz zuständigen Minister im November 2005 auf der niederländischen Insel Schiermonnikoog wurde dann der Beschluss gefasst, mit den Vorbereitungen des Anmeldeverfahrens zu beginnen. Der Abgabe des Antrags zu Jahresbeginn 2008 folgte im September 2008 die Bereisung des gesamten Gebietes durch den IUCN-Fachgutachter Prof. Pedro Rosabal, gebürtiger Cubaner und seit Langem im internationalen Naturschutz tätig. Innerhalb von zehn Tagen wurde ein umfangreiches Exkursionsprogramm durchgeführt. Mehr als 100 Institutionen, Partner und betroffene Personen aus der Küstenregion stellten Aspekte zum Wert des Gebietes, zum Management, zur Absicherung des Schutzes in der regionalen Bevölkerung, über Gefährdungen oder die Abgrenzung des Gebietes vor. Zusammen mit der fachlichen Begutachtung des Antragswerkes durch 35 externe Gutachter, den Ergebnissen und Erfahrungen der Bereisung sowie umfangreichen ergänzenden Unterlagen, stellte IUCN zum Mai 2009 als Vorbereitung für die UNESCO-Welterbekomitee-Sitzung in Sevilla sein Gutachten zu. Die Entscheidung in Sevilla am 26. Juni 2009 verlief kurz, glatt und einstimmig!


Was macht das Wattenmeer im weltweiten Vergleich so
einzigartig?

Die Kriterien der UNESCO verlangen nicht wenig: OUV - outstanding universal value, d. h. "Einzigartig auf der ganzen Welt", dies ist die Hürde, die jedes Gebiet, das den Eintrag in die Liste erreichen will, nehmen muss.

Das Wattenmeer wurde über drei Kriterien qualifiziert:

I Geologische Prozesse: Das Wattenmeer ist ein junger Naturraum: Erst nach der letzten Eiszeit und dem sich anschließenden Anstieg des Meeresspiegels konnte sich dieses Gebiet entwickeln. Doch nach wie vor ist die Entwicklung nicht abgeschlossen: Die hohe Dynamik durch die Kräfte des Wassers, der Tiden, von Wind und Wetter verändert die Landschaft immer wieder neu. Sandbänke und Inseln werden gebildet, verlagern sich oder erodieren wieder. Priele ändern ständig ihren Verlauf. Dünen wehen auf und werden wieder abgetragen. Zentraler Bestandteil sind die ausgeprägten Wattsysteme, die sich im Schutz hinter den Barriereinseln und Sandbänken sowie in den Meeresbuchten (z. B. Jadebusen, Dollart) ausbilden konnten. Das Wattenmeer ist das weltweit größte Wattgebiet der gemäßigten Klimazone.

II Ökologische Prozesse: Durch die zweimal täglich bei auflaufendem Wasser einströmenden Wassermengen einerseits und die Zuflüsse aus den großen Flüssen andererseits wird das Wattenmeer permanent mit sehr viel Nährstoffen versorgt. Daraus baut sich eine Nahrungskette auf, die ihresgleichen sucht. Aber: ständig wechselnde Wasserstände, extreme Temperaturschwankungen, Wechsel der Salzkonzentrationen und extremer Lichteinfall schaffen eine für Meeresorganismen eher lebensfeindliche Umwelt. Tier- und Pflanzenarten müssen sich hieran anpassen, um den Nahrungsreichtum auch wirklich nutzen zu können. Das Wattenmeer ist daher ein Lebensraum für Spezialisten, die dann aber in sehr großen Individuenzahlen auftreten können. Aufgrund der reichen Ressourcen und der vielen Nischen, die sich in diesem extrem wandelbaren Lebensraum auftun, ist die Gesamtartenzahl mit ca. 10000 Tierarten sehr hoch. Und erst recht ist die biologische Produktivität des Wattenmeeres sehr groß, die es erlaubt, z. B. auf einer Muschelbank 1-2 kg je m² Biomasse aufzubauen. Bis zu 100000 Wattschnecken können auf einem m² Wattboden leben, und in großen Gebieten finden wir 20 bis 40 Wattwürmer je m², die den Wattboden konsumieren und daran anhaftende Bakterien und Mikroorganismen als Nahrung aufnehmen. Davon leben wiederum die Vögel, Fische und Meeressäuger.

III Artenvielfalt: Ohne das Wattenmeer kein Ostatlantischer Zugweg der Zugvögel! Für die in den riesigen Weiten der Arktis brütenden Limikolen und viele andere Arten mehr ist das Wattenmeer unverzichtbar und unersetzbar. 10 bis 12 Millionen Zugvögel nutzen alljährlich zweimal das Wattenmeer. Das reiche - vor allem tierische Leben - im Watt ist auch Voraussetzung für die Funktion des Wattenmeeres als Kinderstube vieler Fischarten, wie der Scholle, und damit wiederum als Lebensraum für unsere Meeressäuger, wie Seehund, Kegelrobbe und Schweinswal.

In den Salzwiesen als Lebensraum für salztolerante Arten finden sich dagegen besonders viele hoch spezialisierte, teilweise endemische Wirbellosenarten.
Auch hier gilt: einzigartig auf der Welt!


Integrität und Management

Schließlich war im Antrag nachzuweisen, dass die Gesamtheit der charakteristischen Lebensraumtypen des Wattenmeeres und der vorgelagerten südlichen Nordsee im angemeldeten Gebiet erfasst wurden und wie der ökologische Zustand, die Unversehrtheit des Gebietes zu beurteilen sind. Da die Küsten und Meere derzeit einem starken wirtschaftlichen Nutzungsdruck unterliegen, war die Frage zu beantworten, ob die Management- und Schutzsysteme ausreichen, den Erhalt dieses wertvollen Gebietes für die kommenden Generationen zu sichern.

Mit den Nationalparks in Deutschland und den vergleichbaren Schutzbestimmungen im niederländischen Wattenmeergebiet liegt eine rechtliche Grundlage für den Schutz des gesamten Gebietes vor. Die in den Gesetzen getroffenen Regelungen erschienen ausreichend, um das genannte Ziel zu erreichen - die UNESCO hat es mit der Anerkennung letztendlich nun auch bestätigt. Das Prädikat Weltnaturerbe bringt keine direkt folgenden Veränderungen im Schutzregime, aber es wird die Überzeugungskraft des Naturschutzes stärken und ihn so langfristig absichern und stützen. Denn, bei allen Maßnahmen die zukünftig im Weltnaturerbegebiet geplant sind, wird auch die ganze Welt genau hinschauen, inwieweit sie mit dem Welterbestatus vereinbar sind. Folgen werden sich auch für den Tourismus ergeben: Das wichtigste ökonomische Standbein der Region kann von der Welterbeanerkennung sicher profitieren. Hier gilt es jetzt sicherzustellen, dass ein Mehr des Tourismus sich vor allem in der Qualitätssteigerung der Angebote ausdrückt. Weltnaturerbetourismus muss einem naturverträglichen, naturnahen und nachhaltigen Tourismus entsprechen. Hierzu können und müssen jetzt innovative Konzepte entwickelt und umgesetzt werden; als ein Vorreiterbeispiel in Niedersachsen werden die ersten Zugvogeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer durchgeführt.

Die Aufnahme des Wattenmeeres in die Liste der Welterbestätten ist eine große Auszeichnung für das Gebiet und für die große Zahl der Naturschützer und Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten um den Erhalt des Wattenmeeres gekümmert und - vor allem - die vielen wissenschaftlichen Grundlagen gesammelt haben, die erst den wahren Wert des Gebietes herausstellen. Viele haben ehrenamtlich daran mitgewirkt, auch dieses Engagement wird nun international gewürdigt. Die Anerkennung ist eine große Herausforderung und Verpflichtung für alle, aber in erster Linie eine große Freude und Chance für die Zukunft des Wattenmeeres.


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Informationen zum Thema:
Kruckenberg, H. (2006): Gespräch mit Peter Südbeck zum Thema
"Nationalpark Wattenmeer: Rettung eines einmaligen Lebensraumes".
Falke 53: 340-346.
pdf auf www.falke-journal.de
www.wattenmeer-weltnaturerbe.de

Peter Südbeck ist Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer und war zuvor Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte in Niedersachsen. Er beschäftigt sich seit Langem mit Vogelmonitoring und Vogelschutz an der Küste.

Dr. Hubert Farke ist der für das Biosphärenreservat zuständige Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2009
56. Jahrgang, August 2009, S. 301-304
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2009