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LAIRE/115: Earth Hour - Kritik an Symbolpolitik greift zu kurz (SB)


Wider den Öko-Chauvinismus

Vorschlag für die Symbolik einer "Earth Hour 2011"


Für eine Stunde das elektrische Licht ausschalten - diese vor drei Jahren begonnene Kampagne ist inzwischen zu einer globalen Bewegung ausgewachsen, an der sich nach Angaben der Organisatoren über eine Milliarde Menschen in mehr als 120 Ländern beteiligten. Ob in der Verbotenen Stadt Pekings oder Nôtre Dame in Paris, ob im Buckingham Palace oder am Brandenburger Tor, ob Washington, Moskau, Rio de Janeiro oder Sydney, überall ging am Samstagabend um 20.30 Uhr das Licht aus, und für die Phantasie des globalisierten Menschen, denen der Anblick des blauen Planeten vom Weltraum aus eine vertraute Perspektive ist, zog sich eine Licht-aus-Welle rund um den Erdball. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Symbol.

Doch in Fortsetzung der jüngsten Diffamierungskampagne gegen den Weltklimarat IPCC wurde ebenfalls rund um den Globus Kritik an der "Earth Hour" laut. Es handele sich um bloße Symbolpolitik oder gar Angstmacherei, lauten die Vorwürfe; die Leute hätten zwar das Licht ausgemacht, aber dafür Kerzen angesteckt, was viel umweltschädlicher sei, wurde polemisiert. Andere bemühten sich zumindest um Ernsthaftigkeit und machten die Rechnung auf, daß kein einziges Treibhausgas emittierendes Kraftwerk wegen der Earth Hour heruntergefahren wurde.

An manchen Einwänden ist was dran, sie können nicht bestritten werden, dennoch gehen sie daran vorbei, daß mit der Earth Hour Menschen ein Symbol für "Klimaschutz", das heißt für das Einsparen von Treibhausgasemissionen, setzen wollten. Ja, es stimmt, instinktsicher versuchen Politiker die Spitze der Bewegung zu okkupieren, ist doch Symbolpolitik ihr ureigenstes Metier. Da kennen sie sich bestens aus. Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, daß das Konzept der Earth Hour von ihnen in Zukunft instrumentalisiert und womöglich in eine Art Repressionsmittel verwandelt wird. Nach dem Motto: Alle Bürger sollten freiwillig auf Energie verzichten - wer sich dieser vernünftigen Idee verweigert, schadet der Gesellschaft. Einer solchen Bezichtigung würden entsprechende Sanktionen folgen.

Eine naheliegende und machbare Möglichkeit, eine solche nicht wünschenswerte Entwicklung im Keim zu ersticken, könnte darin bestehen, das Symbol mit weiteren Inhalten zu befrachten. Die Earth Hour sollte nicht nur für eine Menschheit stehen, die das Bewußtsein dafür entwickelt hat, daß die Industriealisierung nicht fortgesetzt werden kann wie bisher, sondern die deshalb die soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer globalen Kampagne rückt. Politisch ausgedrückt müßte sich die Bewegung für eine Umverteilung von oben nach unten einsetzen. So würde sie auch vermeiden, sich unversehens in einer öko-chauvinistischen Ecke wiederzufinden, in der den Entwicklungs- und Schwellenländern die Industriealisierung mit der Begründung verweigert wird, daß das die Tragfähigkeit der Erde bei weitem übertreffe und "wir" dann fünf oder sechs Planeten bräuchten, um auf der ganzen Welt einen westlichen Lebensstandard einzuführen.

Es ist leicht einzusehen, daß es nur diese eine Erde gibt und der Energieverbrauch reduziert werden muß. Aber es ist nicht einzusehen, daß sich die relativ wohlhabenden Industriestaaten als Richter über die gesamte Menschheit aufspielen. Also wäre eine deutliche Ausrichtung der Kampagne auf die soziale Frage vonnöten. In der Gerechtigkeitsdebatte werden solche Aspekte bereits diskutiert, aber der Begriff "Gerechtigkeit" befördert einen bitteren Beigeschmack, da mit ihm dem Recht das Wort geredet wird. Das ist insofern nicht unproblematisch, als daß im Namen des Rechts auch Kriege geführt, Folter begangen und Menschen von ihren Überlebenschancen abgeschnitten werden. Auf die klimatische Entwicklung bezogen könnte das beispielsweise darauf hinauslaufen, daß Klimaflüchtlinge aus Afrika darin gehindert werden, in gemäßigtere Zonen abzuwandern. (Was bekanntlich längst praktiziert wird.)

Wer also Recht und Gerechtigkeit einfordert, begibt sich damit auf ein Feld, auf dem etablierte Kräfte die Regeln bestimmen, und ob es gelingt, sich dort durchzusetzen, ohne irgendwann Kriege, Folter und Marginalisierung mitzutragen ... nun, es war ein aus der Ökobewegung hervorgegangener Außenminister, der Deutschland erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in einen Angriffskrieg geführt hat. Das sollte zu denken geben.

Insofern müßten Recht und Gerechtigkeit mindestens neu besetzt werden, und da wären wir sofort wieder bei der sozialen Frage. Earth Hour 2011 sollte sich für eine Welt einsetzen, in der nicht nur die Produktion von Treibhausgasen durch moderne technologische Verfahren vermieden wird, sondern in der die zur Verelendung und Vernichtung großer Menschenmassen führende Bereicherung und Besitzstandssicherung, die von der vorherrschenden Weltordnung gefördert werden, in Angriff genommen wird. Die Klimaschutzbewegung braucht eine Vision, die über die bloße Energiesparfrage hinausreicht - warum sollte es nicht eine antiherrschaftliche Vision sein, für die es bislang keine historischen Vorbilder gibt?

28. März 2010