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WÜSTE/012: Atacama - Neu entdeckte Lebensgemeinschaft aus Flechten, Pilzen und Algen prägt ganze Landschaften (idw)


Technische Universität Kaiserslautern - 09.01.2020

Atacama-Wüste: Eine neu entdeckte Lebensgemeinschaft aus Flechten, Pilzen und Algen prägt ganze Landschaften


Die Atacama-Wüste in Chile ist die älteste und trockenste Wüste der Erde. Organismen, die hier leben, haben sich über Tausende von Jahren an die extremen Bedingungen angepasst. Ein Forscherteam um Dr. Patrick Jung hat nun eine bislang unbekannte Lebensgemeinschaft aus Flechten, Pilzen, Cyanobakterien und Algen entdeckt und untersucht. Sie besiedelt winzige Steinchen, sogenannten Grit. Den Wasserbedarf deckt sie durch Nebel und Tau. Die Organismen zersetzen dabei auch das Gestein, auf und in dem sie leben. Die Forscher vermuten, dass sie auf diese Weise das Landschaftsbild der Atacama-Wüste geprägt haben. Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift "Gebiology" erschienen.


Foto: © Patrick Jung

Das Foto zeigt ein Grit Steinchen, auf dem man im angefeuchteten Zustand verschiedene Flechtenarten sieht.
Foto: © Patrick Jung

In vielen Wüstengebieten finden sich größere schwarze Flecken im Sand. Dabei handelt es sich um mineralische Ablagerungen, den sogenannten Wüstenlack. Auch in der dem Mars ähnlichen Atacama-Wüste hat das Team um Dr. Patrick Jung von der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK) solche Stellen gesehen und ihnen zunächst keine Bedeutung beigemessen. "Uns ist aber aufgefallen, dass die schwarze Farbe intensiver wird, wenn Nebel aufzieht", sagt der Wissenschaftler, der auch Erstautor der aktuellen Studie ist. Grund genug, um sich das Phänomen genauer anzuschauen. Bei diesen schwarzen Flecken handelt es sich um eine Ansammlung sechs Millimeter großer Quarz und Granit Steinchen, den Grit, wie es in der Fachsprache heißt, der Splitt und Kies ähnelt. "Sie erstrecken sich über den kompletten Nationalpark Pan de Azúcar", sagt Jung.


Foto: © Patrick Jung

Die Landschaft mit den schwarzen Flecken: Sie entstehen durch die im trockenen Zustand gräulich gefärbten Organismen der Grit Crust.
Foto: © Patrick Jung

Die Forscher um Jung haben bei diesen Flecken die Photosynthese-Aktivität mit einem speziellen Gerät gemessen. Es sendet Lichtstrahlen aus. Ein Organismus, der Photosynthese betreibt, nutzt einen Teil dieses Lichts dafür, einen anderen Teil hingegen nicht. Mit der Differenz lässt sich ermitteln, ob er photosynthetisch aktiv ist. "Dort gab es tatsächlich eine Reaktion", so Jung weiter. In der Folge hat sich das Team dieses Gestein näher angeschaut. "Wir haben eine Lebensgemeinschaft aus Algen, Flechten, Cyanobakterien und Pilzen gefunden", fährt er fort. Sie ummanteln die Steinchen, bilden aber auch eine Art Netz, mit dem sie über mehrere Steinchen hinweg wachsen und eine Kruste bilden.

Für die Studie hat das Team außerdem Daten von Drohnen- und Satellitenbildern ausgewertet. "Große Teile des Nationalparks, der 360 Quadratkilometer umfasst, und darüber hinaus sind von dieser Lebensgemeinschaft in Form von ausgedehnten schwarzen Flecken bedeckt."

Im Labor in Kaiserslautern hat Jung die Organismen der Lebensgemeinschaft genauer untersucht. "Solche biologischen Bodenkrusten finden sich auch in anderen Regionen der Erde", sagt der Biologe. "Wir haben es hierbei allerdings mit einem neuen Typen von Kruste zu tun, der winzige Steinchen besiedelt. Wir haben sie daher Grit Crust getauft." Bei seinen Analysen im Labor hat der Biologe zudem festgestellt, dass die Organismen sich nicht nur auf den kleinen Steinen ansiedeln. "Sie wachsen auch im Inneren", fährt er fort. Dies liege an der porösen Gesteinsstruktur. Da die Steine recht hell sind, ist auch genug Licht vorhanden, um Photosynthese zu betreiben. Dies bietet zudem einen weiteren Vorteil, wie Jung erläutert: "Die Steine sind kühler als ihre Umgebung, was zur Folge hat, dass der Nebel dort eher kondensiert." Auf diese Weise stünde der Lebensgemeinschaft mehr Feuchtigkeit zur Verfügung als andernorts in der Atacama-Wüste, was die spezielle Beziehung zwischen den Organismen und den Grit-Steinchen erklärt.

Auch haben die Wissenschaftler untersucht, unter welchen Umständen die Organismen am besten Photosynthese betreiben. Im Vergleich zu biologischen Bodenkrusten aus anderen Wüsten der Erde benötige die Grit Crust der Atacama-Wüste nur halb so viel Wasser, was die herausragende Anpassung an die von Tau und Nebel eingebrachten Wassermengen und das Ausbleiben von Regen verdeutlicht. Die klimatischen und geologischen Gegebenheiten der Atacama-Wüste ähneln denen des Mars. Die geringen Ansprüche an die Verfügbarkeit von Wasser könnten diese Organismen als Kandidaten zur zukünftigen Kolonisierung des Mars auszeichnen, spekulieren die Forscher.

Durch die enge bio-geologische Beziehung zwischen den Organismen und den Grit-Steinchen vermuten die Wissenschaftler, dass die Mikroorganismen durch ihre Aktivitäten auch an Verwitterungsprozessen beteiligt sind. Da die Lebensgemeinschaft auch auf größeren Steinen zu finden ist, könnte sie das Landschaftsbild der Atacama-Wüste in den letzten Jahrtausenden geprägt haben. "Damit wären die kleineren Steinchen, an denen wir die Lebewesen gefunden haben, das Ergebnis dieser Prozesse", fasst Jung zusammen. Inwieweit das Team um Jung mit dieser Hypothese richtig liegt, müssen Folgestudien zeigen.


Die Arbeit ist in der renommierten Fachzeitschrift Gebiology erschienen. Sie hat es zudem auf das Cover der aktuellen Ausgabe geschafft: "Desert breath - How fog promotes a novel type of soil biocenosis, forming the coastal Atacama Desert's living skin"
DOI: https://doi.org/10.1111/gbi.12368


An der Arbeit waren neben Jung beteiligt: Michael Schermer und Burkhard Büdel von der TU Kaiserslautern, Karen Baumann, Kai-Uwe Eckhardt, Peter Leinweber, Elena Samolov und Ulf Karsten von der Universität Rostock, Lukas W. Lehnert von der Ludwig-Maximilian-Universität München sowie Sebastian Achilles, Jörg Bendix, Maaike Y. Bader und Luise M. Wraase von der Philipps-Universität Marburg. Die Arbeiten wurden im Rahmen des EarthShape-Programms von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Dr. Patrick Jung arbeitete bis vor kurzem im Lehrgebiet Pflanzenökologie und Systematik an der TU Kaiserslautern. Mittlerweile forscht er an der Hochschule Kaiserslautern am Standort Pirmasens.



Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news729660

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution124

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Kaiserslautern, 09.01.2020
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2020

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