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SCHUTZGEBIET/671: Das NABU-Projekt "Halboffene Weidelandschaft" auf der Schmidtenhöhe (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Rinder statt Panzer
Das NABU-Projekt "Halboffene Weidelandschaft" in Koblenz

Von Bernd Pieper


Die Anfahrt zur hoch über Koblenz gelegenen Schmidtenhöhe ist eine Reise durch die Militärhistorie. Am Zusammenschluss von Rhein und Mosel, wo die Römer bereits im Jahr 14 nach Christus ein Kastell errichteten, waren über Jahrhunderte Soldaten stationiert. Die Festung Ehrenbreitstein, einstige Residenz der Kurfürsten von Trier, diente lange Zeit der Sicherung des Mittelrheintals sowie der Flussübergänge bei Koblenz und ist seit 2002 Teil des Unesco-Weltkulturerbes "Oberes Mittelrheintal".

In den Jahren des "Kalten Krieges" war Koblenz mit zeitweilig mehr als 25.000 Soldaten die größte Garnisonsstadt Deutschlands. Bis 1992 nutzten vor allem Panzerbataillone den Truppenübungsplatz auf der rechtsrheinischen Schmidtenhöhe und schufen ein ebenso vielfältiges wie artenreiches Areal. Die Panzer sind abgezogen, doch sie haben dem Naturschutz ein reiches Erbe hinterlassen. Heute gehört die Schmidtenhöhe zum europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000.

Auf den Geröllpisten, in Teichen und Schlammlöchern, in den Kerbtälern, Hecken und kleinen Waldflächen lebt eine Vielzahl europaweit bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Amphibien wie Gelbbauchunke, Kammmolch oder Laubfrosch fühlen sich hier ebenso wohl wie zahlreiche Libellen-, Schmetterlings- und Heuschreckenarten. Orchideen wie die Bienenragwurz oder die Pyramidenorchis gedeihen auf den ungedüngten Wiesen, das Übersehene Knabenkraut hat hier eines seiner zwei Refugien in Rheinland-Pfalz. Vogelfreunde können mit etwas Geduld Neuntöter, Raubwürger oder eine rastende Bekassine beobachten.


Ganzjährige Beweidung

Dieses Naturparadies war nach der Stilllegung des Truppenübungsplatzes in Gefahr geraten. Die Tümpel wuchsen zu, auf den Blumenwiesen machten sich Weidengehölze breit, die flächendeckende Verbuschung und Verfilzung reduzierte den Lebensraum für viele Arten. Eine Herausforderung für das Land Rheinland-Pfalz, denn Natura-2000-Gebiete dürfen sich ökologisch nicht verschlechtern. Die Lösung fand sich im Konzept der Halboffenen Weidelandschaft - die ganzjährige Beweidung der Fläche durch große Pflanzenfresser, deren Anzahl der Tragfähigkeit des Standortes angepasst ist. "Langfristig wird sich eine Savannenstruktur mit einzelnen Bäumen, Büschen, Feldgehölzen und dazwischenliegendem Grünland entwickeln", erwartet der rheinland-pfälzische NABU-Vorsitzende Siegfried Schuch.

Seit September 2009 wird das Projekt auf der Schmidtenhöhe vom NABU Rheinland-Pfalz im Auftrag der Stadt Koblenz betrieben. Auf 130 Hektar sorgen robuste Taurusrinder und Konikpferde hinter einem hoch sensiblen Elektrozaun für eine dynamische Entwicklung des Areals.


Ein freies Leben

Die vergleichsweise geringe Besatzdichte sorgt dafür, dass im Sommer nicht alles kahl gefressen wird. Im Winter wiederum geben sich die Tiere auch mit Brombeergebüschen, kleinen Gehölzen und sogar Disteln zufrieden. Die Rinder und Pferde, bei denen einmal pro Jahr eine Blauzungenimpfung und eine Blutuntersuchung durchgeführt wird, können sich überall frei bewegen und pflanzen sich ohne menschliche Hilfe fort. In dem Dung der Tiere entwickeln sich zahllose Käfer und Würmer, die wiederum als Nahrung für Vögel oder die zahlreich auf der Schmidtenhöhe jagenden Fledermäuse dienen.

Mit der Eröffnung des fünf Kilometer langen Rundwanderweges im Juni 2010 wurde ein weiteres Etappenziel im Umweltbildungs- und Umwelterlebnisprojekt Schmidtenhöhe erreicht. Sechs Aussichtstürme und 16 Informationstafeln, die mit Hilfe der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz und der Glücksspirale eingerichtet wurden, liefern interessierten Wanderern eine Fülle von Informationen über den Lebensraum Schmidtenhöhe und die dort vorkommenden Arten.

Für Siegfried Schuch ist das Projekt in Koblenz auch ein Beispiel für modernen Naturschutz in Zeiten knapper öffentlicher Kassen: "Langfristig soll sich das Konzept 'Halboffene Weidelandschaft' aus den landwirtschaftlichen Prämien und dem Fleischverkauf eigenständig finanzieren." Ein vielversprechender integrativer Ansatz, in dem die drei Bereiche Naturschutz, Landwirtschaft und Naherhohlung/Tourismus miteinander verbunden werden.


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Landschaftsgestalter

Rinder, Ziegen, Schafe oder Pferde fressen ganz unterschiedlich und das wirkt sich auf den Pflanzenbestand und das Landschaftsbild aus. Eine Kuh etwa umfasst meherre Pflanzen mit der rauen Zunge und reißt die Pflanzenteile mit einem Ruck ab. Dabei werden die Pflanzen gleichmäßig bis etwa zwei Zentimeter über dem Boden abgefressen. Für viele Arten reicht das aus, um schnell wieder nachzuwachsen. Schafe benutzen zum Festhalten des Futters die sehr beweglichen Lippen, ihr Biss geht viel tiefer. Ziegen ähneln den Schafen, erheben sich aber auch gerne auf die Hinterbeine, drücken mit den Vorderbeinen erreichbare Zweige herunter und fressen dann die Blätter ab. Nicht nur mit der Nahrungsaufnahme nehmen die Weidetiere Einfluss auf ihren Lebensraum. So schaffen das Suhlen und die Staubbäder der Pferde und Rinder eingie Mini-Biotope, in den schwächer beweideten Teilflächen entstehen Pfade, die auch von anderen Tieren genutzt werden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Friedliches Miteinander: Konikpferde und Taurusrinder halten den Lebensraum Schmidtenhöhe offen.

Auf dem Rundwanderweg liefern sechs Aussichtstürme und 16 Informationstafeln interessierten Wanderern eine Fülle von Informationen über den Lebensraum Schmidtenhöhe und die dort vorkommenden Arten.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/10, S. 12-13
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1500, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
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Internet: www.NABU.de

"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011