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LAIRE/149: Weltmacht USA ringt um globale Energiehegemonie (SB)


US-Energieminister sorgt sich über schwindende Führungsstärke seines Landes

Steven Chu identifiziert China als Konkurrent in Sachen
Innovationsfreudigkeit


Aus angeblicher Sorge über die Erderwärmung wird derzeit im mexikanischen Touristenort Cancún eine neue internationale Energie- und Klimapolitik ausbaldowert. Offiziell lautet der Auftrag an die Vertreter der UN-Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP), daß sie ein Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll erarbeiten. Doch wie bereits an der als weitgehend gescheitert anzusehenden Klimakonferenz von Kopenhagen vom Dezember 2009 abzulesen war, stehen hegemoniale Interessen der führenden Wirtschaftsmächte einem Abkommen, durch das den ärmeren Ländern ernsthaft und umfassend geholfen würde, im Wege.

Eindeutig hegemonial orientiert erwiesen sich jedenfalls die Erklärungen des amerikanischen Energieministers Steven Chu am Montag im National Press Club in Washington. Im globalen Wettkampf um saubere Energien stünden die USA vor einem "Sputnik-Moment" und drohten hinter den Fortschritten Chinas und anderer Länder zurückzufallen, warnte er. Die Vereinigten Staaten müßten dringend in Forschung und Entwicklung investieren, um die Führung der Innovationsentwicklung zu behalten. "Wir stehen heute vor der Wahl: Setzen wir Amerikas Innovationsführerschaft fort oder werden wir dahinter zurückfallen?", zitiert die britische Zeitung "The Guardian" (29.11.2010) Chus besorgte Stellungnahme.

Vor dem Hintergrund der zahlreichen Reden, die Politiker gegenwärtig aus Anlaß des UN-Klimagipfels in Mexiko halten, sind die Aussagen des US-Energieministers ein wenig untergegangen. Das haben sie nicht verdient, denn sie werfen ein Schlaglicht darauf, um was es in Cancún geht und um was es eben nicht geht. Es fällt auf, daß Chus Sorge nicht der globalen Erwärmung und ihren verheerenden Folgen insbesondere für die ärmeren Staaten gilt, sollten die USA als größter Treibhausgasemittent keine entschiedenen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und -einsparung ergreifen. Statt dessen ging es Chu um die Wahrung der Weltführerschaft - und "saubere" Energiesysteme sollten das Instrument dafür sein.

Daraus läßt sich ableiten, daß seiner Meinung nach die USA im Zweifelsfall auf andere Mittel zurückgreifen könnten, sofern damit die eigentliche Aufgabe der globalen Energiehegemonie gesichert würde. Zu den "sauberen" Energietechnologien zählt der Physik-Nobelpreisträger auch Atomkraftwerke.

Diese Ansicht ist allerdings in Frage zu stellen, da sich die CO2-Bilanz von Akws enorm verschlechtern würde, sobald die gesamte Produktionskette, einschließlich der Verbringung des Strahlenmülls, einbezogen wird. Die Befürworter der Atomenergie unterschlagen dies aus dem gleichen Grund, weswegen bei sogenannten Klimaschutzverhandlungen in erster Linie um technologische Vorherrschaft gerungen wird. In einer fundierten CO2-Bilanz für Akws müßte beispielsweise Eingang finden, wenn in den nächsten Jahren das atomare Endlager Asse leergeräumt und der radioaktive Müll neu verpackt wird. Und wenn die US-Regierung tatsächlich nicht Yucca Mountain zum atomaren Endlager ausbauen, dann müßten dennoch alle bisherigen CO2 produzierenden Erkundungs- und Vorbereitungsarbeiten an diesem Berg in die Bilanz einbezogen werden. In der Summe zeigt sich, daß Atomkraftwerke keine günstige CO2-Bilanz, wohl aber eine extrem ungünstige Umweltbilanz aufweisen.

Aus Steven Chus Mahnungen läßt sich der drohende Abstieg einer Weltmacht ablesen. Militärisch sind die USA weiterhin Weltmeister, aber sie haben auch die höchsten Schulden. Was "schwächeren" Staaten längst das Genick gebrochen hätte, können die USA derzeit noch kompensieren. Vielleicht nicht mehr lange. Der Konkurrent China hat Unmengen US-Staatsanleihen aufgekauft. Die können ein Druckmittel, aber gewiß auch ein Klotz am Bein sein. Technologisch machen China und Indien den USA Konkurrenz. Beide Länder wurden von Chu als potentielle Widersacher namentlich erwähnt.

China hat den schnellsten Computer der Welt, die schnellste Hochgeschwindigkeitsbahn und den größten und leistungsfähigsten Staudamm; es ist der größte Produzent von Wind- und von Solarenergieanlagen und hat den Bau von 30 neuen Kernreaktoren geplant. Auf der anderen Seite wurden im vergangenen Jahr in den USA erstmals mehr Patente von Erfindern außerhalb des Landes angemeldet.

Solche Trends sind zu erwarten, wenn ein Imperium an sein Ende gelangt. Zur Zeit der Präsidentschaft von George W. Bush wurde die Förderung grüner Technologien vernachlässigt. Steven Chu weiß offenkundig um die herausragende Bedeutung einer "grünen" technologischen Führerschaft. Denn wenn es einem Staat gelänge, innovativ voranzugehen und andere Staaten dazu zu bringen, ihm zu folgen, hat er, simpel gesprochen, die Führung inne. Energie- und emissionsarmen Technologien gehört die Zukunft, bzw. sie gehört jenen Staaten, die sich rasch vom fossilen Zeitalter zu lösen vermögen.

Das bedeutet nicht, daß diese Technologie automatisch den ärmeren Ländern zugute kommen wird oder soll. Zwischen dem Überlebensinteresse der von den Folgen der Erderwärmung am schwersten betroffenen ärmeren Länder und dem hegemonialen Interesse der wirtschaftlichen Führungsmächte verläuft nicht etwa nur ein tiefer Spalt - denn der setzt immerhin noch eine gemeinsame Grundlage voraus -; die beiden Seiten stehen sich konträr gegenüber, sie sind unvereinbar. Folglich dürfte man nicht eher davon sprechen, daß die ärmeren Länder eine nennenswerte Unterstützung hinsichtlich der Klimaschutzmaßnahmen erhielten, als bis die Unterscheidung in arm und reich keine Gültigkeit mehr besitzt und ihre einstmals reicheren "Brüder" ihr Streben nach Vorherrschaft ablegen.

Das müßte keineswegs auf ein Versiegen der Innovationsfreudigkeit hinauslaufen. Die sich aus der wachsenden Gefährdung der Überlebensvoraussetzungen ergebenden Probleme der Menschheit sind so gewaltig, daß es in nächster Zukunft an Aufgaben gewiß nicht mangelt. Allerdings könnte es geschehen, daß der Begriff "Innovation" dann mit vollkommen anderen Inhalten, die nicht mehr dem Anliegen technologischer Hegemonie nachgeordnet wären, gefüllt würde.

1. Dezember 2010