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SCHUTZGEBIET/740: Pfälzerwald - Muster ohne viel Wert (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BIOSPHÄRE
Pfälzerwald
Muster ohne viel Wert

von Severin Zillich



Der Pfälzerwald ist das größte geschlossene Waldgebiet Deutschlands. Gemeinsam mit den französischen Nordvogesen bildet er das einzige grenzüberschreitende Biosphärenreservat Europas. Ziemlich einzigartig dürfte auch sein, wie die Politik das Schutzgebiet vernachlässigt.

Frühling an der Weinstraße! Wer in weniger wärmegesegneten Regionen lebt, hat allen Grund, dem Frühling Richtung Südwesten entgegenzufahren, bis an den sonnenverwöhnten Rand des Pfälzerwalds. Hier öffnen die Mandelbäume schon Mitte März ihre rosa Blüten, dicke Hummeln durchkreuzen die Weinberge, die mediterrane Zaunammer singt (in Deutschland beinahe nur hier) aus Obstbäumen und Hecken.
Längs der Weinstraße gedeihen Zedern, Zitronenund Feigenbäume, Gleisweiler gilt gar als wärmster Ort des Landes. Ehrwürdige Weingüter reihen sich aneinander, roter Sandstein und Fachwerk prägen das Bild.
Mit den milden Temperaturen setzt auch der Strom der Ausflügler und Touristen wieder ein. Wer hier lebt, weiß, dass er es gut getroffen hat. Was er wahrscheinlich nicht weiß, ist: Er lebt in einer Region, die Wege in eine nachhaltige Zukunft aufzeigen soll. Die Weinstraße am Übergang des Rheingrabens zum hügeligen Pfälzerwald bildet zwar seit 20 Jahren die Ostgrenze eines großen Biosphärenreservats. Doch kaum ein Schild verweist auf seine Existenz. Selbst am Verwaltungssitz in Lambrecht, einige Kilometer waldeinwärts der Weinstraße, fehlt jeder Hinweis, vom winzigen Klingelschild abgesehen. Schon der erste Eindruck ist: Da wird ein Großschutzgebiet unter Wert verkauft.

Was sollen Biosphärenreservate sein?
Im Rahmen des UNESCO-Programms »Der Mensch und die Biosphäre« entstanden bis heute 580 Biosphärenreservate in 114 Ländern, fünfzehn davon in Deutschland. Ihr vorrangiges Ziel ist das harmonische Miteinander von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem. Dazu Walter Hirche, Präsident der deutschen UNESCO-Kommission: »Für nachhaltige Entwicklung gibt es kein Patentrezept. An möglichst vielen Stellen unseres Planeten sind daher Räume für Experimente und für das Lernen nachhaltigen Wirtschaftens unter Realbedingungen gefragt. Diese Räume sind die Biosphärenreservate.«
Weite und Ruhe

Auch wenn der Weingürtel ihr wirtschaftliches Rückgrat bildet: Drei Viertel der deutschen Biosphäre werden vom Pfälzerwald beherrscht. Häufigste Baumart ist hier wieder die Buche, nachdem die Forstleute der Kiefer über Jahrhunderte den Vorzug gegeben hatten.
Das trockenwarme Klima unterscheidet den Pfälzerwald von allen anderen unserer Mittelgebirge. So dicht besiedelt die Weinstraße, so ruhig geht es in seinem Inneren zu. Kleine Dörfer zwängen sich in die Täler. So weit das Auge reicht, trübt kaum eine Spur von Zivilisation den Blick über die bewaldeten Kuppen. Statt Sendemasten und Windrädern ragen nur hier und da Felsen aus den Wipfeln, nicht selten von Burgruinen gekrönt.
So viel Weitläufigkeit und Ruhe - kein Wunder, dass nirgends sonst in Mitteleuropa mehr Wildkatzen leben. Selbst vom Luchs werden immer wieder Einzeltiere gesichtet. Für eine stabile Population braucht er allerdings Unterstützung, welche genau wird derzeit diskutiert. Wie vielfältig die Biosphäre beiderseits der Grenze ist, werden Mitte Juni rund 100 Experten im Rahmen des GEO-Tags der Artenvielfalt dokumentieren.
Ein besonders wertvoller Ausschnitt des Pfälzerwaldes ist das zentral gelegene Quellgebiet der Wieslauter. Aus 2 300 Hektar altem Laubwald hat sich hier die Forstwirtschaft zurückgezogen, als größte Teilfläche der von jeder Nutzung befreiten Kernzone.

Eine Region wächst zusammen

Mit den Nordvogesen auf französischer Seite bildet der Pfälzerwald seit 1998 ein über 3 100 km2 großes Biosphärenreservat. 2010 hat es die UNESCO überprüft, als weltweit erste grenzüberschreitende Modellregion. Sie beauftragte die Teilgebiete, bis 2020 ein gemeinsames Entwicklungskonzept zu erarbeiten. Werner Dexheimer, der Leiter der deutschen Biosphäre, ist optimistisch: Über die Jahre habe sich - trotz sprachlicher Barrieren - ein Vertrauensverhältnis entwickelt.
Davon zeugen die deutsch-französischen Bauernmärkte. Rund 40 ausgewählte Erzeuger präsentieren jedes Jahr in fünf Orten ihre Produkte. Bis zu 15 000 Besucher drängeln sich dann an den Ständen von Biowinzern, Forellenräuchereien, Pilzfarmen oder Schäfereien: ein Musterbeispiel regionaler Wertschöpfung.
Und doch leidet das Biosphärenreservat - und hier sei nur die deutsche Seite betrachtet - unter schweren Geburtsfehlern. Man kann nur hoffen, dass sie von der neuen Landesregierung rasch behoben werden.

Misere mit vielen Namen

In der Koalitionsvereinbarung hat Rot-Grün vor einem Jahr angekündigt, das Biosphärenreservat »weiterzuentwickeln«. Anlass dafür gibt es genug. Die Misere beginnt damit, dass im Landesgesetz wortwörtlich steht: »UNESCO-Biosphärenreservate sind in Rheinland-Pfalz Naturparke.« Diese Gleichsetzung zweier grundverschiedener Schutzgebietstypen dürfte bundesweit einmalig sein. Dazu passt, dass der Pfälzerwald als einzige deutsche Biosphäre privatrechtlich verwaltet wird, vom Verein Naturpark Pfälzerwald. Eine Form, die auch Werner Dexheimer schlicht »ungeeignet« findet. So hängt die Verwaltung finanziell am Tropf der Kommunen, deren Beitragssätze seit Jahren eingefroren sind. Dem Verein steht damit jedes Jahr weniger Geld zur Verfügung. Zuletzt fiel dem Sparzwang im November die einzige Stelle für Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit zum Opfer.
Unverständlich ist auch, dass der seit 1959 bestehende Naturpark Pfälzerwald nach der Anerkennung als Biosphärenreservat nicht als Naturpark zu existieren aufhörte, sondern parallel weiter fortbesteht und bis heute die Außenwahrnehmung prägt. Dabei darf sich etwa ein Viertel Deutschlands mit dem anspruchslosen Titel »Naturpark« schmücken. Den komplexen Zielen einer Modellregion für Nachhaltigkeit wird diese Konstruktion natürlich nicht gerecht.

Chance nutzen

Nach all dem wundert es nicht, dass die Verwaltung zugibt, auf die Nutzung der Wälder - als weitaus ichtigstes Element der Biosphäre Pfälzerwald - keinerlei Einfluss zu haen. Rein ökonomisch ist die Forstwirtschaft ausgerichtet, Modellregion hin oder her. Und da ist es mehr als eine Petitesse, dass die Kernzone noch immer nicht die nötigen 3% umfasst. Schutzwürdigen Wald gibt es reichlich in der Biosphäre. Woran es bislang fehlte, war der politische Wille der SPD-Alleinregierung. Mit dem grünen Koalitionspartner ist die Ausweitung wieder Thema. Dazu Heinz Schlapkohl, zweiter Landesvorsitzender des BUND: »Weitere 2.000 Hektar Pfälzerwald müssen sich unbeeinflusst vom Menschen entfalten dürfen.«
Entscheidender noch: Alle politischen Akteure - von den Bürgermeistern über die Landräte bis zur Regierung in Mainz - müssen sich künftig viel stärker mit den Zielen der Modellregion Pfälzerwald identifizieren. Solange die verbliebenen vier Mitarbeiter der Verwaltung auf derart verlorenem Posten stehen, wird die Chance, die dieses Biosphärenreservat für die Region bedeutet, ungenutzt bleiben.

Als Fahrtziel Natur ist der Pfälzerwald - auf Initiative auch des BUND - bestens per Bahn erreichbar.
www.fahrtziel-natur.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Kein Windrad, nirgends: Geht es nach dem BUND, bleibt die - wenig windhöffige - Biosphäre auch künftig frei von Windrädern. Doch der Druck der Befürworter steigt.
Von links: Die regionalen Bauernmärkte der Biosphäre - hier im pfälzischen Edenkoben - erfreuen sich großer Beliebtheit. Der Pfälzerwald ist der bundesweit wichtigste Lebensraum der Wildkatze. Blühender Mandelbaum vor dem Hambacher Schloss. Fotos (außer Wildkatze): Naturpark Pfälzerwald e.V.

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Quelle:
BUNDmagazin 2/2012, Seite 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2012